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Anfang vom Ende der Wehrpflicht?

Andreas Noll 20. Oktober 2003

Der Streit um die Wehrpflicht in Deutschland dauert an. Die Mehrheit der Politiker lehnt den Wechsel von der Wehrpflicht- zur Berufsarmee ab. Und doch könnte der Wehrpflicht ein baldiges Ende drohen.

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Wehrpflichtige, Freiwillige oder Berufssoldaten?Bild: AP

Die neue Streitkräfte-Reform von Verteidigungsminister Peter Struck könnte auf eine Abschaffung der Wehrpflicht hinauslaufen. Denn weil die Bundeswehr aus Budgetzwängen die Personalkosten reduzieren muss, plant der Minister, künftig deutlich weniger Rekruten einzuziehen. Dabei hat sein Ministerium bereits zum 1. Juli verschärfte Anforderungen beschlossen: Wer Plattfüße hat oder kurzsichtig ist, war bislang für die Bundeswehr verwendbar. Seit Sommer 2003 ist er es nicht mehr. Auch Verheiratete oder Männer, die älter als 23 sind, lassen die Streitkräfte unbehelligt. Struck genügt das nicht - mit einem neuen Konzept will er die Zahl der Rekruten weiter drücken.

Benötigt werden Spezialisten

Tenor des Konzepts: Die Bundeswehr braucht für ihre Missionen hauptsächlich gut ausgebildete Spezialisten und deutlich weniger Wehrpflichtige als bislang. "Auswahlwehrpflicht" nennt Struck seinen neuen Plan, der auf einem alten Konzept beruht. Die so genannte Weizsäcker-Kommission machte sich vor vier Jahren schon einmal Gedanken über eine Reform der Streitkräfte. Große Teile der Kommission forderten das Ende der Wehrpflicht, doch der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping protestierte. Aus der Not wurde in der Kommission eben jene Idee der Auswahlwehrpflicht geboren. Die Experten empfahlen, die Zahl der Rekruten um mehr als 100.000 jährlich zu reduzieren und nur noch 30.000 junge Männer für die Bundeswehr auszuwählen.

Das Problem Wehrgerechtigkeit wollten die Experten um den Altbundespräsidenten mit einem Trick umschiffen. Die Wehrpflichtigen sollten mehr Geld bekommen oder anderweitig - zum Beispiel mit Vorzügen bei der Studienplatzwahl - belohnt werden. Doch Experten sind überzeugt, dass solche Bonbons nicht ausreichen, um die massive Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Wenn 60 bis 70 Prozent eines Jahrgangs keinen Dienst leisten müssten, dann sei dies mit dem Grundgesetz nicht zu machen, sagt zum Beispiel der Verfassungsrechtler Knut Ipsen.

Ende des Zivildienstes?

Doch abschaffen kann Struck die Wehrpflicht auch nicht so einfach. In den Volksparteien gibt es weiterhin keine Mehrheit für eine Berufsarmee. Außerdem bietet die Wehrpflicht der Bundeswehr eine willkommene Möglichkeit zur Nachwuchsgewinnung. Schließlich würde mit dem Ende der Wehrpflicht auch der Zivildienst wegfallen. Für die Sozialverbände eine bittere Vorstellung. Aber auch sie fürchten, dass sich die Wehrpflicht in Deutschland nicht mehr lange halten kann.

Während die Sozialverbände deutliche Einschnitte erwarten, könnte die Bundeswehr durch die neue Wehrpflicht in die glückliche Lage versetzt werden, bei der Rekrutierung nur noch auf Freiwillige zurückgreifen zu müssen. Eine Überlegung, die auch im Verteidigungsministerium nicht ganz unbekannt sein dürfte. Ob nun durch das Bundesverfassungsgericht oder als "natürlicher Prozess": das Ende der Wehrpflicht könnte mit dem Auswahldienst ein Stück näher gerückt sein.