Anhänger al-Sadrs stürmen Regierungspalast
29. August 2022"Ich habe beschlossen, mich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen, deshalb kündige ich jetzt meinen endgültigen Rückzug an", erklärte Muktada al-Sadr auf Twitter. Er werde auch mit wenigen Ausnahmen alle mit seinem Namen und dem Namen seiner Familie verbundenen Institutionen schließen, kündigte der 48-jährige Geistliche an.
Kurze Zeit später stürmten aufgebrachte al Sadr-Anhänger den Palast der Republik in Bagdad. Tausende weitere, wütende Anhänger machten sich auf in Richtung der eigentlich hoch gesicherten Grünen Zone, in der Regierungsgebäude und Botschaften liegen. Einige trugen Fotos al-Sadrs.
"Dies ist eine Revolution des Volks, keine Sadristen-Bewegung", riefen einige. Andere forderten den "Sturz des Regimes". Die Protestler beseitigten Barrieren, während Sicherheitskräfte versuchten, die Menge mit Wasserwerfern und Tränengas auseinanderzutreiben. Videos zeigten bald darauf eine jubelnde Menge in den Räumen des Regierungspalasts, in dem sich unter anderem das Büro von Ministerpräsident Mustafa al-Kasimi befindet.
Viele Tote und Verletzte
Ärzte berichten derweil von zwölf Toten und mehr als 250 Verletzten. Offizielle Stellen bestätigten die Angaben bislang nicht. Die Behörden verhängten eine landesweite Ausgangssperre.
Al-Sadr kündigte Medienberichten zufolge einen Hungerstreik an, um ein Ende der Gewalt zu erzwingen.
Damit spitzt sich die politische Krise im Irak weiter zu, nachdem Demonstranten vor einem Monat bereits in das Parlamentsgebäude eingedrungen waren. Auch rund zehn Monate nach der Parlamentswahl können sich die Parteien weder auf einen Präsidenten noch einen Regierungschef einigen, während das Land unter einer Wirtschaftskrise, Inflation und Korruption ächzt.
Politische Pattsituation lähmt den Irak
Al-Sadrs Bewegung ging bei der Wahl als klarer Sieger hervor, konnte jedoch nicht die wichtige Zweidrittelmehrheit erreichen, die für die Präsidentenwahl erforderlich ist. Erst mit der Unterstützung des Staatschefs kann eine neue Regierung gebildet werden. Damit entstand eine politische Pattsituation.
Al-Sadr hat damit vorerst seinen Versuch aufgegeben, das politische System im Irak mit Hilfe des Parlaments zu ändern. Die USA hatten nach dem Sturz von Langzeitdiktator Saddam Hussein ein Proporzsystem eingeführt, wonach der Präsident immer ein Kurde, der Ministerpräsident ein Schiit und der Parlamentspräsident ein Sunnit ist. Außerdem wollte al-Sadr den Einfluss schiitischer Parteien zurückdrängen, die vom Iran unterstützt werden.
Mit "Druck von der Straße" und einer Stürmung des Parlaments wollte die Al-Sadr-Bewegung schließlich verhindern, dass ihre politischen Gegner um Ex-Regierungschef Nuri al-Maliki, die eine große Nähe zum Iran haben, eine Regierung bilden können. Zuletzt hatte der 48 Jahre alte Religionsführer Neuwahlen gefordert.
uh/qu/ehl (dpa, afp, rtr)