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Kostengünstige Bestversorgung

Claudia Auer24. Oktober 2006

40 Ärzte, eine Adresse. Das Polikum in Berlin ist ein riesiges medizinisches Versorgungszentrum. Hier wird richtig Geld gespart. Eigentlich ein besseres Gesundheitssystem, doch noch liegen zu viele Steine im Weg.

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Das medizinische Versorgungszentrum Polikum Berlin
Erfolgsmodell aus der DDR: Das Polikum übernahm die Idee der Polikliniken aus OstdeutschlandBild: POLIKUM Gruppe

Ein Zentrum voller Haus- und Fachärzte unterschiedlichster Fachrichtungen. Diese Idee nach dem Poliklinik-Modell der DDR trug Dr. med. Wolfram Otto schon länger mit sich herum. Als die Gesundheitsreform im Jahr 2004 auch medizinische Versorgungszentren (MVZ) für die Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung zuließ, hatte er den Plan Polikum bereits ausgearbeitet. Eröffnet hat es im Oktober 2005.

Alle unter einem Dach

Gesundheitszentrum Polikum in Berlin, Empfangsbereich
Ein Empfang betreut die Patienten der 40 Ärzte des PolikumsBild: POLIKUM Gruppe

In dem medizinischen Versorgungszentrum arbeiten Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen unter einem Dach zusammen. Ein gemeinsamer Träger verwaltet die Einrichtung, die Ärzte übergeben ihre Kassenzulassung an das Versorgungszentrum und sind fest angestellt. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung gibt es seit der Gesetzesänderung 500 medizinische Versorgungseinrichtungen mit 1900 Ärzten. 1170 davon sind angestellt. Rund 60 Prozent der MVZs bestehen aus zwei bis drei Ärzten. Nur zehn Prozent beschäftigen mehr als acht Mediziner. So wie das Polikum in Berlin-Friedenau. Das Ärztekonglomerat ist mit knapp 40 Medizinern derzeit Deutschlands größtes Versorgungszentrum.

Innerhalb von einem Jahr hat sich die Zahl der zugelassenen Ärzte im Polikum verdoppelt. Schon nächstes Jahr soll das Ziel erreicht werden: Eine fachliche und zeitliche Vollversorgung, alle Fachrichtungen in doppelter Belegung. Geöffnet ist das Polikum schon heute von 8 bis 20 Uhr, Hausärzte sind von 7 bis 21 Uhr zu erreichen, von Montags bis Freitags.

Doch Gründer Otto und seine Mitgesellschafterin Dr. med. Susanne Schwartz planen weiter. Sie wollen das Prinzip Polikum auf dem Gesundheitsmarkt etablieren. So bleibt Friedenau nicht der einzige Standort. In Berlin Tempelhof soll 2007 das nächste MVZ eröffnet werden. Weitere Standorte in Berlin, Düsseldorf und Hamburg sind in Planung.

Optimal und günstig versorgt

Das Modell Polikum klingt viel versprechend: Der Patient soll besser versorgt und dabei auch noch Kosten gespart werden. Ganz ohne Gesundheitsreform. Für den Patienten bedeutet dies: Keine längere Wartezeit als 15 Minuten, zeitnahe Termine und kurze Wege, weil die Fachärzte mit im Haus sind und alle über einen Terminkalender verfügen. "Wir machen es dem Patienten so unkompliziert wie möglich", betont Dr. Felix Cornelius von der Geschäftsleitung. Für Patient, Arzt und Krankenkasse gleichermaßen von Vorteil ist die digitale Krankenakte. Alle Daten und Behandlungen des Patienten werden darin eingetragen und sind von jedem Arzt im Polikum abrufbar. Doppelbehandlungen werden so verhindert und jeder neu konsultierte Arzt ist sofort auf dem Wissensstand seiner Kollegen. Das spart gleichermaßen Zeit und Geld. Die Vernetzung ermöglicht zudem eine gegenseitige Kontrolle der Ärzte, eine optimale Behandlung und bessere Prävention. Auch das spart Geld, ebenso wie die gemeinschaftliche Nutzung der Medizintechnik.

