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Kriegsverbrechertribunal

Dževad Sabljaković und Zoran Arbutina4. Dezember 2008

Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gibt jährlich über 13 Millionen Euro für die Verteidigung der Angeklagten aus. Neue Bestechungsvorwürfe lassen Kritik an der Prozesskostenhilfe aufkommen.

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Blick auf das UN-Kriegsverbrechertribunal für Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien in Den Haag (Quelle: dpa)
Können sich Angeklagte am UN-Kriegsverbrechertribunal bereichern?Bild: dpa - Fotoreport

Einer der prominentesten Prozesse des Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag wird gegen Milan und Sredoje Lukic geführt. Beide werden beschuldigt, 1992 schwerste Kriegsverbrechen in Visegrad verübt zu haben. Letzter Zeuge der Anklage ist Hamdija Vilic. Seine Frau und seine beiden Kinder wurden vermutlich - so die Anklage - von Lukic getötet. Vilic berichtet nun, dass ihm von der Verteidigung 100.000 Euro angeboten wurden. Einzige Auflage: er müsse falsch aussagen, und zwar zu Gunsten des Erstangeklagten Milan Lukic.

Dieser Fall wirft die Frage auf, wer und mit welchem Geld die Verteidiger der Angeklagten finanziert, und nach welchen Kriterien diese Mittel verteilt werden.

Jährlich 13 Millionen Euro für Verteidigung

Aus dem Haushalt des Haager Tribunals werden jährlich mehr als 13 Millionen Euro für die Verteidigung ausgegeben. Dies folgt aus den Grundsätzen des Tribunals. Darin steht, dass jeder Angeklagte ein Recht auf ein faires Verfahren hat. "Jede Person, die der Kriegsverbrechen angeklagt ist, hat ein Recht auf Verteidigung. Wer nicht über genügend eigene Mittel verfügt, bekommt Prozesskostenhilfe von uns", sagt die Sprecherin des Gerichthofes, Nerma Jelacic.

Der Angeklagte muss beweisen, dass er mittellos ist und deswegen die Rechtsanwälte nicht bezahlen kann. Die Angaben werden sorgfältig geprüft: "Ein Finanzprüfer und sein Team kontrollieren nicht nur alle schriftlichen Angaben der Angeklagten über ihre finanzielle Lage, sondern stellen auch eigene Nachforschungen an", so Jelacic. "Auch deswegen bekommt nur etwa ein Drittel von ihnen die volle finanzielle Unterstützung des Gerichts."

Fast alle Angeklagten beantragen Prozesskostenhilfe

Wer sich aber einmal die finanzielle Unterstützung des Tribunals gesichert hat, dem stehen künftig Tür und Tor zur Kasse des Tribunals offen. Allein deshalb versuchen mit nur wenigen Ausnahmen nahezu alle Angeklagten, vor dem Kriegsverbrechertribunal finanzielle Unterstützung bei den Verteidigungskosten zu bekommen.

Milosevic auf der Anklagebank (dpa / Paul Vreeker)
Wollte kein Geld vom ICTY: Slobodan MilosevicBild: dpa

Eine Ausnahme war beispielsweise der frühere jugoslawische und spätere serbische Präsident Slobodan Milosevic. Er erkannte das Tribunal erst gar nicht an und wollte daher auch kein Geld von ihm. Auch der General der bosnischen Kroaten Tihomir Blaskic, der zunächst zu 45 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, dank eines Beschwerdeverfahren seine Strafe aber auf neun Jahre reduzieren konnte, stellte keinen Antrag auf Prozesskostenhilfe.

Auch Angeklagte bereichern sich am Tribunal

Ob die beiden jedoch wirklich horrende Geldsummen für ihre Verteidigung ausgegeben haben, ist nicht bekannt. Bei allen anderen Fällen, in denen Prozesskostenhilfe gewährt wurde, wurde dies jedoch stets publik. Die Verteidigung eines Angeklagten kostet das Tribunal durchschnittlich eine halbe Million Dollar jährlich. Diese Summe nehmen hauptsächlich Rechtsanwälte ein, aber auch die Angeklagten gehen nicht leer aus.

