1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Auf der Suche nach der libyschen Zauberformel

29. Mai 2018

In Paris wollen Vertreter zahlreicher Staaten die sich seit Jahren hinziehende Regierungskrise in Libyen beenden. Keine leichte Aufgabe - denn die libyschen Politiker zeigen sich nur wenig kompromissbereit.

https://p.dw.com/p/2yX88
Frankreich Libyen-Konferenz in Paris
Bild: picture-alliance/AP/dpa/Etienne. Laurent

Libyen-Konferenz in Paris

Die Töne aus dem Elysée-Palast klingen beinahe autoritär. Das Treffen mit führenden Repräsentanten der politischen Kräfte Libyens strebe vor allem eines an, heißt es in einer Vorab-Note des französischen Präsidentenpalasts. Es gehe darum, den Gästen "ihre Verantwortung vor Augen zu führen". Der müssten sie nun nachkommen, so die unterschwellige Botschaft. Denn eines sei klar: "Die derzeitige Lage ist unhaltbar, denn die Instabilität in Libyen ist eine systemische Bedrohung für Europa, Nordafrika und die Sahel-Zone", heißt es aus dem Elysée. 

Doch die Organisatoren des Treffens schlagen nicht nur einen strengen Ton an. Sie haben das Treffen auch mit erheblichem Aufwand vorbereitet. Geladen sind nicht nur die vier mächtigsten Politiker Libyens, sondern auch Vertreter aus insgesamt 20 Staaten: Neben den fünf ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat sind es die unmittelbaren afrikanischen und europäischen Nachbarn Libyens sowie weitere Staaten aus der Region, unter anderem Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Auch mehrere internationale Organisationen sind vertreten. Die internationale Präsenz deutet es an: Es geht um sehr viel bei diesem Treffen, denn letztlich wirkt sich die politische Zukunft Libyens auf die gesamte Region aus.

Personelle Rivalitäten

Entsprechend groß war die Unruhe, als sich der militärisch starke Mann des östlichen Libyens, Khalifa Haftar, Mitte April offenbar schwer erkrankt in ein Pariser Krankenhaus begab, wo er zwei Wochen lang behandelt wurde. Todesgerüchte machten schon die Runde, doch der 75 Jahre alte General erholte sich. Zur gleichen Zeit fand ein Wechsel an der Spitze des Staatsrates statt: Nach den Wahlen verdrängte der den Muslimbrüdern nahestehende Khaled Mishri den bisherigen Amtsinhaber Abderrahman Swehli. Seine Wahl, heißt es in einer Studie der "International Crisis Group" (ICG), könnte vor allem den Anhängern des säkular ausgerichteten Haftar ein Dorn im Auge sein.

Frankreich Libyen-Konferenz in Paris
Unter sechs Augen: Frankreichs Präsident Macron im Gespräch mit dem libyschen Premier Fayiz as-SarradschBild: picture-alliance/AP/dpa/Etienne. Laurent

Die beiden Rivalen Haftar und Mishri sind nun ebenso Gäste in Paris wie Fajaz Serraj, der Vorsitzende der sogenannten Einheitsregierung mit Sitz in Tripolis. Diese Regierung ist zwar international anerkannt, in Libyen selbst aber umstritten. Auch Aguila Saleh Issa, der Präsident des Repräsentantenhauses, ist anwesend. Im Ausland hat man anlässlich der Erkrankung Haftars und dem Wechsel an der Spitze des Staatsrats einmal mehr gesehen, wie schwach die Position der politischen Anführer im Zweifel ist. Umso schwerer, schreibt die ICG, wiege der Umstand, dass sich das derzeitige Kräftespiel in Libyen vor allem an ihnen ausrichte. Stürzten sie, stünden ihre Gefolgsleute vergleichsweise orientierungslos da. Darum komme es vor allem darauf an, die personelle Kontinuität durch eine institutionelle zu setzen. Gingen oder stürzten die starken Männer, dürften nicht auch noch die Einrichtungen des - ohnehin fragilen - libyschen Staates zusammenbrechen.

Ziel: institutionelle statt personeller Kontinuitäten

Zugleich, heißt es in der Studie, dürfe man sich auch darum nicht zu sehr auf Personen konzentrieren, weil sie erstens nicht das gesamte Land repräsentierten und zudem die Ziele der einzelnen Fraktionen auch in deren eigenen Reihen umstritten seien. Käme es in Paris zu einer Einigung, sollte man diese nicht allzu konkret formulieren. Zugleich gelte es auch, auf ein Einvernehmen in den Reihen der in Paris vertretenen Staaten hinzuarbeiten, die bislang auf unterschiedliche Kandidaten setzen.

"Man sollte die Veranstaltung dazu nutzen, die libyschen Führer in Richtung eines Kompromisses und die internationale Gemeinschaft in die einer größeren Übereinstimmung zu führen. Dies könnte durch eine Erklärung von Prinzipien für die anstehenden politischen und ökonomischen Schritte sowie zur Ausbau der Sicherheit geschehen. Diese könnten helfen, das geteilte Land zu stabilisieren und zu einen."

Frankreich Libyen-Konferenz in Paris
Zwischen Kollegialität und Rivalität: die Repräsentanten LibyensBild: picture-alliance/AP/dpa/Etienne. Laurent

Angesichts der verfahrenen Lage in Libyen, dessen führende politische Kräfte sich kaum kompromissbereit zeigen, könnte die in Paris versammelte Politik zu großen Druck auf das Land ausüben, fürchtet die Zeitung "Le Monde". Sie verweist darauf, dass die im Juli 2017 erlassene Verfassung immer noch nicht durch ein nationales Referendum legitimiert sei.

Erosion der staatlichen Institutionen

Daran werde sich auch nichts ändern, vermutet die Zeitung. Insbesondere die Anhänger von General Haftar sperren sich, da dieser laut derzeitiger Fassung nicht für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren könnte. Der General war zu lange außer Landes - er hat gut 20 Jahre in den USA gelebt. Generell müssten die in Paris versammelten Diplomaten sich hüten, allzu sehr auf Personen zu setzen, "ohne dass sich umfassendere Vereinbarungen aus der Mitte der libyschen Gesellschaft ergeben", zitiert "Le Monde" einen namentlich nicht genannten Teilnehmer des Treffens.

Derweil erodiert die institutionelle Ordnung weiter. Der Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik" hat in einem Papier auf die in Tripolis präsenten vier großen Milizengruppen hingewiesen. Diese bauten ihre Macht kontinuierlich aus - etwa, indem sie ihre Vertreter in Ministerien und Behörden installierten.  

Libyen Selbstmordanschlag in Tripolis
Hilfloser Staat: Dschihadisten nutzen die Schwäche des Landes aus. Szene nach einem Anschlag auf das Gebäude der obersten Wahlkommission Anfang Mai 2018Bild: Imago/Xinhua/H. Turkia

"Dank ihrer Vertreter in der Verwaltung sind die mit den Milizen assoziierten Netzwerke zunehmend in der Lage, über verschiedene Institutionen hinweg koordiniert zu agieren. Politikern, Milizenführern und Bürokraten in Tripolis zufolge sind Präsidialrat und Einheitsregierung zu einer bloßen Fassade verkommen, hinter der die bewaffneten Gruppen und der mit ihnen assoziierte Klüngel das Sagen haben. Die überwiegende Mehrheit der neu ernannten Personen stammt aus Tripolis. Auf diese Weise wurde die Formel des geografischen Proporzes ausgehebelt, auf der die Einheitsregierung beruhte."

Libyen ist auch im siebten Jahr nach dem Sturz  und Tod des ehemaligen Staatspräsidenten Al-Ghaddafi heillos zerstritten. Die in Paris versammelten Politiker und Diplomaten haben sich viel vorgenommen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika