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Wikipedia, eine soziale Bewegung

Eleni Klotsikas14. April 2009

Im Alter von vier Jahren konnte er bereits lesen. Sein erstes Buch soll eine Enzyklopädie gewesen sein. Das erfährt man über ihn auf Wikipedia. Die Rede ist von Jimmy Wales, dem Gründer der freien Online-Enzyklopädie.

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Jimmy Wales, Schöpfer der Internet-Enzyklopädie "Wikipedia"Bild: AP

Jimmy Wales, auch Jimbo genannt, sitzt gelassen auf einem Ledersofa. Auf den ersten Blick wirkt er unscheinbar: schwarzer Rollkragenpulli, schwarze Stoffhose, ein Bart, der länger als drei Tage steht. Keine Designerkleidung, kein Glamour, keine Starallüren. Er macht einen freundlich geduldigen Eindruck. Seine blauen Augen sind hellwach. Sein Blackberry, auf dem er mit flinken Fingern herumtippt, wenn er nicht gerade etwas gefragt wird, hat er kurz beiseite gelegt. "Eigentlich habe ich schon mit dem Lesen begonnen bevor ich vier Jahre alt wurde. Meine Eltern haben viel in meine Erziehung investiert und ich war ein Kind, das gerne lernte.“ Es stimmt zwar nicht, dass sein erstes Buch eine Enzyklopädie gewesen ist, gibt er zu. Aber es war eines seiner Lieblingsbücher, im dem er als Kind viele, viele Stunden herumgeblättert habe.

Wikipedia
Wikipedia bietet Artikel in 250 Sprachen

Er grinst als ich ihn darauf hinweise, dass sich Wikipedia gleich bei meiner ersten Frage als etwas ungenau erweist - ausgerechnet da, wo es um ihn geht. "Es muss alles auf einer verlässlichen Quelle beruhen “, weicht er gekonnt aus. "Das können zum Beispiel ein guter Zeitungsbericht oder ein Buch sein.“ Letztlich sei Wikipedia oftmals nur so gut oder schlecht wie die Presse. Tauchen dort Fehler auf, dann schleichen sie sich oft auch in Wikipedia ein. "Irgendwann werden sie dann gefunden und korrigiert.“


Wikipedia werde immer besser, sagt Jimmy Wales. Erst vor kurzem habe das Magazin Stern eine Studie in Auftrag gegeben, in der Wikipedia mit Brockhaus verglichen wurde. "Wikipedia hat gewonnen. Wir sind uns nicht sicher, ob die Studie wirklich gut war, denn wir sind immer sehr selbstkritisch.“


Selbstkritisch? Passt diese Beschreibung auch auf ihn persönlich? Er ist schwer einzuschätzen, der 42jährige Begründer einer weltweiten Wissensbewegung. Er hat sie in Gang gesetzt als er 2001 eine Freie Enzyklopädie als Open-Source-Projekt ins Netz gestellt hat. Heute ist Wikipedia die 4-beliebteste Seite im Netz und wird monatlich 300.000 Mal angeklickt.


Das freie Wissen besteht heute aus über 10 Millionen Artikeln in 250 Sprachen, die von einem Heer Freiwilliger rund um den Globus geschrieben wurden. Die Zahl der Freiwilligen beziffert Wales auf 100.000. In Deutschland konnte Wikipedia Ende letzten Jahres die Zusammenarbeit des Bundesarchivs gewinnen, das 100.000 Bilder aus den eigenen Beständen zur Verfügung stellte. Täglich vermehrt sich das kollektive Wissen im Netz. Doch was hat er noch damit zu tun?

Jimmy Wales von Wikipedia mit Laptop, Symbolbild Interaktiv
Er braucht kein Büro: Jimmy Wales ist weltweit online.Bild: Picture Alliance/dpa

Wie sieht eigentlich sein Arbeitstag aus?


Jimmy Wales, der in Florida wohnt und Vater von zwei Kindern ist, reist - wiederum laut Wikipedia - rund 250 Tage im Jahr um die Welt, um für die freie Online-Enzyklopädie zu werben. Er hat keinen festen Arbeitsplatz, er brauche keinen Schreibtisch in einem Büro, sagt er. Online kann er auch überall arbeiten und wenn er mal die Wikipedia Foundation, die in San Francisco 25 Angestellte beschäftigt, besucht, dann sei dort kaum Platz für ihn.


