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Abzugsplan ohne Abzugsbeschluss

Peter Philipp7. Juni 2004

Das israelische Kabinett hat am Sonntag (6.6.) einem Rückzug aus dem Gazastreifen zugestimmt. Ob allerdings die jüdischen Siedlungen dort aufgelöst werden, bleibt weiter unklar. Ein Kommentar von Peter Philipp.

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Als "historisch" feiern Anhänger von Israels Regierungschef Ariel Scharon die Annahme seines "Gazaplans" durch das Kabinett. Und das auf den Tag genau 37 Jahre nach Beginn des Sechstagekrieges, in dem Israel den Gazastreifen eroberte. Ob solches Lob berechtigt ist, muss sich freilich erst noch erweisen und es gibt durchaus Grund, daran zu zweifeln.

Der Plan ist gut, seine Umsetzung aber lässt mehr als zu wünschen übrig: Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon hatte bereits vor Monaten angekündigt, er werde die israelischen Siedlungen im Gazastreifen auflösen und auch das Militär von dort abziehen, ebenso aus einem kleinen Teil des Westjordanlandes. Das gab Lob aus Washington, in seiner eigenen Partei aber erlitt der "Likud"-Chef eine Niederlage. Er ließ nicht locker, revidierte seinen Plan und konnte ihn nun wenigstens in der Regierung mit 14 gegen 7 Stimmen durchdrücken. Zuvor aber entließ Scharon zwei Minister, um die zunächst knappe Mehrheit abzusichern. Einer der beiden Kritiker, der Führer der "Nationalreligiösen", höhnte, das Ganze sei eine "Schande für die Jugendzeit Scharons".

Die darauf folgende Abstimmung war tatsächlich mehr ein Possenspiel als ernsthafte Kabinettsarbeit: So hat Scharon nun zwar eine Mehrheit gewonnen, plötzlich hat es aber niemand mehr eilig: Der Abzug könne bis Ende des kommenden Jahres durchgeführt werden, heißt es nun. Bis zum 1. März sollen die Vorbereitungen dazu abgeschlossen werden. Von einer Auflösung von Siedlungen ist jetzt schon keine Rede mehr - darüber soll nach Abschluss der Vorbereitungen abgestimmt werden: Also ein Abzugsplan ohne echten Abzugsbeschluss. Kein Wunder, dass selbst entschiedene Kritiker wie Finanzminister Benjamin Netanyahu zustimmen konnten. Ohne Auflösung und Räumung der Siedlungen dort kann Israel den Gazastreifen nicht verlassen. Warum also die Verklausulierung des Regierungsbeschlusses?

Ein Grund für dieses Vorgehen ist Scharons politischer Überlebenswille: Wäre er weiter auf Konfrontationskurs mit seinem eigenen Lager und den Koalitionspartnern gegangen, hätten ihm Sturz der Regierung und Neuwahlen gedroht. Innenpolitische Gründe allein können es aber nicht gewesen sein. Scharon hatte den Gazaplan als einseitige israelische Maßnahme angekündigt, weil die Palästinenser bisher weder in der Lage noch Willens seien, eine Regelung mit Israel auszuhandeln. Jetzt aber will man - unter anderem - das weitere palästinensische Verhalten bis zum nächsten Jahr beobachten und den endgültigen Beschluss dann davon abhängig machen.

In einem Jahr aber kann viel geschehen, vor allem im Nahen Osten - das wissen alle Beteiligten. Die Gegner des Abzugsplans stimmt genau dies versöhnlich. Und auch Scharon hat sich deswegen nichts vergeben. Er kann inzwischen aber gegenüber der Welt und besonders den USA damit werben, dass er einen ersten ernsthaften Rückzug aus besetzten Gebieten vorhabe. Ein Rückzug, den man gerade von ihm nicht erwartet hatte. Aber was heißt hier "Rückzug"? Solange er nicht stattgefunden hat, ist dies nur eine leere Worthülse. Daran können politische Winkelzüge und Kabinettsbeschlüsse in Jerusalem nichts ändern.