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KonflikteAserbaidschan

Aserbaidschan startet Militäreinsatz in Berg-Karabach

19. September 2023

Im Südkaukasus deutet sich ein neuer Krieg zwischen den verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan an. Baku hat mit dem massiven Beschuss der Region Berg-Karabach begonnen.

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Aserbaidschan Konflikt Bergkarabach
Rauch steigt auf in den Bergen außerhalb von Stepanakert, der Hauptstadt von Berg-KarabachBild: Marut Vanyan/UGC/AFP

Aserbaidschan hat nach eigenen Angaben mit "Anti-Terroreinsätzen" in der Region Berg-Karabach begonnen. Die Einsätze richteten sich gegen armenische Kräfte, teilte das Verteidigungsministerium in Baku mit. Der Mitteilung zufolge dient der Militäreinsatz dazu, den nach dem letzten Berg-Karabach-Krieg 2020 im Waffenstillstand festgeschriebenen Rückzug armenischer Truppen aus dem Gebiet durchzusetzen. Die Türkei und Russland seien über das Vorgehen informiert worden. Es werde nur auf militärische Ziele geschossen, behauptete das aserbaidschanische Verteidigungsministerium. 

In Stepanakert, der Hauptstadt der zwischen beiden Ländern seit Jahrzehnten umstrittenen Region, waren nach Angaben eines AFP-Reporters Explosionen zu hören. Auch andere Städte und Dörfer seien unter intensivem Beschuss, erklärte die in Armenien ansässige Vertretung von Berg-Karabach im Onlinedienst Facebook. Pro-armenische Kräfte meldeten mindestens 25 Todesopfer, darunter zwei Zivilisten. 

Der Milliardär Ruben Vardanyan, bis Februar hoher Beamter in der Verwaltung von Berg-Karabach, schrieb auf X: "Aserbaidschan hat einen massiven Artillerieangriff auf Bergkarabach gestartet, der Städte und Zivilisten in großem Umfang ins Visier nimmt." Behördenvertreter in Berg-Karabach erklärten, Aserbaidschan wolle tief in die bergige Region eindringen, stoße aber auf entschiedenen Widerstand.

Zivilisten werden in Sicherheit gebracht

Die aserbaidschanische Regierung erklärte, ihre Truppen zielten auf armenische Militärpositionen und von "Separatisten" genutzte Einrichtungen. Nach dem Beginn des Militäreinsatzes sind nach armenischen Angaben mehr als 7000 Zivilisten aus 16 Ortschaften in Sicherheit gebracht worden. Die Gemeinden in den Regionen Askeran, Martakert, Martuni und Schuschi seien evakuiert worden, erklärte der Ombudsmann für Menschenrechte in Bergkarabach, Gegham Stepanjan, auf X. Laut Verteidigungsministerium in Baku wurden humanitäre Korridore zur Evakuierung von Zivilisten eingerichtet. Unabhängig überprüfen ließen sich die Berichte indes nicht.

Berg-Karabach Konflikt l Latschin-Korridor, Grenzübergang
Seit Dezember blockiert Aserbaidschan den Zugang zur selbsterklärten Republik Arzach, die vornehmlich von Armeniern bewohnt wird, über den Latschin-Korridor im Westen, hier der Grenzübergang (Archivbild)Bild: Gilles Bader/Le Pictorium/MAXPPP/dpa/picture alliance

Vorwurf der "ethnischen Säuberung" 

Nach Angaben des armenischen Regierungschefs Nikol Paschinjan hat die aserbaidschanische Armee zudem einen Einsatz am Boden begonnen. Aserbaidschan habe einen "Einsatz mit Bodentruppen" mit dem Ziel losgetreten, die "ethnische Säuberung" gegen die armenische Bevölkerung in der Region zu betreiben, sagte Paschinjan in einer Fernsehansprache. Armenien sei "nicht in Kampfhandlungen verwickelt", die Lage an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze sei derzeit "stabil".

Moskau ist "besorgt"

Russland rief die Kontrahenten zur Beendigung der Kämpfe auf. "Wir sind tief besorgt wegen der scharfen Eskalation der Lage in Berg-Karabach", sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, vor Journalisten in Moskau. Das Blutvergießen und die Kämpfe müssten beendet und der Konflikt auf diplomatischem Weg gelöst werden. Russische Grenztruppen sollen dort eigentlich einen Waffenstillstand zwischen den verfeindeten Parteien überwachen. 

EU verlangt Ende militärischer Handlungen

Die Europäische Union verurteilte den Militäreinsatz. "Wir fordern ein sofortiges Ende der Feindseligkeiten und rufen Aserbaidschan auf, die derzeitigen militärischen Aktivitäten einzustellen", teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Brüssel mit. Der Dialog zwischen der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku und den Karabach-Armeniern müsse dringend wieder aufgenommen werden. Die militärische Eskalation dürfe nicht als Vorwand dienen, um die Abwanderung der lokalen Bevölkerung zu erzwingen, hieß es weiter.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Rande der UN-Vollversammlung in New York, es sei "ganz klar, dass diese Kriegshandlungen sofort beendet werden müssen". Es gehe darum, "wieder zurückzukehren zum Pfad der Diplomatie". Das französische Außenministerium rief Baku auf, seine "Offensive unverzüglich zu beenden" und forderte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats. US-Außenminister Antony Blinken nannte das Vorgehen Aserbaidschans "ungeheuerlich".

Streit um Berg-Karabach

Zuvor wurden aserbaidschanischen Angaben zufolge sechs Menschen bei Minenexplosionen getötet. Aserbaidschanische Sicherheitskräfte hatten mitgeteilt, zwei Zivilisten seien auf einer Straße in Richtung der Stadt Schuscha im aserbaidschanisch kontrollierten Teil Berg-Karabachs durch eine von armenischen "Sabotagegruppen" gelegte Mine getötet worden. Vier Polizisten wurden demnach später auf dem Weg zum Explosionsort bei einer weiteren Minenexplosion getötet.

Die beiden Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um Berg-Karabach und lieferten sich bereits zwei Kriege um das Gebiet. Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. Nach sechswöchigen Kämpfen im Jahr 2020 mit mehr als 6500 Toten hatte Russland ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang. Russische Grenztruppen sollen das Abkommen überwachen.

Auseinandersetzungen an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze

Seitdem gibt es aber immer wieder tödliche Auseinandersetzungen an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze. In den vergangenen Monaten hatten die Spannungen um das stark verminte Berg-Karabach wieder deutlich zugenommen.

pg/sti/uh/gri/qu (dpa, afp)