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Wie sicher sind Pakistans Atomwaffen?

Ingo Mannteufel13. November 2001

Die jüngsten Demonstrationen in Pakistan zeigen, dass der Kampf gegen das Taliban-Regime das Land spaltet. Die Atomwaffen Pakistans werden dadurch immer mehr zu einem Sicherheitsrisiko.

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Demonstrationen am 9. November in RawalpindiBild: AP

Der pakistanische Militärmachthaber Pervez Musharraf hat vor den Vereinten Nationen am Samstag erklärt, dass das Atomwaffenarsenal Pakistans "in sicheren Händen" sei und "gut bewacht" werde. Er ging damit auf Befürchtungen ein, pakistanische Atombomben könnten in die Hände des Terroristenführers Osama bin Laden fallen. Dieser hatte in seinem jüngsten Interview behauptet, er sei im Besitz von Atomwaffen.

Westliche Befürchtungen

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) äußerte sich vor einigen Tagen besorgt über die pakistanische Nukleartechnologie und deren mögliche Nutzung durch Terroristen. In amerikanischen Medienberichten waren in letzter Zeit Sorgen laut geworden, dass die Sicherheit der pakistanischen Atomsprengköpfe nicht gewährleistet sei: Das US-Magazin "The New Yorker" berichtete, dass sich schon eine US-Eliteeinheit darauf vorbereite, die pakistanischen Atombomben zu entwenden, falls es zu einem Umsturz im Land komme. Die US-Spezialkräfte würden dabei von Mitgliedern der israelischen Geheimeinheit 262 unterstützt.

Pervez Musharraf
Pervez MusharrafBild: AP

Pakistanische Beruhigungsversuche

Musharraf und sein Außenminister Abdul Sattar weisen seit Wochen auf die Kontrollmechanismen für die pakistanischen Atomwaffen hin. Die US-Zeitung "Washington Post" berichtete am Sonntag, dass die Regierung in Islamabad die Atomwaffen in mindestens sechs neue geheime Lager unterbringen ließ. Dies sei schon unmittelbar nach den ersten US-Angriffen auf Afghanistan am 7. Oktober geschehen. Zudem sei die Überwachung neu organisiert worden. Offiziere, die den afghanischen Taliban oder anderen religiösen Extremisten nahe stehen, seien ersetzt worden.

Pakistans Atomarsenal

Pakistan ist seit 1998 eine Nuklearmacht. Damals wurde der erfolgreiche Kernwaffen-Test als die erste islamische Atombombe gefeiert. Mittlerweile hat das Land mindestens 24 nukleare Sprengköpfe. Sie können entweder mit F-16-Flugzeugen oder Mittelstreckenraketen ans Ziel gebracht werden. Über die Entwicklung und den Aufenthaltsort der Nuklearwaffen entscheidet die National Command Authority (NCA). Den Vorsitz führt in diesem Gremium gegenwärtig Musharraf selbst. Weitere Mitglieder sind die Minister für Verteidigung, Äußeres, Inneres, die Chefs der drei Teilstreitkräfte sowie führende Wissenschaftler.

Kein pakistanischer Nuklearkoffer

Die pakistanischen Nuklearwaffen befinden sich noch in der Entwicklung. Der pakistanische Präsident besitzt daher nicht wie der amerikanische oder russische einen "nuklearen Koffer", der ihm jederzeit die volle Kontrolle der Nuklearwaffen ermöglichen würde. Das hat in der gegenwärtigen Situation einen Vorteil: Ein Sturz Musharrafs durch fundamentalistische Generäle würde also den Putschisten keinen ungehinderten Zugriff auf die Atomwaffen verschaffen. Nach Angaben pakistanischer Experten erfordere der Entscheidungsprozess zum Einsatz der Atomwaffen eine größere Anzahl von Personal: Schon vor der jüngsten Aufteilung auf mehrere Lager wurden die Nuklearsprengköpfe getrennt von den "Transportmitteln" wie Raketen oder F-16-Flugzeuge aufbewahrt. Die Atomwaffen müssen erst per Lastwagen über eine größere Entfernung herangebracht werden. Fundamentalistische Putschisten könnten also nicht einsatzbereite Atomwaffen mit einem Knopfdruck abschießen.

Shaheen 1 Rakete
Pakistanische Shaheen-I RaketeBild: AP

Größer dagegen ist die Gefahr, dass islamistische Terroristen durch Diebstahl, Überfall oder Verrat einzelne Atombomben erhalten könnten. Im diesem Fall stünden die Terroristen aber vor der Schwierigkeit, die Atomwaffen sicher an einen anderen Ort zu bringen. Und noch schwieriger wäre es, die Bombe an ihren Zielort zu schaffen und dort detonieren zu lassen. Diese Gefahr besteht aber nicht nur für die pakistanischen Kernwaffen allein: Neben den Atombomben-Arsenalen weltweit gibt es nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Agentur 438 Atomkraftwerke, 284 aktiv genutzte Forschungsreaktoren sowie eine Vielzahl weiterer Orte, an denen mit radioaktiven Substanzen gearbeitet wird. Sie alle könnten Ziel von Terroristen werden, die nach dem Besitz atomarer Waffen streben.