Zurück zur Langsamkeit
Der Alltag vieler Menschen ist bestimmt von Hektik und Schnelligkeit. Eine Pause bietet die Firma „Playtime“ an: Im Kino wird ein ganzes Musikalbum vorgespielt – und die Besucher tun nichts, außer zuzuhören.
SPRECHER:
In einer Zeit, als das Vinyl Vinyl (n.; nur Singular) hier: eine dünne Scheibe aus Kunststoff, auf der Musik gespeichert ist; die Schallplatte noch Schallplatte Schallplatte, -n (f.) eine dünne Scheibe aus Kunststoff, auf der Musik gespeichert ist und die man mit einem Plattenspieler hören kann hieß, war es so, dass viele Menschen diese von Anfang bis Ende gehört haben. Das scheint vorbei und vergessen. . Marc Engenhart und Duc-Thi Bui haben sich erinnert und vor zwei Jahren ein Unternehmen ins Leben gerufen etwas ins Leben rufen etwas neu schaffen; etwas realisieren; etwas gründen , das sie PLAYTIME nennen – „Spielzeit“.
MARC ENGENHART (PLAYTIME):
Ein gesamtes Werk – manchmal gehen die Alben Album, Alben (n.) hier: eine Zusammenstellung von verschiedenen Musikstücken oder Songs (z. B. auf einer CD oder einer Schallplatte) 60, 70 Minuten – nur zu hören, ist heute ’ne besondere Erfahrung, die wir wieder in die Kultur und unter die Menschen bringen wollen. Das ist eigentlich die … die ursprüngliche ursprünglich erste; so, wie etwas zuerst war Idee gewesen.
SPRECHER:
Wann immer PLAYTIME in einem deutschen Kino, wie hier im Berliner „Babylon“, angekündigt etwas an|kündigen hier: öffentlich bekannt machen, dass etwas bald stattfinden wird wird, bezahlen die Besucher fünf Euro dafür, gemeinsam mit anderen Menschen eine Schallplatte anzuhören. An diesem Abend ist es das Album „Blonde on Blonde“ von Bob Dylan. Bei den diesjährigen Kulturmarkenawards wurde PLAYTIME sogar als „Trendmarke Trendmarke, -n (f.) hier: ein Produkt oder ein Unternehmen, das aktuell beliebt ist und in Zukunft noch erfolgreicher werden könnte 2016“ nominiert nominiert hier: so, dass jemand für einen Preis vorgeschlagen wurde . Die Idee, etwas bewusst und ohne Ablenkung Ablenkung, -en (f.) hier: etwas (z. B. Unterhaltung), auf das man achtet oder das man nebenbei macht, so dass man sich nicht auf etwas Bestimmtes konzentrieren kann zu genießen etwas genießen hier: Freude bei etwas haben und sich Zeit dabei lassen , kommt an an|kommen hier: beliebt sein .
DUC-THI BUI (PLAYTIME):
Das ist das, worum es eigentlich bei PLAYTIME geht: also die Zeit, um „Play“ zu drücken und einfach zuzuhören und die Musik [in] ihrem eigenen Tempo zu lassen, ohne dass man jetzt eingreifen ein|greifen etwas beeinflussen; etwas verändern möchte durch Skippen skippen (aus dem Englischen) etwas (z. B. ein Musikstück) nicht anhören oder ansehen und direkt zum nächsten Abschnitt springen; etwas weglassen oder Vorspulen vor|spulen ein Lied oder einen Film schneller laufen lassen, um zum nächsten Abschnitt (z. B. zum nächsten Musikstück) zu kommen oder verführt jemanden verführen hier: jemanden dazu bringen, etwas zu tun wird von anderen Möglichkeiten, anderen Songs, die nur einen Klick Klick, -s (m.) das Auswählen einer Internetseite mit der Computermaus entfernt sind, und sich einfach einer Musik hinzugeben sich einer Sache hin|geben sich ganz auf eine Sache konzentrieren; etwas mit voller Aufmerksamkeit tun , von Anfang bis Ende.
SPRECHER:
Ein komplettes Album anhören, das braucht Zeit und es verlangt Muße Muße (f., nur Singular) die Ruhe; die Pause . Diese Ruhe haben heute die wenigsten Menschen.
ULRICH REINHARDT (Zukunftswissenschaftler):
Wir sind heute kaum noch in der Lage, eine Aktivität Aktivität, -en (f.) hier: die Handlung über einen längeren Zeitraum auszuüben etwas aus|üben hier: etwas tun; tätig sein . Man lebt fast in einem Zwei-Stunden-Rhythmus Rhythmus, Rhythmen (m.) hier: die Reihenfolge von regelmäßigen Handlungen , alle zwei Stunden muss ein neuer Impuls Impuls, -e (m.) hier: etwas, was das Interesse von jemanden weckt; die Anregung; der Anreiz folgen, ob’s jetzt der Theater-Abend, der Kino-Abend, der Besuch von Freunden ist, ob’s das Abendessen ist. Alles ist sozusagen in einem
Zwei-Stunden-Rhythmus getaktet getaktet hier: so, dassregelmäßige Handlungen immer gleich geplant sind , und dann brauchen wir etwas Neues.
