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Auch Plastik wird knapp - warum?

1. April 2021

Plastiktüten sind in Deutschland bald verboten. Als Verpackung werden Kunststoffe aber weiterhin benötigt. Doch die Branche hat derzeit Lieferprobleme. Es gibt zu wenig Rohstoffe für die Plastikproduktion.

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Verpackte Lebensmittel
In Supermärkten werden viele Lebensmittel in Frischhaltefolie verkauftBild: picture alliance/dpa/A. Burgi

Wie fragil globale Lieferketten sind, hat die Corona-Pandemie mehr als deutlich gemacht. Probleme gibt es selbst bei so schlichten Produkten wie Frischhaltefolie, die im Supermarkt Fleisch und Käse schützt, denn auch sie ist ein Ergebnis weltumspannender Zusammenarbeit.

Um die Folie herzustellen, sind die meist mittelständischen Firmen der deutschen Kunststoff-Verpackungsindustrie auf Vorprodukte angewiesen.

Dazu gehört das Rohbenzin Naphta, ein Nebenprodukt aus der Kraftstofferzeugung, das dann in großen sogenannten Steamcracker-Anlagen weiterverarbeitet wird. Erdöl- und Chemiefirmen mit Produktionsorten in Saudi-Arabien, den USA, China und Europa spielen also eine wichtige Rolle, bevor die Folienhersteller ihre Arbeit machen können.

Deutschland | Steamcracker bei BASF in Ludwigshafen
Ein Steamcracker oder Dampfspalter, hier bei BASF in Ludwigshafen. Bild: Ronald Wittek/dpa/picture alliance

"Durchgerüttelte Lieferketten"

"Die Kunststoff-Verpackungsindustrie ist weltweit sehr vernetzt, sehr abhängig von den jeweiligen Anwendungsgebieten - und dementsprechend auch sehr anfällig, wenn es an der ein oder anderen Stelle mal klemmt", sagt Mara Hancker, Sprecherin und Geschäftsführerin des Branchenverbands Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (IK).

Derzeit "klemmt" es an vielen Stellen gleichzeitig. So sehr, dass in einer Verbandsumfrage Anfang März drei Viertel der befragten Firmen klagten, dass ihre Versorgung mit Rohstoffen schlecht oder sogar sehr schlecht sei.

Rund 80 Prozent gaben damals an, dass ihre Lieferfähigkeit bereits eingeschränkt sei, und ebenso viele erwarteten für die kommenden Wochen, dass die Situation anhält oder schlechter wird.

Einen Monat später, kurz bevor sie die Ergebnisse einer weiteren Umfrage veröffentlicht, kann die Verbandssprecherin keine Entwarnung geben. "Es ist immer noch schwierig, an die Rohstoffe zu kommen. Und da wo man sie bekommt, ist es extrem teuer", sagt Hancker zur DW.

Steigende Preise

In den ersten drei Monaten des Jahres haben sich wichtige Kunststoffe der Verpackungsindustrie stark verteuert, Polyethylen etwa um mehr als 35 Prozent. Andere Kunststoffe wie Polyurethane (PUR) sind im vergangenen Halbjahr um 50 Prozent teurer geworden.

Das drückt natürlich auf die Margen der Verpackungshersteller. "Doch die meisten wären froh, wenn sie überhaupt an ausreichend Material kommen würden, um ihre Kunden bedienen zu können", so Hancker.

Kunststoff-Granulat Rohstoff
Aus solchem Granulat machen Hersteller alle möglichen KunststoffprodukteBild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Auch der Gesamtverband der Kunststoffverarbeitenden Industrie (GKV) spricht von einer massiven Störung der Rohstoff-Lieferketten.

Und so müssen einige Firmen ihre Produktion drosseln, weil es nicht genug Rohmaterial gibt, etwa für PVC-Schrumpffolien. Andere überlegen, ob ein Umstieg auf alternative Kunststoffe möglich ist - aber das ist nicht nur technisch eine Herausforderung, sondern auch an allerlei Auflagen gebunden, gerade im Lebensmittelbereich.

Geringere Produktion, steigende Nachfrage

Wie konnte es zu dieser Knappheit kommen? Hauptgrund sei die Corona-Pandemie, die die Weltwirtschaft und die Lieferketten "durchgerüttelt" habe, so Hancker. Beispiel Schifffahrt: Erst lagen Frachtschiffe untätig in den Häfen fest, dann explodierten die Preise für Schiffscontainer

Weil die Zeichen überall auf Flaute standen, entschieden viele Rohstoffproduzenten, dass nun ein guter Zeitpunkt wäre, ihre Anlagen zu warten. "Solche Wartungen werden mit einem halben Jahr Vorlauf geplant", sagt Hancker. Der Prozess dauert lange, manchmal mehrere Monate. "Man kann so eine Anlage nicht in einer Woche runter- und in der nächsten wieder hochfahren."

Hinzu kamen dann noch Produktionsausfälle, die auf höhere Gewalt zurückzuführen sind, etwa die Winterstürme in den USA. Im internationalen Handel wird hier von Force Majeure-Meldungen gesprochen. Rund 80 Prozent der deutschen Firmen gaben Anfang März an, davon betroffen gewesen zu sein. In der aktuellsten Umfrage, die Anfang April veröffentlicht wird, sind es noch 65 Prozent.

Auch der Stau im Suez-Kanal, der durch das gestrandete Containerschiff Ever Given verursacht wurde, gehört in diese Kategorie und setzt die Lieferketten zusätzlich unter Druck.

Während also weniger Vorprodukte verfügbar waren, stieg die Nachfrage schneller und stärker als erwartet. Das lag nicht zuletzt an der wirtschaftlichen Erholung in China. "Dort boomt der Markt und saugt gerade alles auf", sagt Hancker. In Deutschland seien vor allem die Autoindustrie und das Bauwesen Treiber der Nachfrage.

Organspende
Behälter aus Styropor werden auch in der Medizin zum Transport eingesetztBild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Impfstoff-Transporte betroffen?

Am deutlichsten sei die Knappheit bisher bei Folien und Verpackungen für Lebensmittel zu spüren. Doch auch im medizinischen Bereich gebe es bereits Warnsignale.

"Unsere Firmen haben erhebliche Schwierigkeiten, an expandiertes Polystyrol (EPS) zu kommen - das kennen die meisten als Styropor oder Airpop. Und das ist auch das Material, mit denen derzeit die Corona- Impfstoffe beim Transport isoliert und kühl gehalten werden." Es müsse daher frühzeitig sichergestellt werden, dass diese Materialien verfügbar bleiben.

Es wird etwas dauern, bis sich die Versorgungslage wieder entspannt. Die Prognosen der Verpackungsfirmen decken sich jedenfalls mit denen zur weiteren Entwicklung der Pandemie.

"Die meisten unserer Mitglieder gehen davon aus, dass sich die Lage frühestens im Herbst wieder entspannen wird", so IK-Sprecherin Hancker.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.