In einer internen Untersuchung stellte das Sekretariat des Tribunals vor sechs Jahren fest, dass der Angeklagte Zoran Zigic, ein bosnischer Serbe, in vier Jahren Haft im Haager Tribunal mehr als 200.000 Euro "verdient" hat. Einen Großteil der Summe hat er von seinen Verteidigern bekommen, den Rechtsanwälten Simo Tosic aus Banja Luka und Slobodan Stojanovic aus Belgrad, und zwar aufgrund "eines bereits ausgearbeiteten Schemas der Honorarverteilung", so das Sekretariat des Tribunals.

"Fall Zigic ist skandalöse Ausnahme"

Die Verteidigung von Zigic, der wegen der Ermordung und Folterung Gefangener in den Lagern Omarska und Keraterm in Bosnien-Herzegowina zu 25 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, erleichterte den Haushalt des Tribunals um beachtliche anderthalb Millionen Dollar. Vor dem Krieg war Zigic in der kleinen bosnischen Stadt Prijedor ein gewöhnlicher Taxi-Fahrer. Nun hat er während des vierjährigen Verfahrens allein in der Kantine des Gefängnisses in Scheveningen schon rund 33.000 Euro ausgegeben. Das sei jedoch eine skandalöse Ausnahme und keinesfalls die Regel, erklärt die Sprecherin des Haager Tribunals: "Der Fall Zigic zeigt, dass das Tribunal aus seinen Fehlern lernt. Nachdem der Fall bekannt wurde, sind die Kriterien, die einen Rechtsanwalt befähigen, als Tribunals-Verteidiger zu arbeiten, wesentlich verschärft worden."

Wolfgang Schomburg
"Haltlose Gerüchte", sagt ICTY-Richter Wolfgang SchomburgBild: DPA

Trotzdem gibt es Hinweise, dass die Versuche so mancher Angeklagter, sich am Tribunal zu bereichern, noch nicht vollständig unterbunden wurden. So hat der amerikanische Rechtsanwalt Michael Karnavas im Jahr 2004 seinen Mandanten Vidoje Blagojevic des so genannten "Fee-Splitting" beschuldigt. Dabei handelt es sich um ein korruptes Abkommen, die Verteidigungs-Honorare zwischen Verteidiger und Angeklagtem zu teilen. Später zog Karnavas diese verbale Anschuldigung zwar zurück, aber schon der Vorfall zeigt, dass es sich unter gewissen Umständen lohnen kann, ein Angeklagter am Haager Kriegsverbrechertribunal zu sein. Offiziell ist davon jedoch nichts bekannt, betont der langjährige Tribunal-Richter Wolfgang Schomburg: "All diese Gerüchte haben sich bisher, trotz intensivster Nachforschung, als haltlos erwiesen. Als Richter sollen wir uns vor Spekulationen hüten. Die Ermittlungen, die wir anstellen ließen, sind alle im Sande verlaufen. Es hat sich nicht in einem einzigen Fall bewahrheitet, dass es ein derartiges 'Fee-Splitting' gibt."

Dementiert - aus Mangel an Beweisen. So könnte das Urteil lauten. Jeder ist unschuldig, bis man das Gegenteil bewiesen hat, und jeder hat das Recht auf die bestmögliche Verteidigung. Aus diesen zwei rechtsstaatlichen Grundsätzen wird auch die Praxis des Haager Tribunals abgeleitet, Personen, die über keine ausreichenden eigenen Mittel verfügen, finanzielle Hilfe für die Verteidigung zu gewähren. Dass manche versuchen, hier Missbrauch zu betreiben, stellt die Richtigkeit dieser Handhabe und der rechstaatlichen Grundsätze aber nicht in Frage.