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Allmendinger: "Ich war oft eine Quotenfrau"

Johanna Schmeller20. November 2013

Solange die Unterschiede zwischen Erwerbsarbeit und Hausarbeit nicht strukturell angeglichen werden, kann von Gleichberechtigung keine Rede sein - sagt Arbeitssoziologin Jutta Allmendinger im DW-Gespräch.

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Prof. Dr. Jutta Allmendinger Foto: David Ausserhofer
Bild: David Ausserhofer

DW: 22 Prozent - um fast ein Viertel unterscheiden sich die Gehälter von Männern und Frauen in Deutschland. Damit liegen wir europaweit auf dem vierten Platz einer Negativstatistik, hinter Estland und Tschechien. Klingt erst einmal gigantisch hoch...

Jutta Allmendinger: Diese 22 Prozent beziehen sich auf Unterschiede, die in unserer Sprache "unbereinigt" sind. Das heißt, wir haben hier noch zu berücksichtigen, dass Frauen eine andere, oft kürzere Berufserfahrung haben als Männer. Meist gehen sie anderen Tätigkeiten nach, arbeiten in kleineren Firmen, gehören anderen Leistungsgruppen an. Wenn wir auch diese Faktoren kontrollieren, also Männer und Frauen mit denselben Rahmenbedingungen vergleichen, können wir diesen Lohnunterschied pro Stunde um ungefähr zwei Drittel reduzieren. Heraus kommen sieben Prozent Unterschied.

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft kommt auf nur ein Prozent.

Hinter diesen ganzen Berechnungen steht ein statistischer Trick: Es ist ja gerade die Realität von Frauen, dass sie eben in anderen Berufen arbeiten, insgesamt eine kürzere Erwerbstätigkeit haben, öfter als Männer in Teilzeit arbeiten. Das heißt, dass uns die unbereinigten Zahlen - also 22 Prozent - hier mehr Auskunft über die gesellschaftliche Wirklichkeit geben als die strukturell bereinigte Größe von nur sieben Prozent.

Wenn man dann - wie das Institut der deutschen Wirtschaft - aber immer mehr Faktoren, die Männer und Frauen voneinander unterscheiden, mit in die statistischen Kontrollen einbezieht, kann man den Unterschied weiter verkleinern. Familienstand, Leistungsgruppe, befristeter oder unbefristeter Ausbildungsvertrag, Zulagen - je mehr man kontrolliert, desto niedriger ist der Unterschied im tatsächlichen Stundenlohn. Aber desto weniger greifen diese Berechnungen die Realität von Frauen, das ist mir schon ganz wichtig. Wenn wir nach Stundenlohn-Unterschieden fragen, hat das nichts damit zu tun, wie viel Frauen am Ende des Monats in der Tasche haben - weil sie wesentlich häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer.

Italien steht in Europa am besten da. Warum denn Italien und nicht zum Beispiel Frankreich?

Italien hat eine ganz andere soziale Wohlfahrtsstaatsstrategie. In Italien sind wesentlich weniger Frauen erwerbstätig als in Deutschland. Das heißt, wenn sie Kinder bekommen, scheiden sie aus dem Arbeitsmarkt aus. Die verbleibenden haben keine Kinder, arbeiten oft Vollzeit. Eine der vielen Komponenten, die den großen Einkommensunterschied in Deutschland mit beeinflusst - nämlich die Teilzeiterwerbstätigkeit - liegt in Italien in einem wesentlich geringerem Maße vor als beispielsweise in Frankreich, wo viele Frauen auch öfter teilzeiterwerbstätig sind.

In Deutschland werden auch immer weniger Kinder geboren. Zugleich sprechen Soziologen von einer erfolgsorientierten "Generation Y", die auf den Arbeitsmarkt drängt. Wird sich damit das Problem in den kommenden Jahren von alleine erledigen, wenn immer mehr Menschen in Rente gehen und immer mehr qualifizierte Frauen nach rücken?

Nein. Wir sehen schon jetzt, dass Frauen im Durchschnitt höher qualifiziert sind als Männer, und es ist nicht die erste Generation, bei der das so war - es ist schon die dritte. Wenn wir nicht substantiell daran gehen, den Unterschied zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, zwischen Erwerbsarbeit und Hausarbeit, zwischen Frauen und Männern gleicher zu schneiden, kommen wir an dieser Problematik nicht vorbei. Das wächst sich nicht heraus. Wir brauchen neue arbeitsmarktpolitische Rahmenbedingungen.

Was müsste sich ändern, damit sich die Gehälter angleichen?

Männer arbeiten nach der Geburt ihrer Kinder auch heute noch mehr als Vollzeit. Frauen gehen auf Teilzeitstellen, aus denen sie kaum wieder herauskommen. Das ist der erste Punkt, der sich ändern müsste: Frauen sollten ein bisschen mehr arbeiten als im Moment, Männer etwas weniger. Die bezahlte Zeit, die bezahlte Arbeit zwischen Männern und Frauen sollte sich anpassen.

Zweitens: Die Berufe von Männern und Frauen müssten sich angleichen. Die Berufe von Frauen erbringen derzeit ein geringeres durchschnittliches Einkommen als Berufe, die hauptsächlich Männer haben.

Haben Sie in ihrer eigenen Karriere Nachteile gespürt weil sie eine Frau sind?

Das ist eine Frage, die oft an mich gestellt wird und die außerordentlich schwierig zu beantworten ist. Man kann jetzt annehmen , dass ich sehr, sehr oft eine Quotenfrau war - aber das bekommt man ja nicht gesagt. Insofern glaube ich, dass die tatsächlichen Unterschiede viel größer sind als jene die ich wahrnehme.

Jutta Allmendinger ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin.