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Kunst

Star-Architekt Gottfried Böhm ist tot

10. Juni 2021

Er hat die deutsche Architektur des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt. Jetzt ist Pritzker-Preisträger Gottfried Böhm im Alter von 101 Jahren gestorben.

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Seitenansicht von Gottfried Böhm, der seinen Kopf auf seine Hand stützt.
Bild: Raphael Beinder/dpa/picture alliance

Gottfried Böhm war der Bildhauer unter den Architekten. Seine wichtigsten Werke gleichen zerklüfteten Betongebirgen - das Rathaus im rheinischen Bensberg etwa, das er als bürgerliche Trutzburg und Stadtkrone ausformte. Oder die massive Wallfahrtskirche in Neviges. Auch sie scheint wie für die Ewigkeit in Fels gehauen. Wuchtig-expressiv wirken diese Bauten, dramatisch statt beiläufig. Keinerlei dumpfe Schwere, kein hohles Pathos: Was von außen so massiv aussieht, wirkt innen fast schwerelos. Gottfried Böhm hat den Ernst seiner Bau-Skulpturen in kristallinen Ecken und Kanten gebrochen. Wer denkt da nicht an Lyonel Feiningers Kirchenbilder mit ihren feingezirkelten Lichtprismen?

Gottfried Böhm, am 23. Januar 1920 als Sohn des berühmten Kirchenbaumeisters Dominikus Böhm in Offenbach geboren, baute bis Anfang der 1970er-Jahre vor allem Gotteshäuser. Sein erstes war 1947 die Marienkapelle "Madonna in den Trümmern" in der von Bomben zerstörten Kölner Kirche St. Kolumba. Charakteristisch für Böhms Bauten, die zu Beginn häufig in Beton, später in Stahl und Glas ausgeführt wurden, sind ihre räumliche Präsenz und Skulpturenhaftigkeit. Der Grund lag nah: Böhm liebte die bildende Kunst. Ihretwegen hatte er - neben Architektur - auch Bildhauerei studiert.

Die Kapelle "Madonna in den Trümmern" mit Altar im Kolumba Museum in Köln
Die Kapelle "Madonna in den Trümmern" in Köln, erschaffen von Gottfried BöhmBild: CC BY-SA 3.0/Elke Wetzig

Der Nobelpreis für Architektur

Die Lichtmagie des Vaters hatte es ihm angetan. Gottfried Böhm lernte aber auch von Rudolf Schwarz, wie Böhms Vater ein rheinischer Kirchenbaumeister, der beim Wiederaufbau des kriegszerstörten Köln Maßstäbe setzte. Gottfried Böhm traf die Bauhaus-Meister Walter Gropius und Mies van der Rohe. Für seine Brückenschläge zwischen Tradition und Moderne nahm er 1986 den Pritzker-Preis entgegen, eine Art Nobelpreis für Baumeister. Mit Frei Otto, der 2015 postum geehrt wurde, gelang dies nur einem anderen Deutschen.

Nach dem Tod des Vaters hatte Gottfried Böhm dessen Büro in Köln-Marienburg übernommen. Drei seiner vier Söhne schlugen denselben Berufsweg ein. Auch seine Frau Elisabeth, gestorben 2012, war Architektin. So entstand der Nimbus einer "Architektendynastie", den der Schweizer Regisseur Maurizius Staerkle-Drux 2015 für seinen Kinofilm "Die Böhms - Architektur einer Familie" nutzte. Gottfried Böhm, damals schon im biblischen Alter von 93 Jahren, erscheint darin wie der putzmuntere Spiritus Rector des kreativen Clans, der morgens vor der Arbeit zum Kopfsprung in das heimische Schwimmbecken ansetzt.

Bildergalerie Gottfried Böhm Nevigeser Wallfahrtsdom
Typisch Böhm: der Nevigeser WallfahrtsdomBild: picture-alliance / Rainer Hackenberg

Manches Bauwerk war auch umstritten

Gottfried Böhms Auftragsbuch war immer gut gefüllt. Seit den 1970-Jahren plante er vermehrt für den Städte- und Siedlungsbau: Sein "Bergischer Löwe", das Bürgerhaus in Bergisch Gladbach, gelang besser als das Wohnquartier Chorweiler. Anfangs hochgerühmt, gilt die Hochhaussiedlung heute als menschenfeindliche Beton-Wüste, vergleichbar den Pariser Banlieues. Böhm verlegte sich zunehmend auf Stahl und Glas. So fand er zu einem leichteren Formenspiel - beim Hans-Otto-Theater in Potsdam etwa, dessen dreischaliges Muscheldach auch Sydneys berühmte Oper zitiert. Als beliebige Container-Collage wirken dagegen seine WDR-Arkaden in Köln.

Das Hans-Otto-Theater in Potsdam, entworfen von Gottfried Böhm
Spektakulär: das Hans-Otto-Theater in PotsdamBild: picture alliance/Arco Images GmbH/J. Hildebrandt

Auch Niederlagen musste der große Baumeister wegstecken: Sein Entwurf für eine begehbare Glaskuppel des Berliner Reichstags setzte sich nicht durch. Stattdessen wurde die ganz ähnliche Variante von Norman Foster gebaut. Und dass sein Frühwerk "Madonna in den Trümmern" später in die glatte Fassade von Peter Zumthors Kölner Diözesanmuseum eingepasst wurde, ärgerte ihn bis zuletzt.

Gottfried Böhm - der Außenseiter

Gottfried Böhm kam, wie es scheint, aus einer anderen Zeit. So blieb er ein Außenseiter: Obwohl hochdekorierter Architekt, waren ihm Marketing- und PR-Strategien herzlich egal. Bis zuletzt hatte er sein Büro in einem schlichten Bau, das einst der Vater als Wohnhaus erreichtet hatte und dem man die Spuren der Jahre ansah. Hinter seinen Entwürfen standen keine kühnen architekturtheoretischen Gebilde, sondern allein der Grundsatz, "möglichst gut und schön zu bauen". So hat Gottfried Böhm die deutsche Architektur des 20. Jahrhunderts bereichert wie kaum ein anderer.

Seinen 100. Geburtstag im vergangenen Jahr hat er, kurz vor dem Beginn der Corona-Krise, im Kreis seiner Söhne gefeiert. Noch bis zuletzt war er regelmäßig am Kölner Rheinufer spazieren gegangen. Am Mittwoch, dem 9. Juni 2021, ist Gottfried Böhm gestorben.