Mehr als 100 Bewerbungsunterlagen sprechen für sich. Die Ärzte sind vom Polikum begeistert. Denn für sie offenbart der Betrieb weitere Vorteile: Es entfällt das unternehmerische Risiko. Sie bekommen ein Grundgehalt und zusätzlich einen individuellen Bonus. Keine negative Beteiligung. Sie sind außerdem von den Verwaltungsaufgaben entlastet und können sich ganz der medizinischen Versorgung widmen. Ein weiteres Plus sind die flexiblen Arbeitszeiten. Bei doppelter Besetzung sind Teilzeit- und Jobsharing-Modelle realisierbar.

Problem Gesetzgebung

Wie die Pilze aus dem Boden sprießen die großen medizinischen Versorgungszentren dennoch nicht. Das liegt vor allem an der bestehenden Gesetzgebung. Bisher haben nur Ärzte, Klinikbetreiber, Heilmittelerbringer und Apotheker die Möglichkeit, ein MVZ zu gründen. Zwar können auch Betriebswirte ins Unternehmen einsteigen, beteiligen können sich fachfremde Investoren bisher jedoch nicht. Für die Mediziner ist die Gründung daher ein großes unternehmerisches Wagnis, meist eine Investition eines zweistelligen Millionenbetrags. "Wir gehen allerdings davon aus, dass die Krankenhäuser in den Startlöchern stehen und die nächsten größeren MVZs gründen werden." Damit rechnet Dr. Roland Stahl, Pressesprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Er geht weiter davon aus, dass sich auch Ärzte in den nächsten Jahren verstärkt zusammentun werden: "Neue Kooperationsformen sind stark im Kommen. Das wird unsere Zukunft sein".

Mehr "Ottos"

Dr. Felix Cornelius, Geschäftsleitung des Polikums
Wünscht sich mehr unternehmerische Ärzte: Dr. Felix Cornelius von der Geschäftsleitung des PolikumsBild: POLIKUM Gruppe

Daran glaubt auch Cornelius vom Polikum. Er wünscht sich mehr Unternehmer wie Gründer Dr. med. Wolfram Otto. Aber: "Das Problem ist nicht, dass wir zu wenig Ottos haben. Das Problem ist, dass wir eine Gesetzgebung brauchen, die mehr Ottos fördert". Dazu müsse vor allem das Abrechnungssystem geändert werden. Bislang würden die großen medizinischen Versorgungszentren auf der Abrechnungsseite stark benachteiligt, da alle Ärzte unter einer Abrechnungsnummer laufen. Das habe zur Folge, dass die in jedem Quartal pro Patient und Arzt angesetzte Pauschale mit dem Namen "Ordinationskomplex", jene ersten zehn Minuten Betreuungszeit und Erstuntersuchungen, nur einmal und nicht bei jedem neu hinzugezogenen Polikum-Arzt wieder berechnet würde. "Wir müssen 20 Prozent mehr verdienen, als eine Gemeinschaftspraxis, um das gleiche einzunehmen - auch, wenn die Pauschale für uns leicht erhöht ist", ärgert sich Cornelius.

Das Polikum steht daher kurz davor, einen eigenen Vertrag mit der Krankenkasse abzuschließen. Die bezahlt nach Krankheitsbild klassifiziert eine individuelle Pauschale. Wird der Patient öfters krank als üblich, zahlt das Polikum drauf, bleibt er länger gesund, verdient das Polikum. "Wegen der hohen Kosten für Behandlungen und Medikamente sind die Ärzte oftmals nicht in der Lage, den Patienten optimal zu versorgen, außer sie wollen aus der eigenen Tasche draufzahlen. Das ist bei uns durch diesen Vertrag anders geworden", erklärt Cornelius. "Als kleines MVZ würden wir diesen Vertrag jedoch nie durchsetzen können. Man hätte uns wahrscheinlich nicht ernst genommen!"

Kooperation

Die Zukunft der medizinischen Versorgung in Deutschland sieht Cornelius nicht allein bei den MVZs. So denkt das Polikum über Kooperation mit dem Prosper-Netz nach. Bei diesem Modell bleiben die Ärzte in ihren Praxen selbstständig, sind jedoch miteinander vernetzt. Einsparungen: bis zu zehn Prozent. "Ich denke, dass die medizinischen Versorgungszentren und die bestehenden Prosper-Netze langfristig konvergieren. Das Prosper-Netz wird Zentren aufmachen, die MVZs werden sich mit Praxen vernetzen."