Markus Reinhardt und seine Familie leben seit Generationen in Deutschland. Den Begriff "Sinti und Roma" mögen sie nicht, sie bevorzugen das deutsche Wort "Zigeuner". Oder kölsche Sinti. Ein Besuch in ihrer Siedlung.
Es ist ein sonniger und warmer Samstagnachmittag. Auf der kleinen Stichstraße in Köln-Roggendorf spielen Kinder in kleinen Gruppen, auf dem Gehsteig stehen Männer beisammen, am Ende der Häuserreihe bereiten Frauen das Essen vor. Die akkurat gepflegten Vorgärten bevölkern Gartenzwerge, in der Luft hängt der Duft von Brennholz. Es ist die Heimat von 18 Sinti-Familien, im Volksmund "Zigeunersiedlung" genannt.
Markus Reinhardt, Musiker, lebt hier seit seiner Jugend. Als die Siedlung Anfang der siebziger Jahre in dem ländlich geprägten Kölner Stadtteil geplant wurde, gab es Konflikte mit den Einheimischen, erzählt er: "Die Alteingesessenen wollten uns hier nicht haben." Einer der örtlichen Kneipenbesitzer hatte sogar ein Schild angebracht: "Für Zigeuner kein Zutritt." Kurz danach entfernte der Wirt es wieder, aus Angst vor einer Anzeige. Im Lauf der Jahre habe sich die Lage aber entspannt, meint Reinhardt. Gerade die jüngere Generation habe mittlerweile recht viel Kontakt mit den Gadje, wie die Sinti Menschen außerhalb ihrer Gemeinschaft nennen.
Tür an Tür mit den Gadje
Wenn es mal Reibereien zwischen den Sinti und ihren direkten Nachbarn gibt, beschränken sich diese mittlerweile auf ganz alltägliche Dinge: "Sie stören sich hin und wieder mal am Rauch", erzählt uns Sekulo Steinberger, der Siedlungsälteste, am Feuer. "Und wenn wir etwas länger feiern, ist schnell die Polizei da. Dann verwenden unsere Geiger Dämpfer, das klingt sehr romantisch. So wiegen wir unsere Nachbarn in den Schlaf", fügt er schmunzelnd hinzu.
Das Gemeinschaftsleben in der Siedlung findet nach wie vor im Freien statt. Im Frühjahr ziehen einige Familien, die keine Kinder im schulpflichtigen Alter haben, mit den Wohnwagen los und gehen auf die Reise. "Bei den ersten Sonnenstrahlen nach dem Winter juckt es uns in den Beinen", erzählt Johann Feix, der vor einigen Jahren der Liebe wegen aus dem Saarland nach Köln kam und in die hiesige Sippe einheiratete.
Sprache als Identitätsstifter
Den politisch korrekten Sammelbegriff "Sinti und Roma" mag Reinhardt nicht: "Wir wollen Zigeuner genannt werden, das ist das normale deutsche Wort für uns." Dass dieses im Dritten Reich negativ besetzt wurde, sei eine Sache, aber "Sinti und Roma" sei schlicht falsch. "Was ist mit den anderen Stämmen, die da einfach weggelassen werden?", fragt er und meint damit Gruppen wie die Kale, Mansusa, Arlija oder Gurbeta. Zuallererst betrachten sich Markus und seine Angehörigen jedoch als Kölner: "Wenn der FC verliert, dann weint hier die Hälfte der Siedlung", erzählt Markus. Und sein Cousin Johnny fügt hinzu: "Wir sind kölsche Sinti."
Neben der Sprache ist der Zusammenhalt der Sippe überlebenswichtig für das Fortbestehen der Kultur. Nur so werden die alltäglichen Rituale an die Jüngeren weiter vermittelt: "Die Jungen sehen, wie wir aufeinander achten. Das macht das Zigeunerleben aus. Wenn ich allein in einem Sozialbau lebe, dann kann ich dieses Gemeinschaftswissen nicht mehr vermitteln", so Reinhardt.
Verbindungsglied Musik
Ebenso halten es sein Sohn Dislo und dessen Freunde Samjo und Specko vom HipHop-Kollektiv Westside Sinti Music (WSM). Obwohl sie perfekt Deutsch sprechen, rappen sie meist auf Romanes, "weil es vom Flow her besser passt." Ihre Texte handeln von ganz alltäglichen Dingen wie jeden Tag draußen zu sein, auf Reise zu gehen und den guten Zusammenhalt in der Siedlung.
Fester Bestandteil des Kölner Kulturlebens
Die Siedlungsbewohner begegnen auch uns Reportern sehr gastfreundlich, laden uns zum Kaffee ein und lassen uns am Siedlungsleben teilhaben. Sie stellen uns Fragen und gehen äußerst humorvoll mit Klischees um. "Vorurteile machen mir nichts aus", sagt Markus Reinhardt. "Man muss nur bereit sein, sie zu ändern."
Es ist spät geworden, Markus Reinhardt verabschiedet sich, er muss noch zu einem Auftritt in der Innenstadt. "Falls euer Auto gleich weg sein sollte, ruft mich an!", sagt er beim Gehen mit einem Augenzwinkern.