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Kurdenpolitik Türkei

19. Oktober 2011

Der Angriff kurdischer Kämpfer auf türkische Polizei- und Militärposten führt zu einer neuen Zuspitzung des Konfliktes zwischen dem türkischen Staat und den Kämpfern der PKK.

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Kurdische Kämpfer im türkisch-irakischen Grenzgebiet (Foto: EPA/ALI ABBAS (c) dpa - Report)
Kurdische Kämpfer im türkisch-irakischen GrenzgebietBild: picture-alliance/dpa

Freudenfeiern spielten sich im kurdischen Südosten der Türkei vor genau zwei Jahren ab, am 19. Oktober 2009: Mit Jubel, Tanz und Trommeln empfingen tausende Kurden an diesem Tag die ersten PKK-Kämpfer, die auf Einladung der türkischen Regierung ihre Waffen niederlegten und aus den nordirakischen Bergen in die Türkei zurückkehrten. Die Amnestie für die Rebellen stellte den Höhepunkt der neuen Kurdenpolitik dar, die Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im vorangegangenen Frühjahr eingeleitet hatte. Eine Versöhnung nach 25-jährigem Krieg schien an jenem Morgen zum Greifen nahe zu sein. Doch bevor der Tag endete, war die Chance vertan.

Mit Siegesgesängen wurden die Rebellen damals von der kurdischen Menge an der irakischen Grenze zur Türkei begrüßt, die sie zum Schrecken der türkischen Öffentlichkeit im Kampfanzug überschritten. Im Triumphzug wurde der Rebellentrupp von der Kurdenpartei DTP auf einem Bus stundenlang durch die Straßen der Regionalhauptstadt Diyarbakir gefahren – statt der erhofften Versöhnung bekam das türkische Publikum eine Siegesfeier der PKK zu sehen. Die Stimmung im Land kippte sofort, und der erste PKK-Rückkehrertrupp blieb der einzige. Wieder einmal obsiegte die Logik des Krieges, in der es nur Sieger und Verlierer geben kann.

Jets der türkischen Luftwaffe (Foto: SANDOR UJVARI (c) dpa - Bildfunk)
Jets der türkischen LuftwaffeBild: picture-alliance/ dpa

Zuckerbrot und Peitsche

"Das Kurdenproblem ist das wichtigste Problem der Türkei," hatte Staatspräsident Abdullah Gül wenige Monate zuvor verkündet – es müsse gelöst werden, und zwar mit politischen Mitteln. Die Regierung startete eine Serie politischer Reformen zugunsten der kurdischen Minderheit, an die zuvor noch nicht einmal zu denken gewesen wäre. So darf die kurdische Sprache heute überall frei gesprochen, gedruckt und gesendet werden - der türkische Staatssender strahlt sogar selbst ein kurdisches Programm aus. Der Staat nahm Geheimgespräche mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan auf und verhandelte zeitweise sogar mit aktiven PKK-Kommandanten, wie kürzlich bekannt wurde.

Diese politischen Bemühungen gingen zwar auch nach dem Wendepunkt weiter, den die missglückte Amnestie in diesem Prozess darstellte: Erst in dieser Woche nahm an der Universität im südostanatolischen Mardin der erste Kurdisch-Lehrstuhl der Türkei seine Arbeit auf. Zum Zuckerbrot hat der türkische Staat allerdings auch wieder die Peitsche hervorgeholt. Bei Razzien und Prozessen gegen die PKK-gesteuerte kurdische Dachorganisation KCK, die in Südostanatolien parallele Staatsstrukturen aufzubauen versucht, wurden in den vergangenen Monaten tausende Menschen festgenommen, darunter zahlreiche legal gewählte Lokalpolitiker. Nach PKK-Anschlägen fliegt die türkische Luftwaffe regelmäßig Angriffe auf die Rebellenlager in Nordirak.

Infografik Kurdische Siedlungsgebiete (DW-Grafik: Olof Pock)

Spirale der Gewalt

Die PKK kurbelt ihrerseits an der Gewaltschraube. Bei Anschlägen der Rebellen in Südostanatolien kamen in den vergangenen Monaten Dutzende Menschen ums Leben, darunter zahlreiche kurdische Zivilisten und sogar mehrere Kinder. Erst am Dienstag wurden acht Menschen im kurdischen Bitlis von einer PKK-Bombe zerrissen, darunter zwei Kinder. Und im vergangenen Monat töteten die sogenannten Freiheitsfalken, die PKK-Stadtguerrilla, vier Zivilisten bei einem Bombenanschlag mitten in der Hauptstadt Ankara.

Dass der verheerende Rebellenangriff auf türkische Militärposten in der Nacht zum Mittwoch (19.10.), der viertblutigste Angriff in der Geschichte des Krieges, zum zweiten Jahrestag des gescheiterten Versöhnungsversuches am Grenzübergang kam, dürfte kein Zufall sein. Im Parlament in Ankara konstituierte sich am Mittwoch der All-Parteien-Ausschuss, der eine neue, demokratische Verfassung für die Türkei ausarbeiten soll – eine Verfassung, von der sich die Kurden eine Anerkennung als Staatsvolk und mehr Rechte erhoffen. Zwar sitzt im Verfassungsausschuss auch die Kurdenpartei BDP mit am Tisch, und zwar gleichberechtigt. Gefangen in der Logik des Krieges, glaubt die PKK aber offenbar, ihre Forderungen mit Gewalt unterstreichen zu müssen – was unweigerlich wieder türkische Gegenangriffe nach sich ziehen wird.

Autorin: Susanne Güsten
Redaktion: Zoran Arbutina/Volker Wagener