SPRECHER:
Die Zeit, sie scheint uns permanent permanent immer; die ganze Zeit wegzulaufen. Das ist ein Phänomen Phänomen, -e (n.) hier: etwas eigentlich Ungewöhnliches, das aber immer häufiger zu beobachten ist unserer Moderne Moderne (f., nur Singular) hier: die Zeit, in der wir heute leben , und doch ist dieses Gefühl gar nicht so neu. Schon vor rund 2000 Jahren haben sich die Philosophen Philosoph, -/Philosophin, -nen jemand, der darüber nachdenkt, wie Menschen denken und handeln und was der Sinn des Lebens ist damit beschäftigt, zum Beispiel der Römer Seneca.
ULRICH REINHARDT:
Er ist damals davon ausgegangen von etwas aus|gehen hier: etwas glauben; etwas erwarten – und das trifft zu|treffen stimmen für die Gegenwart sehr gut zu zu|treffen stimmen –, dass ein Drittel der Zeit ja uns genommen wird, ein Drittel unbemerkt entschwindet entschwinden weggehen; nicht mehr da sein und ein Drittel zerrinnt zerrinnen langsam immer weniger werden .
SPRECHER:
Die Sehnsucht Sehnsucht, -süchte (f.) der große Wunsch nach etwas oder jemandem nach Entschleunigung Entschleunigung (f., nur Singular) hier: die Veränderung einer Entwicklung oder eines Verhaltens, so dass alles langsamer und mit weniger Zeitdruck passiert als bisher wächst. Und die Menschen lassen sich viel einfallen, um dem Stress zu entkommen: Wellness-Oasen Wellness-Oase, -n (f.) ein Ort, an dem man viele Behandlungen bekommen kann, die gut für Körper und Seele sind (z. B. Massage) , Urlaub mit Tieren in der Natur, mitunter mitunter manchmal auch einmal ohne Mobilgeräte Mobilgerät, -e (n.) das Smartphone; das Mobiltelefon , auch das Wandern wird populärer populär beliebt; bekannt . Die Verlangsamung – sie wird zum Trend.
ULRICH REINHARDT:
Es ist sicherlich noch ein Nischen-Trend Nischen-Trend (m.) etwas, das zwar nur wenige Leute nutzen oder machen, aber das (bei bestimmten Gruppen) immer beliebter wird , aber ich glaub, er wird immer bedeutender, weil die Bevölkerung schon merkt, dass vieles eben zu schnelllebig in unserer Zeit geworden ist, diese Multioptionsgesellschaft Multioptionsgesellschaft, -en (f.) hier: eine Gesellschaft, in der es normal ist, dass man immer viele verschiedene Möglichkeiten hat , die wir nun seit einigen Jahrzehnten haben, uns vielleicht doch ein Stück weit ein Stück weit hier: ein bisschen überfordert jemanden überfordern mehr von jemandem verlangen, als er schaffen kann .
SPRECHER:
Zurück zum Kino „Babylon“ in Berlin: Etwa 70 Minuten lang geht das Album, dazu kommen die Pausen beim Wenden etwas wenden etwas umdrehen; etwas auf die andere Seite legen der Schallplatten. Keiner der Besucher ist vorzeitig vorzeitig früher; bevor etwas zu Ende ist gegangen.
MANN 1:
Ich find das superangenehm, ’n Album im Kino anzuhören, und ich find’s auch sehr schön, die richtige Lautstärke Lautstärke, -n (f.) das Maß, wie laut etwas ist dafür zu haben.
MANN 2:
Daheim daheim zu Hause sitzt man dann auch und lenkt sich schon wieder ab mit irgendwas anderem oder mit irgend’nem Bildschirm oder mit dem Handy oder sonst was, während man Musik hört, und so kommt man einfach nur zum Musikhören.
MANN 3:
Ich denke, das bringt ein Musikverständnis zurück, das wir unbedingt erhalten etwas erhalten hier: dafür sorgen, dass etwas weiter bestehen bleibt/dass es etwas weiter gibt sollten. Es ist sehr interessant.
MARC ENGENHART:
Die PLAYTIME sind 70 Minuten Pause. Und das ist, glaube ich, egal, wann diese Pause stattfindet, ob die morgens, mittags, abends, nachts stattfindet. Es ist ’ne Pause.
