Im Märchen fraß er die sieben Geißlein. Romulus und Remus, die Begründer Roms, dagegen wurden von ihm gesäugt. Mozart und Goethe tragen ihn im Namen – der Wolf hat seinen festen Platz in unserer Kultur.
Man denkt sich nichts dabei und hört so drüber weg. Weshalb sollte man auch einem Namen besondere Aufmerksamkeit schenken? Zumal er gar nicht besonders auffällig ist, dafür aber sehr häufig – zumindest als Nachname. Im Telefonbuch einer mittleren deutschen Großstadt taucht er mehrere Seiten lang auf: WOLF.
Reißerischer Vorname
Nachnamen gibt es in Deutschland erst seit ein paar Jahrhunderten. Ungefähr bis ins 15. Jahrhundert hinein war es üblich, nur den Vornamen zu tragen. Der hätte Wolf lauten können oder Wulf oder Wolfram.
"Wolf" bedeutete im Althochdeutschen mit gewisser Wahrscheinlichkeit "Reißer". In Kombination mit Wörtern germanischer Herkunft ergaben sich Namen, die sich vor allem während der nationalsozialistischen Diktatur großer Beliebtheit erfreuten. Da gab es Wolfhards, Wolfhelms und Wolfberts, und nicht wenige Mädchen mussten auf so seltsam anmutende Namen wie Wolfgunde, Wolfhilde oder Wolftraud hören.
Kein Sympathieträger
Sollte es stimmen, dass Wolfgang von "Wolfsgänger" abgeleitet wurde, dann hat der neben Johann Wolfgang von Goethe berühmteste Wolfgang der Welt, nämlich Wolfgang Amadeus Mozart, mit seinem Vornamen wenig Glück gehabt. "Wolfsgänger" sollen in weiter Vergangenheit Krieger gewesen sein, die sich Wolfsfelle übergezogen hatten. Nun waren weder Goethe noch Mozart für ihre martialische Natur bekannt.
Längst sind mit "Wolf" gebildete Namen aus der Mode gekommen, aber auf anderen Terrains der Sprache hat sich der Wolf bis heute gehalten. Nur: Er kommt dabei nicht wirklich gut weg. Das Bild vom bösen Wolf sitzt tief. Ob im Märchen, in Sagen, in Redensarten oder Einzelbegriffen – der Wolf ist kein Sympathieträger. Er frisst wehrlose Großmütter und unschuldige Geißlein und in der germanischen Mythologie verschlingt er sogar Obergott Wotan. Vielleicht kommt auch daher die Bezeichnung "Wolfshunger" – der ist zwar meistens sehr groß, aber doch recht ungefährlich.
Im Schafspelz
Man könnte sich die Frage stellen, warum das Arbeitsgerät des Metzgers "Fleischwolf" und der Aktenvernichter "Reißwolf" genannt werden? Vermutlich, weil man mit diesen Apparaten etwas, also Fleisch oder Dokumente, zerkleinern kann. Geht übrigens auch mit Menschen: "Den dreh’ ich durch den Wolf!" ist ein drastischer Ausdruck für die Absicht, jemanden so richtig fertigzumachen.
Einen listigen und verschlagenen Menschen bezeichnen wir gerne als den "Wolf im Schafspelz". Ein Bild, mit dem man jemandem Hinterhältigkeit, Scheinheiligkeit und betrügerische Absicht unterstellt. Schon im Matthäus-Evangelium heißt es: "Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie harmlose Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe."
Zum Heulen
Seit dem späten Mittelalter wissen wir, dass man "mit den Wölfen heulen" muss, wenn man in gefährlichen Situationen überleben will. Das Heulen mit den Wölfen gilt gewissermaßen als Rechtfertigung für Mitläufertum und Opportunismus. Sind die Wölfe in der Überzahl – was bleibt einem dann übrig, als sich in das Rudel einzureihen und mitzuheulen?
"Homo homini lupus est", heißt es im Leviathan, dem berühmtesten Werk des englischen Philosophen Thomas Hobbes – auf Deutsch: "Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf." In Anlehnung an ein Zitat des römischen Komödiendichters Plautus bedeutet dies in etwa, so wie der Mensch den Wolf sieht, beziehungsweise sehen will, so verhält sich der Mensch gegenüber seinen Mitmenschen – glücklicherweise nicht immer und ausschließlich.
Muttertier
Übrigens, der Wolf als Verkörperung des Unheimlichen, Bösen und Gefährlichen in Tiergestalt, das war nicht immer so. In Italien gilt bis auf den heutigen Tag die Wölfin als Muttersymbol. Das hat seinen guten Grund. Romulus und Remus, die sagenhaften Gründer Roms, sollen genau an der Stelle, an der sie eine Wölfin gefunden und gesäugt hatte, später die ewige Stadt gegründet haben. Da war die Wölfin den Menschen ein Mensch.
Autor: Michael Utz
Redaktion: Shirin Kasraeian