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Politik

Afghanische Flüchtlinge im Kosovo gestrandet

Teri Schultz
28. August 2022

Afghanische Evakuierte, die nach US-Angaben nur vorübergehend im Kosovo untergebracht werden sollten, sind ein Jahr später immer noch dort. Teri Schultz über einen Mann, der sich wie ein Häftling fühlt.

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Menschen, auf dem Boden sitzend, halten Schilder hoch
Afghanische Flüchtlinge im Kosovo protestieren gegen ihre SituationBild: Muhammad Arif Sarwari/AP Photo/picture alliance

Zwei Wochen nachdem die Taliban im August 2021 Kabul zurückerobert hatten, begrüßten Diplomaten und US-Soldaten im Kosovo Afghanen, die wegen ihrer Arbeit mit den Vereinigten Staaten und verbündeten Regierungen aus ihrem Land ausgeflogen worden waren. Sie wurden mit offenen Armen in neu gebauten Unterkünften empfangen. Camp Liya, das neben der US-Armeebasis Camp Bondsteel errichtet wurde, würde kurzzeitig ihr Zuhause sein, während Washington ihre Umsiedlung in die Vereinigten Staaten oder ein Drittland arrangierte.

"Wir fühlen uns geehrt, afghanischen Flüchtlingen helfen zu können, die für die NATO gearbeitet haben", begrüßte der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti am 29. August 2021 die ersten Ankömmlinge am Flughafen. "Sie haben verzweifelt ihre Heimat und ihr Land verlassen. Aber wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass sie hier sicher sind."

Und John Kirby, der damalige Sprecher des Pentagon, erklärte, das mit dem Kosovo unterzeichnete Abkommen verpflichte die USA, Afghanen, die dort untergebracht seien, "innerhalb von 365 Tagen in die Vereinigten Staaten oder in ein Drittland umzusiedeln".

Liya besteht immer noch

Der Plan, Camp Liya innerhalb eines Jahres aufzulösen, konnte nicht umgesetzt werden. Obwohl viele hundert Afghanen schnell wieder weiterreisten, weil sie US-Visa oder Angebote erhielten, in einem anderen Land zu leben, sitzen andere weiter dort fest. Ihre Anträge wurden von den US-Behörden entweder abgelehnt oder es wurde überhaupt keine Entscheidung getroffen.

Zwei afghanische Frauen, denen aus dem Frachtraum eines Flugzeugs geholfen wird
Ankunft im Camp LiyaBild: Sgt. Gillian McCreedy, US Defense Dept

"Manche sind depressiv, manche haben psychische Probleme", beschreibt ein evakuierter Afghane die Situation der DW und bittet wegen Sicherheitsrisiken um Anonymität. "Sie sagten uns, dass wir ein paar Monate hier bleiben würden, aber jetzt ist es fast ein Jahr. Nach acht Monaten sagten sie: "'Du bist nicht berechtigt, nach Amerika zu gehen.' Wir fragen sie nach dem Grund, und den haben sie uns nicht gesagt."

Den Flüchtlingen wurde anfangs offenbar vermittelt, dass sie Gäste seien, aber dieser Mann sagte, jetzt fühle es sich an wie ein Gefängnis. Die Menschen dürften das Camp nicht verlassen, es sei denn, sie würden ihr Recht auf Rückkehr aufgeben. Sie könnten nicht arbeiten, um Geld für ihre Familien zu verdienen, die in vielen Fällen nicht mit ihnen das Lager verlassen dürften. Er macht sich Sorgen, dass seine Kinder hungern. Und nach einer Weile fügt er hinzu, dass es sich wegen der fehlenden Informationen sogar noch schlimmer anfühle als im Gefängnis.

"Ein Häftling kann Zugang zu Unterlagen haben und nach seinem Fall fragen, warum er hier ist, wie lange er in Haft sein wird", so der Mann. "Wenn wir das fragen, geben sie uns keine Antwort, warum wir in diesem Lager sind und wie lange."

Behandlung "einfach schockierend"

Anfang dieses Sommers wurde die Verzweiflung im Camp immer größer. Viele Menschen protestierten mit Schildern mit der Aufschrift "Frauen und Kinder leiden" und "Wir wollen Gerechtigkeit".

