Andrea Camilleri: Der Dieb der süßen Dinge
28. Juni 2003Des Autors Held nämlich, Commissario Salvo Montalbano, ist ein Feinschmecker, der zwischen die Ermittlungen gerne ein üppiges - und ausführlich beschriebenes - Mahl in seinem Stammlokal schiebt oder bei Zeugen wie zufällig zur Essenszeit erscheint.
Später Durchbruch
Ein Genießer auch bei Sex und guten Büchern, einer, der mehr mit Herzblut als den Vorschriften entsprechend ermittelt - ein Sizilianer eben. Dieser intelligenten und belesenen Figur verdankt Andrea Camilleri, selbst gebürtiger Sizilianer, seinen großen, wenn auch späten Durchbruch.
Denn erst als der Drehbuchautor, Regisseur und Verfasser von historischen Romanen und Burlesken sich Mitte der neunziger Jahre dem Krimi-Genre zuwandte, katapultierte er sich auf die italienischen Bestsellerlisten. 1998 belegte der 73jährige gar acht der ersten 10 Plätze. Und im vergangenen Jahr eroberte er auch die deutschen Leserherzen.
Ort der Handlung: Sizilien
Jetzt also liegt der dritte Montalbano-Krimi übersetzt vor. Und der spielt - natürlich - auf Sizilien, in dem fiktiven Örtchen Vigata. Gleich zwei Morde stehen am Anfang, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben: Auf einem Fischerboot wird bei einer nächtlichen Ausfahrt unter mysteriösen Umständen ein tunesischer Matrose erschossen und gleichzeitig wird ein Geschäftsmann namens Lapecora im Aufzug seines Hauses erstochen aufgefunden.
Montalbano ermittelt zunächst im Fall Lapecora, stellt schnell fest, dass der - obwohl im Ruhestand - noch regelmäßig sein Büro frequentierte, allerdings nicht, um zu arbeiten, sondern um sich den Freuden der Liebe mit seiner Putzfrau hinzugeben.
Trügerischer Schein
Hin und wieder taucht in diesem Büro auch der Neffe des Geschäftsmanns auf, während zu Hause die betrogene Ehefrau anonyme Briefe erhält. Und doch ist alles ganz anders als es scheint: Der Neffe ist kein Neffe, die Ehefrau nicht nur bedauernswertes Opfer; das Doppelleben des alternden Lapecora hatte schon vor dem Mord einen hohen Preis.
Und Putzfrau Karima, eine attraktive Tunesierin mit Nebeneinkünften - der versierte Krimileser ahnt es - ist das Bindeglied zu Mord Nummer zwei. Mit dem der Fall schließlich eine politische Dimension bekommt, in den auch sogenannte Staatsdiener verwickelt sind.
Lokalkolorit sizilianischen Lebens
Ohne die Mafia als Bösewicht zu strapazieren, ist Camilleri mit dem "Dieb der süßen Dinge" ein Roman gelungen, der - wie schon die beiden Vorgänger "Die Form des Wassers" und "Der Hund aus Terracotta" – eine spannende Story mit dem Lokal-Kolorit sizilianischen Lebens verbindet.
Wenn auch die eigentümliche Sprache in der Übersetzung nur noch schwer nachvollziehbar ist - im Original eine Mischung aus Dialekt und Hochsprache - erschließt sich dem deutschen Leser wieder einmal eine italienische Region über einen Krimi-Autor: Nach Venedig durch Donna Leon und Florenz durch Magdalen Nabb nun Sizilien.
Sperriger Charakter
Doch im Gegensatz zu den beiden Damen, Amerikanerin die eine und Engländerin die andere, ist Camilleri gebürtiger Sizilianer mit Wohnsitz in Rom. Und sein Commissario - wiewohl er die Leidenschaft fürs Essen mit seinen beiden literarischen Kollegen Brunetti und Guarnaccia teilt - ist aus einem etwas anderen Holz geschnitzt, alles in allem sperriger und zuweilen etwas neben der Spur, in den Augen mancher Kollegen gar komplett verrückt.
Dem trauten Familienleben - sicherer Hafen für Brunetti und Guarnaccia - ist er bisher tunlichst aus dem Weg gegangen. Doch das wird sich im nächsten Band möglicherweise ändern, der Heiratsantrag ist schon ausgesprochen.
Ein ernstes Problem übrigens für die sizilianischen Montalbano-Fans, die strikt gegen eine Ehe mit der norditalienischen Geliebten sind. Schließlich, so haben sie den Autor auf einer Lesereise wissen lassen, gäbe es auf Sizilien nette Mädchen genug. Der Commissario, soviel ist gewiss, wird auch diesen schwierigen Fall lösen.
Andrea Camilleri
Der Dieb der süßen Dinge
Lübbe, 2000
ISBN 3785715137
EUR 17.00