1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wenn Leistungssportler abtrainieren

Melanie Last
25. Dezember 2021

Wer seine Karriere als Profisportler beendet, kann alles andere als seine Füße hochlegen. Muskeln, Herz aber auch Psyche müssen an das Leben danach gewöhnt werden. Aber warum ist das so wichtig?

https://p.dw.com/p/441ug
Symbolbild | Karriere-Ende als Profisportler
Nach dem Karriereende sollten Profisportler ein bis zwei Jahre abtrainieren, um fit und gesund zu bleiben

Tränen sind nicht gerollt. Es war unbändige Freude über dieses perfekte Ende nach einer erfolgreichen Laufbahn als Profifußballerin. Simone Laudehr, eine Fußballlegende, Titeljägerin, Nationalspielerin. Zuletzt beim FC Bayern München. Nach dem Bundesligafinale 2021 reckt sie die Meisterschale in die Höhe. Eine Krönung, die zu diesem Zeitpunkt nicht treffender hätte sein können. Es war ihr letztes Spiel.

"Ich hatte auch einige Verletzungen. Das muss man dann erstmal wieder wegstecken und dann genauso stark wieder zurückkommen. Mein Körper merkt das auch", sagte Simone Laudehr, als sie entschied, ihre Profikarriere an den Nagel zu hängen. Ein Leben ganz ohne Sport ist aber undenkbar für die 35-Jährige, die heute deutlich weniger trainiert und noch immer auf der Suche nach einer neuen Sportart für sich ist.

"Wer auftrainiert, muss auch abtrainieren"

Denn Füße hochlegen ist nicht ratsam für ehemalige Leistungssportler. Über Jahre aufgebaute Muskeln, das sogenannte "Sportlerherz" und auch die Psyche - Körper und Geist müssten auf das Leben danach vorbereitet werden, sagt Hans-Georg Predel. "Wer auftrainiert, muss auch abtrainieren und das ganz gezielt, also nach Plan", so der Professor vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln.

Da ist zum einen die Muskulatur, die über Jahre hochtrainiert und ständig einem Anspannungsreiz ausgesetzt wurde. "Diesen Reiz braucht die Muskulatur auch nach dem Karriereende. Wer plötzlich mit dem Sport aufhört, riskiert muskuläre Krämpfe, Muskelschmerzen und unangenehme Spannungszustände", sagt Predel der DW.

Prof. Dr. med. Hans-Georg Predel
Hans-Georg Predel rät zu Mindestmaß an Sport Bild: privat

Das heißt nicht, dass sich Athleten nach der Meisterschaft nicht erst einmal in die symbolische Hängematte legen und Urlaub machen dürfen. Sportwissenschaftler und Mediziner beobachten eher, dass beinahe alle Leistungssportler nach Großereignissen wie Meisterschaften und Olympischen Spielen eine Auszeit von ihrem Sport benötigen. So vermisst die ehemalige Fußballnationalspielerin Simone Laudehr den Rasen bis heute nicht, sagt sie im Gespräch mit der DW. "Ich habe keine Lust mehr. Ich spiele gerne mal bei den FC-Bayern-Legenden mit und vielleicht im nächsten Jahr wieder aus Spaß. Aber bis jetzt habe ich das nicht gebraucht."

Wie ein alter Benzinmotor

Tatsächlich muss es nicht der alte Sport sein. Hauptsache weiter bewegen, sagt Sportmediziner Hans-Georg Predel: "Das Mindestmaß sind 150 bis 300 Minuten pro Woche. Fußballerinnen zum Beispiel würde ich raten, weiter Ausdauer und Koordination zu trainieren, kurze Sprints einzulegen. Das ist auch für ihr Herz wichtig."

Im Extremfall ist es doppelt so groß wie das Herz eines Untrainierten, weil es sich durch den Leistungssport angepasst hat. Unter Belastung kann es sogar doppelt so viel pumpen. Im Ruhezustand ist es hingegen recht langsam, die Herzfrequenz niedrig.

