„Wie“ – ein Konsonant und zwei Vokale | Sprachbar | DW | 10.09.2014
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Sprachbar

„Wie“ – ein Konsonant und zwei Vokale

Klein und unscheinbar ist es, auch kein wohlklingendes Kompositum. Aber es ist ein wahrer Könner des Vergleichs, ein wichtiges Fragewort – und ohne es würde manche Redewendung nichtssagend. Ein Hoch auf das „wie“!

"Wie" – ein Konsonant und zwei Vokale – die Folge als MP3

Die Deutschen sind ein unruhiges Volk. Alles wollen sie wissen, alles ergründen – auch das Unmögliche. Zum Beispiel, was die Welt im Innersten zusammenhält. Da wird angestrengt nachgedacht, am Rande der Verzweiflung gegrübelt – und doch ist keine befreiende Antwort, kein erleichtertes Durchatmen möglich. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass in Fernsehshows „Deutschlands Superstar“, eine „Shopping Queen“ oder „Germanys next Topmodel“ gesucht wird. Da weiß man doch, was man hat – nämlich ein Ergebnis, ja, eine Rangfolge.

Das schönste Wort?

Apfelbaumblüte, auf der ein SChmetterling sitzt

Starke Konkurrenten: „Apfelblütentraum“ und „Schmetterling“

Etwas Ähnliches geschieht auch auf sprachlicher Ebene. Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürt jährlich ihr Wort des Jahres. Auch Unworte, Jugendworte und sogar den Satz des Jahres gibt es inzwischen. Und im Jahr 2004 wurde auf internationaler Ebene gar nach dem schönsten deutschen Wort gesucht. Jawohl! Nach dem schönsten.

Nichts einfacher als das. Die deutsche Sprache hat da so einiges zu bieten, etwa Wörter wie Rumpelkammer, unkaputtbar, Zuneigung, Flügelschlag, Schmetterling, Apfelblütentraum oder Sonnenschein. Unser Wort würde bei einer Kür einfach übersehen beziehungsweise überhört: Es handelt sich um das schlichte „wie.“

Ein unerschöpflicher Quell

„Wie?! Wieso das?!“ wird mancher erstaunt fragen. „Das ist doch wohl kein schönes, wohlklingendes Wort.“ Ja, sicher, aber es ist ein Fragewort, das auf ungezählte Antworten wartet. Das dabei manchmal etwas geradezu Schicksalhaftes an sich hat. Eine Frage wie: „Wie konnte das nur passieren?“ beinhaltet, dass etwas Schlimmes geschehen ist, ohne dass wir wissen, was denn genau.

Es ist zudem ein Wort wie Samt und Seide, weich in der Lautung, der lange, offene Doppelvokal verklingt im Nichts. „W“ wie Wonne oder Wunder, „I“ wie Insel oder Innigkeit, „E“ wie Erde, Enzian oder Engel. Das „wie“ ist ein unerschöpflicher Quell, aus dem – je nachdem wie seine Umgebung beschaffen ist – von der poetischen Wendung bis zur sarkastischen Wahrheit alles hervorsprudeln kann.

Ein wahrer Könner des Vergleichs

Symbolbild: Ein Turm aus drei Händepaaren

Wir halten zusammen wie Pech und Schwefel!

Einige Beispiele aus der Rubrik „Vergleiche“ gefällig? „Gelb wie ein leuchtendes Rapsfeld im Licht der Frühlingssonne.“ Oder am anderen Ende der Sprachwelt: „dumm wie Bohnenstroh.“ Oder: „Wir halten zusammen wie Pech und Schwefel“, „stark wie ein Bär“, „schwarz wie die Nacht“, „weiß wie Schnee.“

Gibt es ein Wort, das einen größeren Bogen spannen kann? Das alles beziehungsweise fast alles miteinander verbindet, das je nachdem eine ganz andere Klangfarbe annimmt, ohne sich dabei selbst zu ändern? Ein Wort, das keinen Aufwand mit sich treibt? Drei Buchstaben nur. Ein Konsonant, zwei Vokale. Aber was für welche!

Als Interrogativadverb unentbehrlich

Dagegen wirken Apfelblütentraum oder Vergissmeinnicht geradezu aufdringlich. Aber wie soll eine schlichte Konjunktion, ein Vergleichspartikel gegen solche Komposita aus der Abteilung Poesie bestehen können? Auch die Einbindung in einen Satz wie: „Berührungen zart wie der Flügelschlag von Schmetterlingen“ wird unser „wie“ nicht in die vorderen Ränge der schönsten deutschen Wörter bringen.

Aber wir geben nicht auf. Wir rühren weiter die Werbetrommel. Hier noch ein Argument: Besonders vor Adjektiven hat „wie“ eine nicht zu verachtende Bedeutung. Lassen wir den Dichter, in diesem Fall Goethe, sprechen: „Wie herrlich leuchtet mir die Natur. Wie glänzt die Sonne. Wie lacht die Flur.“ In diesen Zeilen des Mai-Lieds, geschrieben 1771, kommt unserem „wie“ die vornehme Aufgabe zu, einen schnöden grammatischen Superlativ zu umgehen, ihn gleichzeitig aber noch zu überbieten. Ja, der gute alte Goethe. Nicht umsonst dürfte er international im Rennen um den bekanntesten Deutschen ziemlich weit vorne landen.

Das schönste Wort

Für unser „wie“, auf das mehr als für jedes andere das Dichterwort von der „holden Bescheidenheit“ zutrifft, galt das 2004 nicht. Es endete in der Wüste der Nichtbeachtung. Gegen Wörter wie „Habseligkeiten“, „Geborgenheit“, „lieben“, „Augenblick“ und „Rhabarbermarmelade“ kam es nicht an. Auf diese fünf schönsten deutschen Wörter traf eben die alles beinhaltende Redewendung zu: Gewusst wie!






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Lest euch den Text noch einmal durch. Fasst anschließend mit euren eigenen Worten zusammen, warum der Autor redensartlich ein Loblied auf das „wie“ singt.

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