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10 Jahre Wikimedia-Verein

Stefan Mey15. Juni 2014

Am 13.6 vor zehn Jahren wurde in Berlin der Verein Wikimedia Deutschland gegründet. Er ist eine Erfolgsgeschichte und dennoch in der Wikipedia-Community umstritten.

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Wikipedia auf einem Computerbildschirm zu sehen. (Foto: Jens Büttner/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wir schreiben den 13. Juni 2004. In einem Hörsaal der Technischen Universität von Berlin gründen 35 Menschen den Verein Wikimedia Deutschland. Sie wollen der noch jungen deutschsprachigen Online-Enzyklopädie Wikipedia eine feste Struktur vor Ort geben, nachdem sich ein Jahr zuvor in den USA die globale Wikimedia Foundation gegründet hatte. Kurt Jansson, von 2004 bis 2009 der Vorsitzende des Vereins, erinnert sich. "Wir hatten das Gefühl, dass es sinnvoll ist, auch in Deutschland eine solche Organisation zu haben, mit der man als Sprachrohr von Wikipedia auftritt und die in der Lage ist, Spendengelder zu akquirieren. Und es sollte mittelfristig eine Geschäftsstelle geben, die immer besetzt ist." Dabei sollte sich die Arbeit des Vereins nicht ausschließlich um die Wikipedia drehen. Man habe von Anfang an auch breitere gesellschaftliche Ziele wie Chancengerechtigkeit, Zugang zu Bildung und politische Arbeit für freies Wissen im Blick gehabt.

Wikimedia Deutschland heute: trotz Erfolg umstritten

Aus dem kleinen Verein von damals ist heute eine Art mittelständisches Unternehmen geworden. Zur weltweiten Wikimedia-Familie gehören neben Wikipedia zehn weitere kleinere Projekte, unter anderem die Bilddatenbank Wikimedia Commons, das E-Book-Portal Wikibooks und das Reise-Wiki Wikivoyage. Im Jahresplan für 2014 sind Ausgaben von knapp fünf Millionen Euro vorgesehen. Mit den Mitteln finanziert der Verein 66 hauptamtliche Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit, die die Software weiterentwickeln, sich um die Communities kümmern, Kooperationen mit Bildungseinrichtungen vorantreiben und politische Lobbyarbeit machen.

Leonhard Dobusch, Organisationstheoretiker an der FU Berlin (Bild: privat/ Astrid Dünkelmann)
Leonhard Dobusch, Organisationstheoretiker an der FU BerlinBild: privat/ Astrid Dünkelmann

Trotz seines Erfolgs ist der Verein aber auch umstritten, vor allem in der Gemeinschaft der ehrenamtlichen Wikipedia-Autoren. Die kritisieren immer wieder, dass der Verein die Community der Enzyklopädie vernachlässige und fordern, dass mehr Ressourcen in die konkrete Unterstützung von Autoren gehen sollten. Leonhard Dobusch, Organisationstheoreriker an der FU Berlin, hält das für einen klassischen Konflikt. "Wikimedia hat Probleme, mit denen auch andere Organisation mit Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen zu kämpfen haben, wie Umweltschutzorganisationen oder auch Parteien. Dem 'Apparat' und den hauptamtlichen 'Funktionären' wird unterstellt, dass sie von der Basis entkoppelt sind, Gelder falsch verwenden und die ehrenamtlichen Beiträge nicht genügend wertschätzen."

Parallelstrukturen sorgen für Unmut

Ein wesentliches Problem sei, dass Wikimedia und Wikipedia zwei autonome Parallelstrukturen haben. "Wer Administrator bei Wikipedia ist, hat in der Wikimedia-Hierarchie noch lange nichts zu sagen – und umgekehrt gilt für Wikimedia-Funktionäre dasselbe", sagt Dobusch. Der Vereinsvorstand wird vom Präsidium des Vereins bestellt und abberufen, das wiederum wird von den Vereinsmitgliedern gewählt. Es gibt zwar etwa 1.800 stimmberechtigte, aktive Vereinsmitglieder, doch zu den Versammlungen kommen oft nicht einmal 100 Mitglieder. Komplett davon getrennt ist die Wikipedia-Hierarchie aus Autoren, Sichtern und Administratoren.

Wikimedia-Mitgründer Kurt Jansson ist trotzdem zufrieden. Viele der Gründungsziele seien verwirklicht. "Die deutschsprachige Wikipedia ist gewachsen, es gibt ein Jahresbudget von fünf Millionen Euro, mit dem Software entwickelt und Projekte vorangetrieben werden können, und auf politischer Ebene gibt es regelmäßigen Kontakt zu allen Parteien im Bundestag", sagt Jansson.

Dicke Luft bei Wikimedia Deutschland

Allerdings sind nicht alle von der Arbeit des Vereins begeistert. Mitte Mai 2014 hat das Präsidium des Vereins überraschend beschlossen, den Vertrag mit dem langjährigen Vorstand Pavel Richter zu beenden, da das Präsidium eine "andere strategische Ausrichtung für Wikimedia Deutschland" plane, die sich "nicht mit dem derzeitigen Vorstand umsetzen" lasse, wie es in einer Ankündigung des Präsidiums heißt. Weitere Details wurden nicht genannt. Die Entscheidung sorgte auch innerhalb des Gremiums für Streit. Der Vositzende des Präsidiums trat unter Protest zurück. Michael Jahn, Pressesprecher von Wikimedia Deutschland, will sich zum aktuellen Stand nicht äußern und verweist nur auf den Blogpost des neuen Präsidiumsvorsitzenden.

Der Nachfolger von Richter steht vor großen Herausforderungen. Wikipedia hat ein Nachwuchsproblem bei seinen Autoren: weiterhin sind vor allem Frauen stark unterrepräsentiert. Auf Dauer wird der Verein zudem nicht umhinkommen, die Community stärker einzubinden und Misstrauen abzubauen. Der Organisationsforscher Dobusch hat schon eine konkrete Idee, wie sich das bewerkstelligen ließe. "Man könnte überlegen, ob man nicht an manchen Stellen die strikte Trennung zwischen Wikipedia-Hierarchie und Wikimedia-Hierarchie gezielt durchbricht, beispielsweise indem man gewählte Administratoren anstellt."