Symbolbild | menschlicher Herzmuskel
Das Sportlerherz kann unter Belastung doppelt so viel pumpen wie das Herz eines UntrainiertenBild: Zoonar/picture alliance

Nach einer aktiven Sportlerkarriere muss das Herz immer mal wieder hochgefahren werden - wie ein alter Benzinmotor. Nur dann läuft es rund. Dabei gehe es nicht um Höchstleistungen, sondern um Ausdauer, erklärt Predel. Das Herz bilde sich dann von alleine wieder in seiner Größe zurück: "Manche Athleten entwickeln nach ihrer Karriere aber gutartige Herzrhythmusstörungen. Ihr Herz stolpert dann, weil es zwischen zwei ruhigen Schlägen einmal zusätzlich schlägt. Meist tritt das nachts auf und ist für die Sportler sehr bedrückend und beängstigend." In aller Regel sei das aber nicht gefährlich, sagt Predel. "Es droht kein Herzinfarkt oder -stillstand. Aber es muss geklärt werden, ob nicht doch etwas Ernstes dahinter steckt."

Nicht selten: psychosomatische Beschwerden 

Neben Muskeln und Herz hat auch die Psyche einen immensen Einfluss auf die Fitness und das Wohlbefinden nach der Sportkarriere. Auch sie braucht Zeit, um sich an die neue Lebenssituation zu gewöhnen. Da fällt das Training auf einen Kick hin auf einmal weg, die Gier nach einem Wettkampferfolg wird nicht mehr befriedigt, das Gefühl des Triumphes bleibt aus und damit auch die Freisetzung von, wie sie umgangssprachlich genannt werden, "Glückshormonen" wie Endorphin, Dopamin und Serotonin. Stattdessen folgt das sprichwörtliche Loch, in das die ehemaligen Leistungssportlerinnen und -sportler oft fallen. "Das wiederum kann psychosomatische Beschwerden nach sich ziehen", erklärt Hans-Georg Predel. "Die Sportler schlafen dann schlecht, klagen über Kopfschmerzen und fühlen sich unruhig."

Auch deshalb plädiert der Sportmediziner für einen Checkup aller Profisportler nach ihrer Karriere. Zu aktiven Zeiten ist das Routine. Die Kosten dafür übernehmen in der Regel der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) oder die jeweiligen Vereine. "Es wäre gut, wenn die Athleten auch danach noch wenigstens für ein Jahr begleitet würden. Dann könnte man einen Plan aufstellen, wie sie abtrainieren und auch ihren Kalorienbedarf anpassen können. Und man könnte mit ihnen über mögliche Symptome wie Muskelschmerzen sprechen und was sie dagegen tun können“, sagt Predel.

Sportverbände in der Verantwortung

Simone Laudehr hatte seit der vergangenen Saison und ihrem letzten Fußballspiel für den FC Bayern kein Gespräch mit einem Arzt - anders als in der Zeit, als sie noch für Deutschland auf dem Rasen stand und mit der Nationalelf unter anderem den Weltmeistertitel 2007 und Olympiagold 2016 nach Hause holte. Auch sie fordert, dass sich Verbände wie der Deutsche Fußball-Bund und  die Vereine mehr um die Spielerinnen nach dem Karriereende kümmern. "Ich habe keine Ahnung davon, wie viel ich tun muss, um gut abzutrainieren. Checkups mit EKG und Lungenfunktionstest müssen bezahlt werden. Da fühle ich mich jetzt allein gelassen", sagt Laudehr.

Simone Laudehr Torjubel bei der FIFA Frauen Weltmeisterschaft 2007
Simone Laudehr (l.) erzielte im WM-Finale 2007 gegen Brasilien den Treffer zum 2:0-Endstand, Anja Mittag freute sich mitBild: Lukas Coch/Pressefoto ULMER/picture-alliance

Hinzu kommt, dass sie als Fußballerin deutlich weniger verdient hat als ihre männlichen Kollegen. Für Simone Laudehr war klar, dass sie nach dem Fußball einen Job brauchte. Während ihrer Fußballkarriere hat sie deshalb Sportmanagement und Marketing studiert. Nur drei Wochen nach ihrem letzten Spiel um die deutsche Meisterschaft im Juni 2021 fing sie schon beim Marketing des FC-Bayern-Museums an. Viel Zeit, um in ein Loch zu fallen, blieb da nicht, immerhin.

Aber ausreichend Zeit zum Abtrainieren ist ihr bis heute auch nicht geblieben. "Ein bisschen Krafttraining zu Hause und gelegentlich Joggen nach der Arbeit - ja, ich habe zu wenig gemacht", sagt die Ex-Nationalspielerin. Ihr Wunsch: andere Sportarten ausprobieren, vielleicht Kickboxen, und dann einen Sport finden, der sie nach ihrer Arbeit mit Lust in Bewegung hält. Ganz ohne Termindruck, dafür in Einklang mit Herz und Seele.