Ägypten bekommt neue Verfassung
29. November 2012In Ägypten hat die Verfassungsgebende Versammlung im Schnellverfahren eine neue Verfassung durch gepeitscht. Über alle 234 Artikel sei in einer nächtlichen Marathonsitzung abgestimmt worden, teilte der Kommissionspräsident Hossam al-Ghiriani in Kairo mit. Die Abstimmung wurde live im Fernsehen übertragen.
Laut dem Verfassungsentwurf sind die "Prinzipien der Scharia", des islamischen Rechts, künftig die "wichtigste Quelle der Gesetzgebung". Staatsreligion in Ägypten demnach ist der Islam, offizielle Sprache das Arabische. Der Präsident amtiert vier Jahre und kann nur einmal wiedergewählt werden. Alle früheren Mitglieder der einstigen Regierungspartei des gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak dürfen sich für zehn Jahre nicht politisch betätigen.
Liberale und linke Mitglieder des Gremiums hatten schon länger ihre Mitarbeit in der Verfassungsgebenden Versammlung eingestellt. Die Mehrheit dort haben Muslimbrüder und Salafisten. Die Islamisten seien bei der Ausarbeitung der Verfassung nicht zu Kompromissen bereit gewesen seien, kritisierte die Opposition.
Machtkampf mit der Justiz
Ursprünglich sollte die Verfassungsversammlung mehr Zeit für ihre Arbeit bekommen. Doch dann hatte ihr Vorsitzender Ahmed Darrag am Mittwoch überraschend den Beginn der Abstimmung für Donnerstag angekündigt. Damit sollte offensichtlich auch den Oppositionellen, die zuletzt heftig gegen die erweiterten Befugnisse Mursis protestiert hatten, der Wind aus den Segeln genommen werden.
Hintergrund ist der Machtkampf zwischen dem islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi und der Justiz. Diese will am Sonntag über die Auflösung der Verfassungsgebenden Versammlung entscheiden. Nach der Verabschiedung des Verfassungsentwurfs könnte Mursi noch vor Sonntag ein landesweiteres Referendum darüber ansetzen.
Demos auf dem Tahrir-Platz
Mit der neuen Verfassung sollen auch die umstrittenen Dekrete wieder außer Kraft gesetzt werden, mit denen sich Mursi als Präsident vergangene Woche der Kontrolle der Justiz entzogen hatte. "Sobald wir eine Verfassung haben, wird alles was ich in der vergangenen Woche gemacht oder gesagt habe aufhören", versprach Mursi dem US-Magazin "Time".
Die Opposition traut dem jedoch nicht. Sie rief für diesen Freitag zu einer weiteren Massenkundgebung gegen Mursi in Kairo auf. Muslimbrüder und Salafisten kündigten ihrerseits eine Gegenkundgebung für Samstag an, allerdings nicht wie ursprünglich geplant auf dem Tahrir-Platz.
det/qu/se/kle (afp, dapd, dpa, rtr)