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Politik

Ägypten: Syrische Flüchtlinge als Verhandlungsmasse?

16. Juni 2019

Übergriffe des Staates, Rassismus aus der Gesellschaft - syrische Flüchtlinge haben in Ägypten keinen leichten Stand. Auch die Rolle der EU sei fragwürdig, sagt Ramona Lenz von Medico International im DW-Interview.

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Syrische Flüchtlinge in Ägypten El Obour
El Obour - in dem Vorort der ägyptischen Hauptstadt Kairo leben viele syrische FamilienBild: picture-alliance/dpa/P. Rigol

DW: Wie steht es generell um die syrischen Flüchtlinge in Ägypten?

Ramona Lenz: Ägypten verfügt über kein Asylverfahren. Die Behörden bieten keine Anlaufstelle für Asylsuchende. Ihnen steht in Ägypten ausschließlich das Verfahren zur Anerkennung von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention zur Verfügung, das durch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) durchgeführt wird. Einige, darunter viele syrische Staatsangehörige, verzichten auf eine Registrierung durch den UNHCR. Sie betrachten sich häufig nicht als Flüchtlinge. Viele sind in den ersten Kriegsjahren wie Touristinnen und Touristen eingereist und wollten nicht dauerhaft bleiben.

Die ägyptische Regierung rühmt sich eines besonders humanitären Umgangs mit den Flüchtlingen: So müssten diese nicht in Zeltlagern leben. Wie sehen Sie das?

Flüchtlinge leben in Ägypten oft unter erbärmlichen Bedingungen in den Armenvierteln großer Städte wie Kairo und Alexandria. Um ihre Versorgung kümmert sich nicht der ägyptische Staat, vielmehr springen der UNHCR und Hilfsorganisationen ein. Mangels Ressourcen kann jedoch nur ein Teil der Flüchtlinge unterstützt werden. Der Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung - unter Mursi [dem ehemaligen ägyptischen Präsidenten; Anm. d. Red.] war beides für syrische Flüchtlinge kostenlos - ist inzwischen extrem beschränkt. Langwierige und kostspielige Behandlungen, beispielsweise von Krebspatientinnen, sind so gut wie ausgeschlossen. Zudem gehen Sicherheitskräfte massiv gegen Geflüchtete vor. Hunderte wurden unter dem Vorwand des Anti-Terrorkampfes eingesperrt, einige deportiert. Begleitet wird das Ganze von einer rassistischen Berichterstattung.

Ramona Lenz
Ramona Lenz von medico internationalBild: Privat

Wie verhält sich die Zivilgesellschaft gegenüber den Flüchtlingen?

Seit dem Militärputsch gibt es zunehmend rassistische Übergriffe gegen Flüchtlinge. Sie werden beschuldigt, der Lokalbevölkerung Jobs und Geld wegzunehmen, ähnlich wie man Rassismus auch aus Europa kennt. Die Regierung schützt die Flüchtlinge nicht, sondern trägt mit willkürlichen Verhaftungen und Deportationen zu dem Klima der Angst bei, in dem sie in Ägypten leben müssen.

Allerdings gibt es trotz zunehmender Repressionen gegen die Zivilgesellschaft nach wie vor Organisationen, die die staatliche Verantwortungslosigkeit nicht hinnehmen und sich für Flüchtlinge einsetzen, darunter beispielsweise das Nadeem Center in Kairo oder das Kunst- und Kulturzentrum Torraha in Alexandria.

Flüchtlinge sind für einige südliche Transitländer zu einem Druckmittel geworden, ihren politischen Interessen gegenüber der EU Nachdruck zu verleihen. Gilt das auch für Ägypten?

Die Regierung unter dem aktuellen Präsidenten Al-Sisi weiß um die Verhandlungsmacht, die ihr die Flüchtlinge im Land gegenüber Europa verschaffen. Sie versteht es, die Furcht Europas vor Flüchtlingen für sich zu nutzen. So präsentiert sie sich als verlässlicher Partner Europas in der Migrationspolitik und sorgt dafür, dass kaum noch Flüchtlinge von Ägypten aus Richtung Europa aufbrechen können. Die Unterstützungsmaßnahmen der EU im Bereich "Fluchtursachenbekämpfung" dienen ihr dabei vor allem zur Bewältigung der eigenen Finanzkrise. Den Preis für diese Machtspiele zahlen die Geflüchteten, die nun in Ägypten festsitzen.

Ägypten Einwanderung Kinder
Gerettet: Flüchtlinge auf einem Boote nahe Sizilien, 2013. Die Insassen erklären, sie seien Syrer und ÄgypterBild: Getty Images/AFP/D. Azzaro

Wie beurteilen Sie die Politik der EU mit Blick auf die syrischen Flüchtlinge in Ägypten?

Die EU begeht dieselben Fehler, die sie schon mit Gaddafi und später mit anderen Unrechtsregimen begangen hat, zum Beispiel beim EU-Türkei Abkommen mit Erdogan: Sie tut alles, um Flüchtlinge und Migranten von europäischem Boden fernzuhalten und ist bereit, dafür hohe Summen auszugeben. Sie macht Diktatoren zu Türstehern Europas und schaut bei Menschenrechtsverletzungen weg. Sämtliche Deals mit Unrechtsregimen und Warlords müssen aufgekündigt werden, wenn die EU keine Mitverantwortung an diesen Menschenrechtsverletzungen tragen möchte.

Ramona Lenz ist Kulturanthropologin und in der Öffentlichkeitsarbeit von Medico International zuständig für das Thema Migration.

Das Interview führte Kersten Knipp.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika