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Ankommen und Weitermachen

Klaus Esterluss
25. Oktober 2016

Jung, neugierig und auf der Suche nach einer besseren Welt: Ein fiktives Tagebuch über das Ankommen in der Stadt, Ideale und Realität.

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Hand mit Pflanzen
Bild: pexels/M. Spiske

Sonnabend, 01.10.
Von der Decke tropft was. Tropft schon seit ein paar Tagen, ich hab einen Eimer drunter gestellt. Ting-ting-ting. Noch musste ich ihn nicht ausleeren. Aber was drin schwappt ist braun und erdig. Vielleicht seh ich mir die Sache mal an. Vielleicht hört es vorher auch auf.

Irgendwo muss man ja anfangen. In der großen Stadt, wenn man vom platten Land kommt. Das ist so unüberschaubar. Lange bin ich noch nicht hier. Zwei Wochen? Es braucht Zeit.

Das hat auch Michael gesagt. Als er mich angerufen hat. Da war er völlig euphorisch. Das war er immer schon, schon damals in der Schule. Das wäre so abgedreht hier, eigentlich wie Zuhause, aber eben die Stadt. Eine echte Gemeinschaft hätten sie hier, alle zusammen, ein kleines Gewächshaus auf dem Dach. Diesen Sommer haben sie Gurken geerntet, urban gardening, jeder versorgt sich selbst. Das darf man nicht vergessen. Tomaten. Wenn alles gut läuft, hat Michael gesagt, dann baut er bald Maschinen, kleine Gewächshäuser für jedermann, die sich in der Küche stapeln lassen. Wände voller kleiner Gewächshäuser, halber Meter mal halber Meter, und in jedem wächst was. Dass ich kommen muss, das nächste große Ding.

Natürlich ist das nicht so einfach.

Ich hab mich aber in den nächsten Zug gesetzt, zusammengekratzt, was da war und bin auf Hauptbahnhof raus. Zuhause kann ich mein Glück nicht machen, da gibt’s nur Weite und Kühe. Das Haus hier ist eine Ruine, dafür kostet es fast nichts. Und die Gemeinschaft eben. Der Bahnhof ist nicht weit, nur paar Straßen. Man kann so schnell raus, wie man reinkommt. 

Sonntag, 02.10. 
Bei Michael, bei Hannes, bei Melanie, bei allen regnet’s durch. 
Das ist sicher gut für die Pflanzen. Aber im Sommer war’s zu trocken, sagt Hannes. Ich hab gesagt, dass ich mir das echt nicht vorstellen kann. Hannes hat das Gewächshaus oben gebaut. Hat sogar ein paar Hühner. In der Wohnung. 
Wenn das Wetter zu mies ist, sitzen wir in der Küche. So nennen wir das. Eigentlich ist es eine Ein-Zimmer-Wohnung, die sie ausgebaut haben, bevor ich da war. Melanie hat damit angefangen, sie ist am längsten in der Stadt. Die Leute kamen und gingen, Melanie blieb. Sie arbeitet in einem Restaurant, abends. Und tagsüber manchmal in einem dieser Biomärkte. Obwohl das auch nur Supermärkte sind, sagt sie. Dafür darf sie mitnehmen, was gestern übrig geblieben ist. Die schmeißen ja alles weg. Kaum zu glauben, wieviel das ist. Das ist alles noch gut. 

Von dem, was Melanie mitbringt, haben wir alle was. Hannes sagt, dass er eine App haben will, auf der alle Orte in der Stadt verzeichnet sind, an denen man für lau was ernten kann. Und dass es davon wahnsinnig viele gibt, die kennt nur keiner. Michael lacht, ist ja echt wie früher, sagt er. Sind schon als Steppkes mit dem Lastenrad über die schmalen Feldwege gefahren und haben Äpfel von den Bäumen geholt. Genau, sagt Hannes, sowas! Das muss doch gehen. Darf man doch? Michael hat ja mal auf Anwalt studiert. Der weiß das. Wenn er sich ranhält, dann schafft er den Abschluss bald.

