1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Rumänische Ärztin: "Ich fühle mich bedroht!"

Cristian Stefanescu
18. Dezember 2020

Ein Drittel der rumänischen Ärzte arbeitet im Ausland. Cristian Stefanescu hat mit Medizinern gesprochen, die in Rumänien geblieben sind und unter harten Bedingungen gegen Covid kämpfen.

https://p.dw.com/p/3mtRe
Neue Intensivbetten in Bukarest - doch überall im Land fehlt es an Personal
Neue Intensivbetten in Bukarest - doch überall im Land fehlt es an Personal Bild: Cristian Stefanescu/DW

"Ich bin darauf vorbereitet, als Intensivmedizinerin Menschenleben zu retten. Worauf ich aber nicht vorbereitet war: mein eigenes Leben dafür zu riskieren", sagt Dana Tomescu. Die Chefärztin der Abteilung Nr. 3 für Anästhesie und Intensivmedizin der Klinik Fundeni in Bukarest unterbricht den DW-Reporter mitten in der ersten Frage, wie sie die Zeit der Pandemie erlebe: Sie fühle sich "bedroht". Seit Monaten kämpft sie rund um die Uhr um das Leben von Covid-Patienten mit besonders schweren Krankheitsverläufen: "Die Ängste, die ich am Anfang hatte, vor dem ersten Kontakt mit Covid-Patienten, haben inzwischen abgenommen. Doch verschwunden sind sie nicht."

Hohe Covid-Sterblichkeitsrate in den Reihen des medizinischen Personals 

Im östlichen EU-Land Rumänien ist die Sterblichkeitsrate bei Covid hoch - auch in den Reihen des medizinischen Personals. Die Gewerkschaft "Solidaritatea Sanitara" berichtete Anfang Dezember von durchschnittlich 6,8 Todesfällen pro 1000 Infektionen in diesen Berufsgruppen - eine höhere Rate als bei gleichaltrigen Personen, die in anderen Jobs arbeiten. 

Mehrere Ärzte, mit denen die DW sprach, berichten von Chaos, Missmanagement, Korruption und mangelhaften Schutzvorkehrungen: "Der Großteil der Masken, die wir verwenden, sind eigentlich für den Bau gedacht, auf ihnen steht explizit: not for medical use. Sie filtern Staub, Rauch - aber schützen leider nicht vor Covid. Die Leute auf der Straße sind besser geschützt als wir", sagt ein Arzt, der in einem anderen Krankenhaus in Rumänien arbeitet. Er möchte anonym bleiben, so wie die meisten der Ärzte, mit denen die DW über die Pandemie gesprochen hat. Viele von ihnen begründen den Wunsch nach Anonymität mit dem diktatorischen Stil der Krankenhaus-Manager. Sie befürchten Repressalien von Seiten der oftmals nach politischen Kriterien und auf der Basis von Günstlingswirtschaft ernannten Vorgesetzten.

Der Brand im Kreiskrankenhaus Piatra Neamt
Beim Brand im Kreiskrankenhaus Piatra Neamt am 14. November wurde ein junger Arzt lebensgefährlich verletzt, weil er Covid-Patienten aus den Flammen retten wollteBild: picture alliance/AP Photo

Dass Günstlingswirtschaft und schlechtes Management tödliche Folgen haben können, zeigt die Tragödie im Kreiskrankenhaus in Piatra Neamt, einer kleinen Stadt im Osten Rumäniens: Im November sind dort 15 Patienten bei einem Brand auf der Intensivstation gestorben. Cătălin Denciu, der mutige Arzt, der sie aus den Flammen retten wollte, wird wegen seiner lebensbedrohlichen Brandwunden in einem belgischen Krankenhaus behandelt.

"Die Ärzte haben das Land verlassen" 

Schon vor der Corona-Pandemie war das rumänische Gesundheitssystem chronisch unterfinanziert. Rumänien gibt nur zwischen 5 und 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dafür aus, etwa die Hälfte des EU-Mittelwerts. Die Klinik Fundeni, in der Dana Tomescu arbeitet, gehört zu den besten des Landes und ist ein besonders positiver Fall: Mit der Hilfe von Spenden wurden Container mit zusätzlichen Intensivbetten mitsamt der nötigen technischen Ausstattung auf dem Grundstück des Krankenhauses aufgestellt, um die immer höhere Zahl an Covid-Patienten behandeln zu können. "Doch es fehlt an Personal", beklagt Dana Tomescu.

"Schließlich sind es nicht die Betten, die Patienten behandeln!", betont auch eine andere Ärztin, die in Rumänien arbeitet, im DW-Gespräch. "Man kann auch 7000 neue Intensivbetten aufbauen, ohne das Problem zu lösen, denn es gibt nicht genug Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, die sich um diese Intensiv-Patienten kümmern könnten. Die Ärzte haben das Land verlassen", erzählt sie verbittert.

Ein Drittel der in Rumänien ausgebildeten Ärzte arbeitet im Ausland, zeigt eine Studie der OECD von Mai 2020. Rumänien hat damit die weltweit höchste Emigrationsrate von Ärzten, gefolgt von Simbabwe, Belize und der Dominikanischen Republik. Nach Angaben der Bundesärztekammer kommen die meisten ausländischen Ärzte, die in Deutschland arbeiten, aus Rumänien (Stand: 2019).

"Ich würde die Corona-Skeptiker mal zu uns in die Intensivstation einladen" 

Neben den im europäischen Vergleich niedrigen Gehältern und den schlechten Arbeitsbedingungen kämpfen rumänische Ärzte in der Pandemie auch mit den absurden Anschuldigungen der Corona-Leugner. Die brüllen auf Demos "Nieder mit der Ärzte-Diktatur!" und "Lügen-Ärzte!"

Dana Tomescu hat eine Zeichnung mit guten Wünschen von einem kleinen Mädchen bekommen
Dana Tomescu hat eine Zeichnung mit guten Wünschen von einem kleinen Mädchen bekommenBild: Cristian Ștefănescu/DW

"Das sind Leute, die nicht auf Argumente warten, denn sie wissen ja schon alles", sagt Dana Tomescu. "Ich würde die Corona-Skeptiker mal zu uns einladen, damit sie sehen, wie man mit Covid-Patienten arbeitet. Sie sollen miterleben, wie es ist, wenn wir einen Patienten verlieren, der an einer Krankheit stirbt, die wir bis vor kurzem noch gar nicht kannten." Vielleicht würden diese Corona-Leugner dann endlich verstehen, "dass sie nur ein paar kleine Gesten im Alltag machen müssen, um nicht unsere Arbeit und das Leben von anderen zu verspotten". Ganz einfache Dinge, wie Abstand halten und Hygieneregeln befolgen.

Corona-Leugner sind auch bei AUR vertreten, einer Partei am rechten Rand des politischen Spektrums, die nach den Wahlen am 6. Dezember zum ersten Mal ins rumänische Parlament einzieht. Gegen die Anti-Pandemie-Maßnahmen und die Ärzte zu wettern ist auch in rumänischen Online-Foren und Kommentar-Spalten eine Art Volkssport geworden. Die Rumänen scheinen nur noch dann positiv über Ärzte zu sprechen, wenn diese schwer verletzt ins Ausland geflogen werden - so wie der junge Arzt aus Piatra Neamt, der für seine Patienten buchstäblich durchs Feuer gegangen ist.

Adaption ins Deutsche aus zwei Artikeln von DW-Rumänisch: Dana Alexandra Scherle