1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bosnien-Herzegowina

Benjamin Pargan1. Oktober 2006

Auch elf Jahre nach dem Kriegsende prägen nationalistische und extremistische Töne das politische Leben in Bosnien-Herzegowina. Das zeigte sich auch vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 1. Oktober.

https://p.dw.com/p/9BYt
Junge vor dem Präsidentenpalast in Sarajevo
Präsidentenpalast in SarajevoBild: AP

Die tiefe ethnische Teilung ist nach wie vor das Hauptproblem des Balkan-Landes und hat bisher alle Versuche einer ernsthaften Annäherung Bosniens an die Europäische Union verhindert. Im Wahlkampf haben sich die bestehenden politischen Spannungen noch verschärft.

Am Sonntag (1.10.) werden die Wähler wohl mit einem der längsten Wahlzettel Europas konfrontiert. Denn darauf stehen fast 40 Parteien mit über 7000 Kandidaten - angesichts der Größe des Landes eine unglaublich hohe Zahl.

Hoch kompliziertes Wahlsystem

Und dies ist nicht die einzige bosnische "Spezialität": Das Balkan-Land hat europaweit das komplizierteste Wahlsystem. So wählen alle Bürger gemeinsam das gesamtstaatliche Parlament. Rund 1,7 Millionen wählen zusätzlich das Parlament der so genannten bosniakisch-kroatischen Föderation - dem Landesteil, in dem mehrheitlich Muslime und bosnische Kroaten leben.

Und der Rest der Wähler entscheidet über das Parlament des mehrheitlich von bosnischen Serben bewohnten Landesteils, der "Republika Srpska". Zudem bestimmt diese Wählerschaft auch den Präsidenten der Republika Srpska und seinen Stellvertreter. Darüber hinaus wählen die muslimischen Bosniaken, Serben und Kroaten getrennt und nach einem unübersichtlichen ethnischen Schlüssel das jeweilige Mitglied für das dreiköpfige Staatspräsidium. Schließlich müssen noch Parlamentsabgeordnete der zehn Kantone in der bosniakisch-kroatischen Föderation gewählt werden.


Uneinigkeit über die Zukunft des Landes

Bosnisches Kinder geht an Wahlplakaten vorbei
Wahlkampf in Bosnien-Herzegowina: Zu Gunsten der Bevölkerung?Bild: AP

Nationalistisch gesinnte Politiker haben das Ganze noch komplizierter gemacht, indem sie diametral entgegengesetzte Vorschläge zur Zukunft des Landes vorlegten. So verlangt der ehemalige Außenminister und Chef der "Partei für Bosnien-Herzegowina", Haris Silajdzic (sprich: Ssilajdschitch), einen starken einheitlichen Staat und die sofortige Abschaffung der "Republika Srpska". Damit will er zusätzliche Stimmen in der bosniakischen Bevölkerung gewinnen.

Sein Gegenspieler auf der serbischen Seite ist der jetzige Regierungschef der "Republika Srpska", Milorad Dodik. Obwohl er Chef einer offiziell sozialdemokratisch deklarierten Partei ist, schlug er im Wahlkampf einen extremnationalistischen Kurs an. Unverhohlen verlangte Milorad Dodik die Abspaltung des serbischen Landesteils von Bosnien-Herzegowina: "Der 1. Oktober ist gleichzeitig ein Referendum über die 'Republika Srpska'", sagte er.

Solche und ähnliche Äußerungen könnten Milorad Dodik, einem ehemaligen Liebling der internationalen Gemeinschaft, viele bosnisch-serbische Stimmen bringen. Denn damit stellt er sich noch weiter rechts als die fast ununterbrochen herrschende, extrem nationalistische Serbische Demokratische Partei (SDS).

"Diskussionen über Referendum sind Zeitverschwendung"

Die zahlreichen Vertreter der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina versuchen zu beschwichtigen - bisher mit wenig Erfolg. So wiederholt der oberste Vertreter der Europäischen Kommission in Bosnien-Herzegowina, Michael Humphries, in den letzten Tagen vor den Wahlen fast stündlich die Standpunkte der EU, die auch von der US-Regierung unterstützt werden. Die Diskussionen über ein Referendum seien nur Zeitverschwendung, sagt er. "Sie destabilisieren dieses Land und werden den Wahlkampf nicht besser und einfacher machen."

Diesen Standpunkt vertritt auch der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, der deutsche Christdemokrat Christian Schwarz-Schilling. Nach der Wahl erwartet ihn die schwere Aufgabe, die zutiefst zerstrittenen politischen Vertreter aller ethnischen Gruppen wieder an einen Tisch zu bekommen.

Beobachter stufen die Chancen gering ein, dass die jetzigen Protagonisten konstruktiv für das Wohl der Bevölkerung zusammenarbeiten. Bosnien-Herzegowina braucht dringend gründliche Reformen des politischen Systems. Denn die durch ethnische Teilung des Landes aufgeblähte Administration verschlingt zurzeit fast zwei Drittel des Staatsbudgets. Die politische Elite des Landes kann allerdings damit sehr gut leben und wird höchstwahrscheinlich auch nach dem 1. Oktober die notwendigen Veränderungen blockieren.