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Provokateur ohne Pass

Aygül Cizmecioglu28. März 2014

Er ist der bekannteste Künstler Chinas - und der wohl unbequemste. Deswegen darf Ai Weiwei sein Land nicht verlassen. Der Westen feiert ihn dagegen - jetzt mit einer großen Einzelausstellung in Berlin.

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Ai Weiwei
Bild: Gao Yuan/MartinGropius Bau

Kurz vor der Eröffnung liegt eine stoische Ruhe in den Ausstellungsräumen. 6000 Holzhocker werden präzise im Lichthof des Martin-Gropius-Baus platziert, tonnenschwere Marmorblöcke gehievt und Pläne herumgereicht. Keine Hektik, kein Stress. Und das, obwohl die 20 Container mit den Werken von Ai Weiwei mit einer Woche Verspätung in Berlin ankamen. Ein Pazifiksturm war der Grund. "Wir planen solche Verzögerungen von vornherein mit ein", erklärt Garang. Der 39-Jährige ist einer von fünf Mitarbeitern des chinesischen Kunststars.

Aufbau ohne Künstler

Sie bauen für Ai Weiwei die Ausstellung in Berlin auf. Es ist weltweit die größte Einzelschau mit seinen Arbeiten - rund 34 raumgroße Installationen, Skulpturen, mehr als die Hälfte eigens für den Martin-Gropius-Bau kreiert. "Er hat uns genaue Pläne mitgegeben", sagt Garang. "Wir machen abends immer Fotos und mailen diese ihm. Nach seinen Wünschen bauen wir dann am nächsten Tag weiter auf." Die künstlerische Task Force ist notwendig, weil Ai Weiwei China nicht verlassen darf. Er hat keinen Pass, die Behörden weigern sich seit drei Jahren, ihm einen auszustellen.

2011 wurde er unter fadenscheinigen Gründen verhaftet, für drei Monate in ein Geheimgefängnis gesteckt. Den Machthabern in Peking passte die allzu medienwirksame Kritik ihres berühmten Künstlers nicht. Ai Weiwei forderte in seinem Blog offensiv mehr Meinungsfreiheit, prangerte in seinen Werken das Korruptionsnetz in China an.

Ai Weiwei Mitarbeiter
Eingespieltes Team, weltweit unterwegs - die Task Force von Ai WeiweiBild: DW/A. Cizmecioglu

"Deswegen darf er dort auch seine Kunst nicht zeigen. Er darf sich öffentlich nicht äußern, alles wird wegzensiert", meint Gereon Sievernich. Der Direktor des Martin-Gropius-Baus hat während der zweijährigen Vorbereitungszeit Ai Weiwei mehrmals in Peking besucht. "Vor seinem Atelier hängen ein Dutzend Überwachungskameras. Jeder, der da reingeht wird gefilmt."

Humor gegen Unterdrückung

Ai Weiwei versucht, diese Repressalien mit Humor auszuhebeln. Er hat knallrote Lampions an die Überwachungskameras gehängt. Seine Art, die staatliche Macht lächerlich zu machen. "Für diese Schau hat er wiederum die Kameras aus Marmor nachbauen lassen, ebenso die Zelle, in der er 81 Tage festgehalten wurde", so der Kurator. Der Ausstellungstitel ist dabei künstlerisches Programm: "Evidence" - Beweis!

Mit seinen Werken legt Ai Weiwei Zeugnis ab, reflektiert die politische Unterdrückung in seiner Heimat. Und genau damit schaffte er es, eine globale Marke zu werden, eine Art Kunstmärtyrer aus China, dessen Arbeiten auf der ganzen Welt gefeiert werden - von Berlin bis New York.

