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Anschlagsserie auf Gedenkstätten in Deutschland

21. August 2023

Antisemitismus, Rassismus, Homophobie - Anschläge auf Gedenkstätten häufen sich. Was sind Gründe für diese Attacken auf Demokratie und Minderheiten?

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Berlin Bücherboxx am Holocaust-Mahnmal "Gleis 17" angezündet
Fassungslosigkeit über den rechtsmotivierten Brandanschlag auf die BücherboXX am Gleis 17 - Initiatoren Konrad Kutt und Irena AselmeierBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Innerhalb von nur zwei Wochen haben gleich mehrere Anschläge auf Gedenkorte Deutschland erschüttert: Ein mutmaßlich antisemitischer Brandanschlag auf eine Bücherbox an der Gedenkstätte Gleis 17 in Berlin am 12. August. Eine Attacke auf das Zelt des Ohlsdorfer Friedensfestes, wo an die Bombenopfer des Zweiten Weltkrieges in Hamburg erinnert wird. Ein Brandanschlag auf das Denkmal für vom Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle im Berliner Tiergarten. Zerstörte Scheiben am Sitz der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten. Und ein Anschlag auf einen Verein lesbischer Frauen in Berlin-Neukölln.

"Als ich von dem Anschlag auf unsere BücherboXX erfahren habe, musste ich erst einmal eine ganze Stunde lang heulen", sagt Konrad Kutt der DW. "Es war wie ein körperlicher Anschlag auf mich", ergänzt er den Tränen nah.

Holocaust-Gedenken in Berlin

Kutt hatte schon vor rund anderthalb Jahrzehnten die Idee für die BücherboXXen, die in ganz Berlin aufgestellt sind: Ausgediente Telefonzellen, die in Straßenbibliotheken umgewandelt wurden. Die BücherboXX, die in der Nähe der Gedenkstätte Gleis 17 aufgestellt wurde, hatte für ihn eine besondere Bedeutung. Die rund 300 verbrannten Bücher kreisten um die Thematik Deportation und Ermordung von Juden in der Nazizeit.

Vom Gleis 17 im Berliner Grunewald wurden 50.000 Jüdinnen und Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Die Tat erinnert an die Bücherverbrennung auf dem Berliner Bebelplatz, wo die Nazis am 10. Mai 1933 über 20.000 Bücher verbrennen ließen, die ihrer Meinung nach "undeutschen Geistes" waren. 

Deutschland | Bücherverbrennung 1933 in Berlin
1933: Nazi-Mob verbrennt Bücher auf dem BebelplatzBild: akg-images/picture-alliance

Anschläge auf Gedenkstätten in Deutschland häufen sich

Gesicherte Statistiken über die deutschlandweite Anzahl von Anschlägen gibt es nicht. Aber das Gefühl, das sie zugenommen hätten, sagt Historiker Karsten Uhl. Von Einzelfällen könne man nicht mehr reden: "Jetzt würde ich sagen, wir haben eine neue Situation: Die Fülle der Anschläge, die wir hatten, ist überraschend und schockierend", erklärt der Wissenschaftler im DW-Interview. Er ist seit einigen Monaten für die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die NS-Verbrechen tätig.

Karsten Uhl
Historiker Karsten Uhl macht die Serie der Anschläge Sorgen aber keine AngstBild: KZ-Gedenkstaette Neuengamme

Noch bis Mai war Uhl Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora , hat jahrelang im ostdeutschen Thüringen gearbeitet. Dass man nun Anschläge im Osten und Westen von Deutschland in dieser Häufigkeit registriere, zeige vor allem eines: "Diese Anschläge sind ein gesamtdeutsches Problem und nicht nur ein ostdeutsches."

Welche Rolle spielt die rechtspopulistische AfD?

"Wir haben eine rechtsextreme Szene, die sich durch die AfD gestärkt fühlt", sagt Forscher Uhl. Die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme und homophobe Partei steht in Umfragen derzeit bundesweit bei über 20 Prozent. In einigen ostdeutschen Bundesländern könnte sie stärkste Partei werden.

Uhl spricht von einem gesellschaftspolitischen Klima, in dem immer mehr Menschen, die rechte Auffassungen vertreten, offen auftreten würden: "Dieses Klima, das die AfD und ihre Unterstützer schaffen, führt vielleicht auch mit dazu, dass es nun von der verbalen Aggression hin zu aktivem Handeln geht. Noch nicht gegen Personen; aber bis hin zur schweren Sachbeschädigung."

Erst Gewalt gegen Sachen, dann gegen Menschen?

Dieser Analyse schließt sich BücherboXX-Initiator Karsten Kutt an: "Ich habe schon das Gefühl, dass die AfD die Täter zu so etwas ermutigt." Er beobachte eine zunehmend menschenfeindliche Haltung nach dem Motto: Es sei gut so, dass die Täter es den Juden, Queeren oder Homosexuellen endlich mal gezeigt hätten. 

Noch stünden Kultur- und Gedenkstätten im Fokus der Täter, sagt Forscher Uhl und nicht Menschen. Doch das könne sich ändern. Die "Feindbilder der Rechten" könnten angegriffen werden. Dazu zählten Menschen, die sich für Gleichberechtigung einsetzten, erläutert Uhl. "Oder auch Minderheiten wie Jüdinnen, Juden oder queere Menschen. Auch antifaschistische Gruppen, die sich deutlich positionieren."Tatsächlich häufen sich Gewalttaten gegen Homosexuelle oder Juden, vor allem in Berlin.

Berlin / Denkmal für verfolgte Homosexuelle
In der Nacht zum 12.8.2023 war das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin erneut zum Anschlagsziel gewordenBild: Markus C. Hurek/dpa/picture alliance

Dort wurden in der ersten Hälfte dieses Jahres mindestens 105 Straftaten oder Delikte mit antisemitischer Motivation gemeldet. Darunter 72 Taten, die klar als politisch motivierte Kriminalität von rechts zuzuordnen seien, so die Berliner Senatsverwaltung. Das Bundeskriminalamt verzeichnete für dieses Jahr deutschlandweit schon 960 antisemitische Straftaten, darunter 25 Gewalttaten gegen Menschen. 

Schnelle Aufklärung in Berlin

Mittlerweile konnte der mutmaßliche Täter der drei Anschläge in Berlin zwischen dem 12. und 14. August gefasst werden. Der 63-Jährige Deutsche war schon zuvor wegen volksverhetzender Taten aufgefallen und hatte ein krudes, antisemitisches Bekennerschreiben an den Tatorten hinterlassen, das der DW vorliegt.

Berlin | Holocaust Gedenkveranstaltung am Gleis 17
Holocaust-Gedenkstätte Gleis 17 in Berlin-GrunewaldBild: Annette Riedl/dpa/picture alliance

Für Konrad Kutt, den Macher der BücherboXX an der Gedenkstätte Gleis 17, bedeutet die Festnahme eine gewisse "Genugtuung". Doch ihm machten die "kursierenden Verschwörungen gegen Vielfalt, gegen Juden, gegen Homosexuelle" zunehmend Sorgen. Entmutigen lassen will sich Kutt aber nicht: "Wir haben sehr viel Solidarität erlebt und Spenden bekommen. Wir bauen die Box wieder auf!"

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online