Mensch hängt am Fenster
Bild: pexels

Morgen gehe ich mit Melanie containern. Ob man das darf haben wir Michael nicht gefragt. Aber es ist sinnvoll. Weil wir das brauchen, was wir aus den Containern bei den Supermärkten holen, und weil die’s halt einfach weghauen. Melanie auf der Tasche liegen, wer will das? Darum mache ich da mit.

Sonntag, 9.10.
Immer dieser Regen. Jede Nacht. Jede Nacht. Die Temperaturen sind zehn Grad runter, mindestens. Der Eimer ist übergelaufen und gleich nochmal übergelaufen und nochmal. Ich habe ihn ausgeleert. Aber auch draußen war alles voll Wasser. Braunes, erdiges Wasser. Das läuft die Hauswände runter und wäscht alles weg. 

Wir leben immer noch von dem, was wir letzte Woche geholt haben. Obst, Gemüse, Joghurt. Leute, das Mindesthaltbarkeitsdatum heißt nicht, dass das Zeug dann drüber ist. Das hält jetzt immer noch. Bei Fleisch muss man aufpassen, aber das essen wir eh fast nie. Kann ich nicht, wegen der Tiere. Michael und ich sind uns da ganz einig, kommen ja vom selben Dorf. Wo sie die Viecher sich selbst überlassen haben. Kaum zu fassen. Damals hatten wir das erste Mal Ärger mit den Bullen. Hausfriedensbruch, naja. Stallfriedensbruch. Aber den Sack haben sie drangekriegt mit unserem Filmmaterial. Vielleicht sollte ich sowas machen. Filmen. Irgendwie ist das alles wie das Wetter. Es gibt nur noch schwarz und weiß. Michael hat das auch gesagt. Es gibt nur noch heiß und kalt, trocken und nass. Kein grau mehr, kein dazwischen. Ist es heiß und trocken sammelt sich der Dreck. Kommt der Regen spült er den Dreck in Bächen vorbei. Menschen kümmern sich, oder sie lassen’s. Und die Temperaturen stürzen ab. Das ist trist.

Montag, 10.10.
Heute Morgen kam ein Anruf. Davon hab ich den anderen nichts gesagt. Aber ich hab mich bei 'ner Agentur beworben. Die drehen Filme. Vielleicht hab ich Glück, sie wollen mich treffen.

Montag, 17.10.
Man, so einfach ist das alles nicht. Scheiß Agentur. Haben gesagt, die Entscheidung geht schnell, geht sie aber nicht. Man soll nicht drüber nachdenken, wie in der Schule früher. Das geht nicht. Gutes Gefühl gehabt bei der Klausur, vier gekriegt. Kein gutes Gefühl gehabt, zwei. So ist das. Gutes Gefühl gehabt bei der Agentur. Nun arbeite ich halt mit Melanie. War einfach, da ran zu kommen. Sind nicht viele Schichten, da arbeiten eine Menge Leute. Aber nun können wir zusammenlegen und nehmen beide mit nach Hause, was übrig ist. 
Keine Ahnung, ob das reicht. Mir geht das alles nicht schnell genug vorwärts. Kann mich doch nicht immer nur im Kreis drehen, wie die anderen. Hannes und seine App. Klar kostet das Geld, aber die Idee, die ist doch gut. Warum macht der nichts?

So regnet es für immer durch.

Dienstag, 18.10.
Ja, Mama, sage ich am Telefon. Alles gut hier, die Stadt ist krass. Hab Freunde, gleich drei und einen Job. Ja, das wird schon. Aber nein, kommt noch nicht vorbei zu Besuch, das ist nicht vorzeigbar, ehrlich. Ein Freundin? Ich wär erstmal froh, wenn ich wüßte, was ich gegen das Tropfen tun kann. Was, Mama? Nein, tropfen, haha, da hab ich mich versprochen. Mach dir keine Sorgen, stopfen wollte ich sagen, ich hab Löcher in den Socken. Ich melde mich, ja.
 