Ai Weiwei Diaoyu Inseln
Der Marmor für Ai Weiweis Arbeiten stammt aus dem gleichen Steinbruch wie der für das Mao-MausoleumBild: Ai Weiwei/Martin Gropius Bau

Aber wie funktioniert das? "Er hat einfach eine Sprache gefunden, die weltweit verstanden wird", erklärt Gereon Sievernich. "Seine Werke beziehen sich auf die gesellschaftliche Realität in China und sind gleichzeitig absolut sinnlich." Ästhetische Überwältigung statt verkopfte Kunst - die Rechnung scheint aufzugehen, auch in der Berliner Ausstellung.

Fahrräder als Metapher

Der Besucher kann hier um marmorne Inseln schlendern - eine Nachbildung jener Eilands, um die sich China und Japan seit Jahren heftig streiten. Im Eingangsvestibül des Martin-Gropius-Baus hängt eine riesige, lichtdurchflutete Fahrrad-Installation von Ai Weiwei. 150 Drahtesel, zusammengeschweißt zu einer Mega-Metapher.

"Früher sah man auf Chinas Straßen überall Fahrräder und es gab nur eine kleine Spur für Autos", meint Gereon Sievernich. "Heute ist es umgekehrt. In Peking Fahrrad zu fahren ist inzwischen lebensgefährlich. Wegen des Autoverkehrs und der Luftverschmutzung." Der Wandel der chinesischen Gesellschaft, gefiltert durch die Kunst.

Beeindruckend ist vor allem, mit welcher Präzision Ai Weiwei die Museumsräume mit seinen Werken auslotet, ihre Wirkung über tausende Kilometer Entfernung passgenau für Berlin kalkuliert hat. "Den Martin-Gropius-Bau hat er noch nie von innen gesehen", sagt der Direktor. Gereon Sievernich schickte ihm im Vorfeld Fotos und Pläne des historischen Gebäudes. "Ai Weiwei ist ja auch Architekt. Vielleicht rührt sein außergewöhnliches Raumgefühl daher."

Globale Kunstmarke

Der 57-Jährige hat inzwischen Erfahrung damit, von Peking aus die internationale Museumslandschaft zu bespielen. Genau dafür braucht er Helfer wie Garang. Er und die anderen Tischler und Metallarbeiter gehören seit Jahren zu Ai Weiweis Team. Sie haben auch 2013 in Abwesenheit des Künstlers seine Installation auf der Biennale in Venedig aufgebaut.

Doch fragt man sie nach den Widersprüchen, hüllen sie sich in zurückhaltendes Schweigen. Warum darf Ai Weiwei China nicht verlassen, seine Werke dort nicht zeigen, aber diese ohne Probleme im Ausland präsentieren? Ist er eine Art künstlerisches Feigenblatt für die Kommunistische Partei? So als wollte China der Welt sagen: Schaut her, er darf doch arbeiten, sich vom Westen feiern lassen. Nur für uns ist seine Kunst nicht gut genug!

Ai Weiwei Aufbau Stools nah
6000 Holzhocker aus der Ming- und Qing-DynastieBild: Mathias Völzke

Ausreise ohne Rückkehr?

Fakt ist, dass die chinesischen Behörden, alles daran setzen, Ai Weiwei im eigenen Land zu diffamieren. Er wird als "Pornograf" beschimpft und in großangelegten Kampagnen als "Krimineller" und "Spion des Westens" denunziert. "Die Regierung in Peking würde ihn liebend gerne ausreisen lassen, aber mit dem Versprechen, dass er nie wieder zurückkehrt", glaubt Gereon Sievernich. Aber genau das will Ai Weiwei nicht. "Er möchte als Bürger Chinas hin- und herreisen können. Und frei seine Meinung äußern."

Inzwischen versucht auch eine Initiative von Berliner Kulturinstitutionen politisch Druck aufzubauen. Ihr Appell richtet sich direkt an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich bei der chinesischen Regierung persönlich für die Reisefreiheit von Ai Weiwei einsetzen soll. Ob der Künstler bei der Eröffnung seiner eigenen Ausstellung dabei sein wird, ist bis jetzt noch ungewiss. Humor hat Ai Weiwei schon mal bewiesen. Und den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping zu seiner Berliner Schau eingeladen.