Pinwand mit Beschwerden: zum Beispiel "Unfaire Entscheidung", "Frauen und Kinder leiden", Menschenrechtsverletzungen
Pinwand der BeschwerdenBild: Muhammad Arif Sarwari/AP Photo/picture alliance

Die meisten, deren Visumanträge abgelehnt wurden, haben keine Anwälte, um ihre Fälle bei der US-Regierung vorzubringen. Einer der Camp-Bewohner ist der ehemalige afghanische Geheimdienstchef Mohammad Arif Sarwari. Er gehörte zu den ersten Afghanen, die sich mit den US-Streitkräften koordinierten, als sie nach dem 11. September in Afghanistan einmarschierten.

Damals war Julie Sirrs Nachrichtenanalystin im US-Verteidigungsministerium, sie lernte Sarwari kennen, als sie in Afghanistan arbeitete. Später wurde sie Anwältin. Als sie letztes Jahr erfuhr, dass sein Leben durch die Rückkehr der Taliban in Gefahr war, beschloss Sirrs, dass sie ihn bei seinem Versuch, sich in den Vereinigten Staaten niederzulassen, vertreten würde. Damit will sie sich für seine Hilfe vor Jahrzehnten revanchieren.

"Er hat mein Leben und das vieler anderer Amerikaner beschützt", sagte Sirrs der DW. "Er war der Hauptkontakt für das CIA-Team, das unmittelbar nach dem 11. September eintraf. Ich glaube nicht, dass es jemanden in Afghanistan gibt, der mehr getan hat als Herr Sarwari, um den Vereinigten Staaten zu helfen."

Julie Sirrs vor einer Bücherwand
Will sich für Hilfe in Afghanistan revanchieren: Anwältin Julie SirrsBild: privat

Sirrs wundert sich, dass ihr Mandant für ein US-Visum abgelehnt wurde, und ist frustriert, dass sie nur sehr wenige Informationen über seinen Fall erhält. "Ich denke, dieser Umgang ist höchst unangemessen, besonders in Fällen wie dem meines Mandanten, der unter großer Lebensgefahr enorme Hilfe geleistet hat", sagte sie. Niemand bestreite die Notwendigkeit einer angemessenen Überprüfung. "Aber in einigen Fällen scheint der Prozess irgendwie schief gelaufen zu sein."

Auf die Frage zu deren Schicksal sagte der Sprecher des Außenministeriums, Ned Price, nur wenig. Es gebe immer noch eine kleine Anzahl von Menschen, die einer zusätzlichen Überprüfung unterzogen würden, so Price am 16. August. "Einige von ihnen konnten wir bereits freigeben. Es seien eben Einzelfallüberprüfungen, und das gilt für auch diejenigen, die noch dort sind."

Ein-Jahres-Frist nicht eingehalten

Die Suche nach einem Drittland für evakuierte Afghanen wird besonders schwierig, wenn US-Beamte festgestellt haben, dass sie nicht berechtigt sind, in den Vereinigten Staaten zu leben. "Das erste, was andere Länder befürchten, dass es ein Sicherheitsproblem geben könnte", sagte Sirrs, fügte aber hinzu, sie glaube nicht, dass es solche Bedenken bei Sarwari gebe. Er konnte zwar kürzlich eine Abreise von Camp Liya an einen anderen Ort aushandeln, um auf ein Umsiedlungsangebot zu warten, aber, sagte sie, kein Land habe angeboten, ihn aufzunehmen. Die Rückkehr nach Afghanistan würde für Sarwari den sicheren Tod bedeuten, wie für viele andere im Camp Liya.

Damit bleibt das Problem bei den Behörden im Kosovo. Ein Jahr, nachdem den Neuankömmlingen Sicherheit und Schutz versprochen wurde, räumte der kosovarische Premierminister Kurti bei einem Besuch in Brüssel ein, dass seine Regierung zugestimmt hatte, dass die USA die vereinbarte Frist für die Auflösung von Camp Liya zum 29. August 2022 verstreichen lassen könne. Er antwortete nicht direkt auf die Frage, ob die Menschen, die in Camp Liya bleiben, innerhalb des Kosovo umgesiedelt werden könnten.

Es sei eine humanitäre Pflicht, Menschen zu helfen, die fliehen mussten, sagte Kurti. "Auf der anderen Seite ist es unsere Pflicht gegenüber unseren Verbündeten, Partnern und Freunden - allen voran den Vereinigten Staaten - zu helfen, wenn sie in Not sind. Und das werden wir auch weiterhin tun."

Den Status quo fortzusetzen, ist genau das Gegenteil von dem, was die übrig gebliebenen Bewohner von Camp Liya wollen.

Adaptiert aus dem Englischen von Sabine Faber.