Er trifft sich auf verschiedenen Kontinenten mit Journalisten und der Vertretern der Online-Community und hält Vorträge. Obwohl er die Leitung der Stiftung abgetreten hat, hilft er als Promi weiter die nötigen 7 Millionen Dollar an Spenden zu akquirieren, die das Freie Wissensprojekt jährlich verschlingt. Dem Time Magazin nach gehört Jimmy Wales zu den 100 weltweit einflussreichsten Personen. Er lacht gerne, zum Beispiel auf die Frage warum er Wikipedia nie an Google verkauft hat. "Wikipedia ist eine Charitiy-Organisation. Wir sehen uns als das Rote Kreuz für Informationen. Wir haben viele freiwillige Helfer. Die Leute versuchen an einem humanitären Projekt zusammen zu arbeiten, um eine freie Enzyklopädie in allen Sprachen zu erschaffen. Wir sind so etwas wie eine soziale Bewegung und kein Business.“


Vom Broker zum Wohltäter


Ursprünglich schlug Jimmy Wales mal einen ganz anderen Weg ein: Nach seinem Studium der Finanzwissenschaft handelte er mit riskanten Finanzpapieren an der Chicagoer Börse. Zwei Jahre darauf gründete er seine erste werbefinanzierte Internetfirma. Doch was ihn letztlich zum Messias der Informationsgesellschaft werden ließ, während Larry Page und Sergej Brin mit Google Millionen verdienten, war eher der Zufall. "Zu der Zeit als ich mich dazu entschloss alles in eine Charity-Organisation zu überführen waren wir wirklich mitten in der dot.com Krise. Es gab nirgendwo Investmentgelder.“ Wikipedia hatte sich außerdem verselbständigt. Die vielen Freiwilligen wollten, dass Wikipedia ein Non-Profit Unternehmen wird. Wales lenkte ein: "Als ich kurz inne hielt und darüber nachdachte, was Wikipedia eigentlich ist, kam ich zu dem Schluss, dass es ein Stück Kultur ist, ein Bemühen der Allgemeinheit.“


Das Geld-Verdienen im Internet möchte er Google dennoch nicht ganz überlassen. Sein Versuch mit Wikia Search eine Art demokratische Suchmaschine ins Leben zu rufen, bei der User das Ranking beeinflussen sollen, scheiterte nach nur 15 Monaten. Wieder kam ihm eine Krise in die Quere. Schuld daran sei die Wirtschaftslage, nicht die Unschlagbarkeit von Google, betont Wales. Er glaube immer noch an den Erfolg seiner Suchmaschine und wartet auf ein besseres Wirtschaftsklima.


Momentan investiert er in sein 2006 gegründetes Web-Hosting-Unternehmen Wikia. Damit will Wales die weltweite Internetkollaboration auf andere Bereiche, insbesondere auf Fan-Communities, ausweiten. Auf den Seiten von Wikia sollen sich Aktivisten über Umweltthemen austauschen, Mütter über Kindererziehung und Muppet-Show-Fans über Miss Piggy und Kermit. Letztere sind inzwischen eine große Wikia-Community geworden und haben über 15.000 Artikel zur Muppet Show verfasst.

Screenshot Wikipedia
Wikipedia lebt von den Beiträgen freiwilliger Autoren

Bisher hat Wales jedoch damit noch keinen großen Durchbruch in alle Gesellschaftsbereiche erlangt, denn auf Wikia vernetzt sich größtenteils nur die technisch orientierte Internetavangarde, während Mütter sich über Kindererziehung immer noch lieber per E-Mail austauschen würden. Das will er ändern. "Wir arbeiten daran, die Software soweit zu vereinfachen, dass viel mehr Leute mitmachen.“


Im Gegensatz zu Wikipedia ist Wikia kein spendenfinanziertes Non-Profit Unternehmen und finanziert sich durch Werbung. Er sieht darin kein Problem, denn auch Youtube, Facebook und Myspace erzielen Werbeerlöse und das sei allgemein akzeptiert, rechtfertigt er sich. Profit mache er mit Wikia aber noch nicht.


Es klingt fast wie eine Erleichterung als er es ausspricht. Es klingt als sei Jimmy Wales in der Wohltätigkeitsfalle: Je mehr Geld er mit den Inhalten anderer verdient, desto mehr schadet er seinem Image als Wohltäter des Wordwidewebs.