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Glaube

Briefe Joseph Ratzingers in den Osten Deutschlands

20. Januar 2023

Nach dem Tod Benedikts XVI. erschien er in manchem Nachruf als großer Theologe, der mit einer synodal verfassten Kirche wenig anzufangen weiß. Briefe von ihm in den Osten Deutschlands werfen ein anderes Licht auf ihn.

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5 Jahre Papst Benedikt XVI Kardinal Ratzinger 2000 Flash-Galerie
Bild: AP

Am Silvestermorgen 2022 starb Papst Benedikt XVI, der mit bürgerlichem Namen Joseph Ratzinger hieß. Viele Nachrufe und Würdigungen, auch kritische Auseinandersetzungen mit seinem Pontifikat, seinem Wirken als Präfekt der Glaubenskongregation, als Erzbischof von München und Freising und als Theologe, wurden seither verfasst.

Wer Joseph Ratzinger und Deutschland hört, der denkt zuallererst an seine Heimat Bayern; vielleicht noch an Tübingen, wo er an der Universität gelehrt hat. An den Osten Deutschlands, also das Gebiet, das vierzig Jahre als DDR neben der Bundesrepublik einen eigenen deutschen Staat bildete, denken da wohl die wenigsten. Trotzdem lohnt es sich auch hier nach Spuren Joseph Ratzingers zu suchen.

Schließlich besuchte Joseph Ratzinger sowohl als Theologe, wie auch als Kardinal und Papst mehrfach Ostdeutschland.

Der Osten Deutschlands gehört zu den am wenigsten religiösen Gegenden der Welt. Gerade mal 20 Prozent der hier Lebenden bekennen sich zur christlichen Religion, von anderen Religionen ganz zu schweigen 

Ein Grund ist sicher die stark repressive Politik in der der kommunistischen DDR, der es auf vielfältige Weise gelang, das Wirken der Kirchen in der DDR einzuschränken. Diejenigen, die gläubig blieben, hatten es oft schwer. So half der Austausch mit den Kirchen in anderen Ländern, besonders mit Westdeutschland an vielen Stellen, um diese Situation ertragen zu können. Und so war dieser Austausch auch für Joseph Ratzinger selbstverständlich und er reiste mehrfach in die DDR. 

Die DDR Staatssicherheit setzte mehrere Informanten an, die ihn und seine Gastgeber bespitzeln sollten. Ratzinger traf sich mit Theologen, Studenten, hielt Vorträge und „vertrat“ Papst Johannes Paul II. beim ersten und einzigen Katholikentreffen der DDR 1987, wo mehr als 100.000 Katholiken in Dresden zusammenkamen. Nach dem Zusammenbruch der DDR kam er als Papst 2011 nach Erfurt, an den Ort, wo Martin Luther Theologie studierte, und traf sich mit Vertretern der evangelischen Kirche. Er besuchte das Eichsfeld und hielt eine bis heute aktuelle Rede in Berlin im Deutschen Bundestag. Bei dieser Spurensuche rücken allerdings zwei Briefwechsel Joseph Ratzingers in den Blick, die er mit zwei Leipziger Oratorianern führte.

Das Oratorium des Heiligen Philipp Neri in Leipzig war lange Zeit ein Vorreiter der theologischen Entwicklung nicht nur im Osten Deutschlands. Mit Siegfried Hübner, einem Dogmatiker, hatte Joseph Ratzinger studiert. Nun lebten sie in verschiedenen deutschen Staaten und schrieben sich ab und an Briefe, der eine an den „lieben Joseph“, der andere an den „lieben Siegfried“. Ihre Korrespondenz ist über Jahrzehnte eine spannendende – überaus höflich geführte Kontroverse. Einmal schreibt Joseph an Siegfried: „Wir können in einer Kirche auf zwei unterschiedlichen Planeten leben – doch im Tiefsten sind wir eins.“ Beide werden auf dieses Bild immer wieder zurückkommen.

2013 schreibt Joseph, nun als Benedikt XVI.: „Du zielst … darauf, dass der Mensch die eigentliche Mitte, das letzte demütige und vertrauende Ja zum Herrn finde. … Ich möchte aber nun hinzufügen, dass neben dieser Verwesentlichung auf das letztlich ganz einfache Ja zu Gott in Christus doch andererseits die Freude an der Fülle, am Reichtum und an der Schönheit des Glaubens hinzutreten muss. Der Glaube darf nicht als ein schweres Gepäck erscheinen, das man möglichst erleichtert. Er soll uns vielmehr als Flügel verständlich werden, die uns tragen und uns Höhe geben und daher kraftvoll sein sollen... Gewiss sind wir alle traurig über den Rückgang der Kirchenbesuche, über das Zusammenschmelzen unserer Gemeinden. … Gleichzeitig aber sind wir sicher darin einig, dass wir nicht erwarten dürfen, wieder die Volkskirche herstellen zu können. In der kulturellen Situation von heute werden die gläubigen Christen unausweichlich eine Minderheit bilden. Nun, Du weißt, ich setze gerade auf die kreativen Minderheiten. Sie sind es, die den Schlüssel zur Zukunft in den Händen haben.“ (Quelle: „Lieber Joseph – Lieber Siegfried – Freundschaftliches Gespräch zwischen zwei Planeten“ HG: Hans Jürgen Sträter, Adlerstein Verlag 2022)

