Wirtschaft als Schulfach
12. Oktober 2010In einer großen deutschen Tageszeitung findet sich einmal im Monat eine Seite, die von Schülern geschrieben und gestaltet wird. "Jugend und Wirtschaft" heißt das Zeitungsprojekt, das vom Bundesverband deutscher Banken unterstützt wird und in dessen Rahmen die Schüler im Unterricht auch regelmäßig mit dem Wirtschaftsteil der Zeitung arbeiten. Ein Projekt, das es nur gibt, weil es privat finanziert wird.
Inge Niebergall, Mitglied der Geschäftsführung des Bankenverbandes, kann nicht verstehen, warum das Fach "Wirtschaft" in den Schulen nicht regulär auf dem Stundenplan steht. Die Schüler würden das schon lernen wollen, sagt sie und verweist auf die Jugendstudien, die der Bankenverband regelmäßig durchführt. Dreiviertel aller Jugendlichen wollten danach ein Schulfach "Wirtschaft" haben. Und "bei den Erwachsenen gibt es sogar 80 Prozent Zustimmung, weil man hier einfach Nachholbedarf sieht."
Für das Leben lernen
Nicht nur Wirtschaftsverbände, auch Gewerkschaften beklagen, dass die ökonomische Bildung in deutschen Schulen zu kurz kommt. Thomas Retzmann, er ist Professor an der Universität Duisburg-Essen und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung, spricht sogar von einem desolaten Zustand. Es sei beunruhigend, dass nur die wenigsten Schüler etwas mit Begriffen wie Inflation oder betrieblicher Altersvorsorge anzufangen wüssten.
Sie müssen ein gewisses Grundverständnis haben, um überhaupt am Leben teilnehmen zu können.", sagt Professor Retzmann. Das gelte nicht nur für das Verständnis von Nachrichten in der Zeitung oder dem Fernsehen, sondern auch für den Umgang mit den neuen Medien, wie zum Beispiel dem Internet, das für die Jugendlichen eine große Bedeutung hat. Sie müßten ein gewisses Grundverständnis vermittelt bekommen, um mitreden zu können und nicht völlig ahnungslos zu sein.
Rüstzeug vermitteln
Dabei wird in den Schulen durchaus ökonomische Bildung vermittelt. Allerdings lernen die Schüler in Schleswig-Holstein nicht das Gleiche wie ihre Altersgenossen in Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Bildung ist in Deutschland Ländersache und daher unterscheiden sich die Lehrpläne von Bundesland zu Bundesland. Gemeinsam ist ihnen allerdings, dass es nirgendwo ein einheitliches Fach Wirtschaft gibt.
Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Otto Kentzler, kritisiert genau das und fordert neue Ideen, um den Schülern systematisch jenes Rüstzeug vermitteln zu können, das sie als "'mündige Wirtschaftsbürger"' letztlich brauchten. Er beklagt, dass ökonomische Bildung an Schulen nur bruchstückhaft vermittelt werde, weil das Thema "Wirtschaft" auf sehr unterschiedliche Fächer verteilt würde: Preiskalkulation in Mathematik, Globalisierung in Deutsch, Wirtschaftsgeographie in Erdkunde.
Auch die Lehrer müssen lernen
Gefordert wird aber nicht nur eine Reform der Lehrpläne. Auch die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer müsse sich ändern, sagt der Wissenschaftler. Er bezweifelt, dass ein Lehrer, "der nicht ordentlich wirtschaftswissenschaftlich ausgebildet wurde, der von Wirtschaftsdidaktik im Rahmen seines Studiums nie etwas gehört hat", dieser schwierigen Aufgabe nicht gerecht werden kann.
In zwei Gutachten hat Retzmann erarbeitet, was Schüler am Ende ihrer Schullaufbahn eigentlich über wirtschaftliche Zusammenhänge wissen müssten und was das für die Lehrerausbildung bedeutet. Unter anderem wird in dem Gutachten gefordert, ein eigenes Lehramtsstudium "Ökonomie" einzurichten. Bis es soweit sein wird, müssen sich Lehrer und Schüler mit Projekten wie dem des Bankenverbandes und der großen deutschen Tageszeitung behelfen. Ein Projekt allerdings, das schon deswegen kein vollwertiger Ersatz sein kann, weil es pro Jahr auf bundesweit 60 Schulen begrenzt ist.
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Dirk Kaufmann