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Das Amt spricht Klartext

19. September 2010

Seit Generationen müssen die Deutschen sich durch unverständliche Amts-Briefe und Formulare quälen. In Wiesbadener will die Stadtverwaltung nun den Bürgern zuliebe auf "gut Deutsch" umstellen.

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Das Cover der Leitsätze zum Klartext (Foto: DW)
Die Stadt Wiesbaden will ihre Amtsbriefe entrümpelnBild: Jan Fredriksson

Dimitrios Derekas sitzt in einem Wiesbadener Straßencafé und genießt gut gelaunt die Herbstsonne. Bis ein Reporter auf ihn zukommt und ihn bittet, einen kurzen Text vorzulesen: "Für schulische Aus- und Fortbildungen kann im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) eine monatliche finanzielle Unterstützung gezahlt werden, wenn die Ausbildung förderungsfähig ist, die persönlichen Voraussetzungen erfüllt werden und der Ausbildungsbedarf nicht durch eigenes Einkommen und Vermögen und Vermögen sowie das Einkommen und Vermögen des Ehegatten und der Eltern gedeckt ist."

Derekas ist in zwar einem Rutsch durch den Text gekommen. Den Inhalt hat er auch noch mit Mühe und Not verstanden. Aber es war ja nur ein Satz. Sein Gesicht hat sich verkrampft, denn ein verkrampfter Gesichtsausdruck zeigt, welche geistigen Qualen er beim Lesen erlitten hat. Qualen, die jeder Deutsche kennt - und die Einwanderer erst recht.

Todsünde Nummer eins: zu volle Sätze

Karin Eichhoff-Cyrus (Foto: DW)
Karin Eichhoff-CyrusBild: Gesellschaft für Deutsche Sprache

Wiesbadens Oberbürgermeister Müller will das ändern. Seit 2008 versucht er deshalb, alle seine Verwaltungsleute auf einfaches Deutsch einzuschwören: Wir wollen schreiben, wie man einem Bekannten schreiben würde, dem man etwas Wichtiges mitteilt. Also in einer Sprache, die nicht gestelzt ist und in Sätzen, die nicht über eine halbe Seite gehen. Damit das auch etwas wird, helfen Profis von der Gesellschaft für Deutsche Sprache. In Seminaren sollen vom Abteilungsleiter bis zum Sachbearbeiter alle lernen, sich einfach auszudrücken.

Die Geschäftsführerin der Gesellschaft, Karin Eichhoff-Cyrus, sagt, dass schon ein paar einfache Regeln helfen, die Kommunikation deutlich zu verbessern. So helfe oft schon eine gute Gliederung – denn wer alle Information in einen Satz packe, verwirre den Leser automatisch. Stattdessen kann man natürlich auch sagen: Wir sagen, um was es geht, machen dann einen Punkt oder einen Doppelpunkt und dann eine Aufzählung.

Bei der zweiten Version Entspannung

Ein Vergleich in den Leitsätzen zum Klartext (Foto: DW)
Amtsdeutsch vorher und nachherBild: Jan Fredriksson

Was das bringt, zeigt der zweite Leseversuch des Probanden Dimitrios Derekas. Er trägt vor, was Wiesbadener Verwaltungsangestellte im Seminar aus dem Sprach-Ungetüm zur Ausbildungs-Förderung gemacht haben:

"Wer eine schulische Aus- und/oder Fortbildung absolviert, kann eine monatliche finanzielle Unterstützung erhalten.

Voraussetzungen:

- Die Ausbildung muss nach den gesetzlichen Bestimmungen förderungsfähig sein

nächster Punkt:

- Die persönlichen Voraussetzungen sind gegeben

nächster Punkt:

- Einkommen und Vermögen (eigenes, der Eltern, des Ehegatten) reichen nicht aus, um den Ausbildungsbedarf zu decken."

Derekas schaut schon beim Vorlesen deutlich entspannter. Als er fertig ist, nimmt der Reporter ihm sofort das Blatt weg. Trotzdem kann er ohne Anlauf alle Punkte wiederholen. Wenn irgendwann auch echte Behördenbriefe so verständlich wären, wäre Derekas begeistert. Doch lange Schachtelsätze mit vielen Fachausdrücken gehören unter deutschen Verwaltungsleuten fast zum guten Ton. Ändern lässt sich das nur mit viel Geduld und guten Argumenten. In Wiesbaden haben bisher 80 Mitarbeiter der Stadt die Seminare besucht und die Ideen an ihre Kollegen weitergegeben. Wenn man weiß, dass in der Stadtverwaltung gut 4.000 Leute arbeiten, wird deutlich: Da bleibt noch ein langer Weg.

Autor: Jan Fredriksson

Redaktion: Michael Borgers