43 Jahre vor diesen Worten, im Jahr 1970 griff ein zweiter Leipziger Oratorianer zum Stift. Wolfgang Trilling, einer der führenden Köpfe der Meißner Synode, bat den mittlerweile berühmten Theologen Ratzinger um ein Gutachten, weil die Synode ins Fadenkreuz klerikaler Kritik geraten war. Es lohnt ein wenig die Hintergründe zu beleuchten. Bischof Otto Spülbeck war weltweit einer der ersten Bischöfe, der die Beschlüsse des II. Vatikanum umzusetzen suchte. Bereits 1965 kündigte er für das Bistum Meißen die Synode an, die 1969 – 1971 in Dresden stattfand. Von Anfang an wurden Laien in einer für die katholische Kirche neuen und ungewöhnlichen Weise intensiv an der Arbeit beteiligt. Der Vorsitzende der Berliner Bischofskonferenz Alfred Kardinal Bengsch stand dem von der Meißner Synode vertretenen Kirchenbild und der Aufwertung der Laien in der Kirche sehr kritisch gegenüber.

Im Konflikt um ihre Ergebnisse wurden mehrere Gutachten erbeten, die die Frontstellungen verdeutlichen. Der Mainzer Kirchenrechtler Georg May steht hier für ein sehr klerikales Verständnis: „Dass aus „Einsicht und Urteil aller Glieder der Kirche eine öffentliche Meinung wachsen“ könne, die „dem Geist Christi Raum“ geben könne ..., ist eine der ärgsten Utopien dieses an krassen Verzeichnungen der Lage gewiss nicht armen Dokumentes. Was der Herr Jedermann denkt und will, das wissen wir Seelsorger sehr genau. Wir sollten ihn lehren, was er denken und wollen soll.“  Mit dieser Einschätzung stand May nicht allein.

Ganz anders Joseph Ratzinger: Ich muss gestehen, dass es mir schwerfällt, die Angriffe …zu begreifen. Ich halte diesen Text für eine sehr sorgfältige, biblisch sauber fundierte und dogmatisch umsichtige Anwendung der konziliaren Sicht der Kirche auf die konkrete Situation eines Bistums. …Letztlich kommt wohl alles darauf an, in welchem geistigen Klima sich die Dinge abspielen. Wo ein Klima des Vertrauens und der gemeinsamen Suche nach dem, was dem Glauben gemäß ist, herrscht, braucht man einerseits von Beschlüssen nichts zu fürchten und andererseits auch nicht zu gewärtigen, daß „Beratung“ als bedeutungslos behandelt wird. Wo umgekehrt solches Vertrauen nicht besteht, wird man im einen wie im anderen Falle schlecht fahren.(Quelle für beide Zitate (G. May und J. Ratzinger): Grande, Dieter / Straube, Peter-Paul, Die Synode des Bistums Meißen 1969-1971. Die Antwort einer Ortskirche auf das Zweite Vatikanische Konzil. Benno-Verlag Leipzig 2005.)

Der Meißner Synode hat dieses Gutachten Joseph Ratzingers nicht geholfen Sie war wohl ihrer Zeit voraus, wurde „abgewürgt“ und ihr Ertrag in der DDR Zeit beinahe totgeschwiegen.  Joseph Ratzinger erscheint in diesen Briefen in den Osten auf der Höhe der Zeit und seine in den Briefen zum Ausdruck kommenden Positionen sind auch für die gegenwärtige Situation der Kirche und die Diskussion um Synodalität bis heute relevant.

 

Guido Erbrich,

geboren 1964, ist Vater von vier Töchtern. Er lernte den Beruf des Tontechnikers bei Radio DDR und arbeitete bis 1987 beim Sender Leipzig. Danach schloss er ein kirchliches Abitur in Magdeburg ab. Sein Studium der Theologie führte ihn nach Erfurt, Prag und New Orleans. Im Bistum Dresden-Meißen war Erbrich bis 2002 Referent in der Jugendseelsorge. Danach wechselte er als Studienleiter und Referent ins Bischof-Benno-Haus nach Schmochtitz. Bis 2010 leitete Erbrich die Katholischen Erwachsenenbildung Sachsen. Ab 2010 war er Leiter der Heimvolkshochschule Roncalli-Haus-Magdeburg. Nun ist er seit Mai 2020 Senderbeauftragter der katholischen Kirche für den Mitteldeutschen Rundfunk.