SPRECHER:
Die Ambitionen Ambition, -en (f.) das Ziel; der Wunsch der PLAYTIME- Erfinder sind groß: Demnächst wollen sie ihr Konzept Konzept, -e (n.) der Plan; die Idee auch in anderen europäischen Großstädten vorstellen.
Zurück zur Langsamkeit
Vinyl (n.; nur Singular) — hier: eine dünne Scheibe aus Kunststoff, auf der Musik gespeichert ist; die Schallplatte
Schallplatte, -n (f.) — eine dünne Scheibe aus Kunststoff, auf der Musik gespeichert ist und die man mit einem Plattenspieler hören kann
etwas ins Leben rufen — etwas neu schaffen; etwas realisieren; etwas gründen
Album, Alben (n.) — hier: eine Zusammenstellung von verschiedenen Musikstücken oder Songs (z. B. auf einer CD oder einer Schallplatte)
ursprünglich — erste; so, wie etwas zuerst war
Ablenkung, -en (f.) — hier: etwas (z. B. Unterhaltung), auf das man achtet oder das man nebenbei macht, so dass man sich nicht auf etwas Bestimmtes konzentrieren kann
etwas an|kündigen — hier: öffentlich bekannt machen, dass etwas bald stattfinden wird
Trendmarke, -n (f.) — hier: ein Produkt oder ein Unternehmen, das aktuell beliebt ist und in Zukunft noch erfolgreicher werden könnte
nominiert — hier: so, dass jemand für einen Preis vorgeschlagen wurde
etwas genießen — hier: Freude bei etwas haben und sich Zeit dabei lassen
an|kommen — hier: beliebt sein
ein|greifen — etwas beeinflussen; etwas verändern
skippen (aus dem Englischen) — etwas (z. B. ein Musikstück) nicht anhören oder ansehen und direkt zum nächsten Abschnitt springen; etwas weglassen
vor|spulen — ein Lied oder einen Film schneller laufen lassen, um zum nächsten Abschnitt (z. B. zum nächsten Musikstück) zu kommen
jemanden verführen — hier: jemanden dazu bringen, etwas zu tun
Klick, -s (m.) — das Auswählen einer Internetseite mit der Computermaus
sich einer Sache hin|geben — sich ganz auf eine Sache konzentrieren; etwas mit voller Aufmerksamkeit tun
Muße (f., nur Singular) — die Ruhe; die Pause
Aktivität, -en (f.) — hier: die Handlung
etwas aus|üben — hier: etwas tun; tätig sein
Rhythmus, Rhythmen (m.) — hier: die Reihenfolge von regelmäßigen Handlungen
Impuls, -e (m.) — hier: etwas, was das Interesse von jemanden weckt; die Anregung; der Anreiz
getaktet — hier: so, dass regelmäßige Handlungen immer gleich geplant sind
permanent — immer; die ganze Zeit
Phänomen, -e (n.) — hier: etwas eigentlich Ungewöhnliches, das aber immer häufiger zu beobachten ist
Moderne (f., nur Singular) — hier: die Zeit, in der wir heute leben
Philosoph, -/Philosophin, -nen — jemand, der darüber nachdenkt, wie Menschen denken und handeln und was der Sinn des Lebens ist
von etwas aus|gehen — hier: etwas glauben; etwas erwarten
zu|treffen — stimmen
entschwinden — weggehen; nicht mehr da sein
zerrinnen — langsam immer weniger werden
Sehnsucht, -süchte (f.) — der große Wunsch nach etwas oder jemandem
Entschleunigung (f., nur Singular) — hier: die Veränderung einer Entwicklung oder eines Verhaltens, so dass alles langsamer und mit weniger Zeitdruck passiert als bisher
Wellness-Oase, -n (f.) — ein Ort, an dem man viele Behandlungen bekommen kann, die gut für Körper und Seele sind (z. B. Massage)
mitunter — manchmal
Mobilgerät, -e (n.) — das Smartphone; das Mobiltelefon
populär — beliebt; bekannt
Nischen-Trend (m.) — etwas, das zwar nur wenige Leute nutzen oder machen, aber das (bei bestimmten Gruppen) immer beliebter wird
Multioptionsgesellschaft, -en (f.) — hier: eine Gesellschaft, in der es normal ist, dass man immer viele verschiedene Möglichkeiten hat
ein Stück weit — hier: ein bisschen
jemanden überfordern — mehr von jemandem verlangen, als er schaffen kann
etwas wenden — etwas umdrehen; etwas auf die andere Seite legen
vorzeitig — früher; bevor etwas zu Ende ist
Lautstärke, -n (f.) — das Maß, wie laut etwas ist
daheim — zu Hause
etwas erhalten — hier: dafür sorgen, dass etwas weiter bestehen bleibt/dass es etwas weiter gibt
Ambition, -en (f.) — das Ziel; der Wunsch
Konzept, -e (n.) — der Plan; die Idee