Mittwoch, 16.11.
Ey, die lassen mich jetzt vier Wochen warten! Ich hab angerufen, Geduld sagen sie, Geduld. Das kann doch nicht wahr sein? Ehrlich, was brauch ich schon zum Leben in der Großstadt? Wenn man’s mal unterbricht. Was braucht man? Ein Telefon ja wohl, damit ich weiß, was so geht und damit ich erreichbar bin, Nachrichten schreiben. Paar Bücher hab ich mitgenommen, Netflix Abo. Essen, was zu rauchen, aber sonst? Nette Leute, dann kommt man doch überall klar, ja? Wo komm’ wir denn sonst hin, wenn man nichts versucht, oder? So viele Chancen gibt’s doch nicht, man muss es doch klar kriegen, das Leben, meine ich. 

Michael hat das nicht verstanden, als ich das gesagt habe. Was willst du, hat er gesagt, wir haben's doch ok hier. Das regelt sich schon. Wenn er fertig ist mit dem Studium, dann will er Anwalt für Energie- und Umweltrecht werden. Ich wußte nicht mal, dass es sowas gibt. Aber wenn der fertig ist, ist der 40. Das krieg ich nicht auf die Reihe. Und schon gar nicht, seit ich Luisa kenne. Nee, überhaupt nicht. Ich kann doch nicht ewig Gurken auf dem Dach anbauen, oder? Wir haben drüber gesprochen, wie man noch autarker werden kann. Aber der ganze Mist kostet so viel Geld. 

Hand mit Pflanzen
Bild: pexels

Donnerstag, 01.12.
Gott, endlich! Ich soll noch vor Weihnachten anfangen, die Agentur hat angerufen. Sie hatten wohl ein ewiges hin und her, viele Bewerber. Aber nun sagen sie, sie haben sich entscheiden. Ist mir scheißegal, warum das solange gedauert hat. Ob ich gleich morgen kommen kann, Vertrag machen. Klar kann ich. Kann ich gleich einsteigen, voll rein? Klar, auch, hab ja keine Verpflichtungen, haha. Zur Not schlafe ich bei euch, aber fordert mich nicht raus. Kleiner Scherz. 

Dienstag, 03.01.
Ich bin kaum noch Zuhause. Luise und ich werden uns eine Wohnung nehmen. Läuft gerade. Was mit Michael ist, Hannes? Melanie? Ich weiß nicht, wir sitzen nicht mehr in der Küche. Ich denke, die machen weiter wie vorher. 

Mittwoch, 04.01.
Die letzte Nacht hat's wieder aus Kübeln geregnet. Ich glaube ja nicht, dass es noch einen Winter gibt. Dafür ist es eh zu warm. Als ich heute nach Hause kam, bin ich mit Michael zusammengestoßen. Hat gesagt, dass er versteht, was ich da mache. Wir haben uns ans Fenster gesetzt. Dem Regen zugucken, wie er die Scheiben runter läuft, immer weiter und weiter. Ich werd bald ausziehen, hab ich gesagt. Michael hat genickt. Er will's jetzt auch durchziehen, sagt er. Viel hat er nicht mehr bis zum Examen. Dann will er sich besaufen und dann ins kalte Wasser rein, was eigenes aufmachen und dafür sorgen, dass die Natur eine Lobby kriegt. Wo immer ein seltener Frosch in einer Wiese sitzt, die zubetoniert werden soll, werde ich sein, sagt er mit theatralischer Geste. Wir fallen vor Lachen fast vom Fensterbrett. Aber du, sagt er, ich meine das echt ernst. Man muss solange bohren, bis es in den Köpfen ist. Ich weiß, habe ich gesagt. Und das wir nächstes Jahre Zuhause durch die Feldwege fahren und die Äpfel von den Bäumen holen müssen. So wie früher.