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Meinung: Wider die Gleichgültigkeit

23. Februar 2012

Mit einer Trauerfeier in Berlin gedachte Deutschland der Opfer des Rechtsterrors. Angehörige und Kanzlerin Merkel fanden die passenden Worte, meint Alexander Kudascheff.

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Kommentarbild (Foto: DW)

Es war eine bewegende, eine anrührende, eine berührende, eine unter die Haut gehende Gedenkveranstaltung. An zehn Menschen wurde gedacht, an acht Türken, einen Griechen, eine Polizeibeamtin – allesamt Opfer einer neonazistischen Bande. Das braune Terrortrio hat in Serie beispiellos in Deutschland gemordet. Nicht einfach gemordet, nein Menschen, die hier im Lande lebten, hingerichtet und dann höhnisch den Todeskampf der Opfer gefilmt. Und das über zehn Jahre unentdeckt. Ein unerträgliches Beispiel des Versagens aller deutschen Ermittlungsbehörden. Denn niemand hat in diesen zehn Jahren jemals daran gedacht, die Opfer könnten von Rechtsterroristen ermordet worden sein – auch nicht die Medien übrigens. Und so wurden die Ermordeten zu Mitgliedern von Mafiabanden oder anderen kriminellen Syndikaten gemacht – und die Angehörigen der Opfer mit Vorwürfen gequält, so dass sie nicht einmal trauern konnten. Bis endlich, aber viel zu spät, und eher durch Zufall, die Mörderbande aufflog.

Ein Tag der Opfer

Heute war nun der Tag der Opfer. Der zehn bekannten Opfer der braunen Mörder. Der 25 Verletzten und Schwerverletzten des Terrortrios. Aber auch all jener unbekannten, ungenannten Opfer rechter Gewalt, an die im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt eine 11. Kerze erinnerte. Es war der Tag der Opfer und ihrer Gefühle, von denen sie sprachen. Von ihrer Verbitterung, von ihrem Schmerz, von ihrer Verzweiflung, weil niemand ihnen glaubte. Zwei Töchter, die ihr Leid beklagten, ein Vater, der seinen sterbenden Sohn im Todeskampf begleitete. Sie haben von ihrem Schmerz erzählt, einfach, anrührend, bewegend, aber auch direkt und indirekt von ihrem Leben in ihrer Heimat, in Deutschland, in ihrem Land, so wie sie es empfinden und wahrnehmen.

Alexander Kudascheff (Foto: DW)
Alexander Kudascheff, Hauptstadtstudio BerlinBild: DW/R.Mestdagh

Und der Vater dankte ausdrücklich in türkischer Sprache "seiner" Bundeskanzlerin für ihr Verständnis und ihr Mitgefühl. Was für eine Geste – in ihrer ganzen Hilflosigkeit so stark und menschlich. Und er dankte auch dem früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, der diese Gedenkveranstaltung initiiert hatte und für ihren so eindringlichen Ablauf gesorgt hat.

Und es sprach – statt des zurückgetretenen Bundespräsidenten – die Bundeskanzlerin: Angela Merkel. Voller Empathie für die Opfer. Voller Abscheu gegen die Täter. Mit Widerwillen geradezu über die Art, wie sich die braune Bande im Netz präsentiert hatte. Voller Entsetzen über das Versagen der Ermittlungsbehörden. Eine Schande für Deutschland seien die Taten und, so möchte man hinzufügen, eine Schande war auch, wie blind die Behörden in Deutschland ermittelt haben. Wie einseitig. Wie unfähig.

Eine richtige Geste

Deutschland hat heute der zehn Opfer gedacht. Im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin. Aber auch in einer Schweigeminute in ganz Deutschland, im Norden und Süden, im Westen und im Osten. Eine notwendige, eine richtige Geste, die die tiefe Erschütterung zeigt, in die das Land gefallen ist. Erschüttert über die Morde an Bürgern in der Mitte unserer Gesellschaft. Erschüttert über das Versagen der Ermittlungsbehörden. Erschüttert aber sicher auch, dass diese Morde möglich waren. Und deswegen, Angela Merkel hat es gesagt, muss die Gesellschaft, müssen die Deutschen, müssen wir Deutsche wachsamer werden gegenüber jedem Rassismus, jeder Fremdenfeindlichkeit. Im Großen und im Kleinen, in der Politik und im Alltag. Wer eine offene Gesellschaft will, muss die Gleichgültigkeit gegenüber ihren Feinden überwinden. Das ist die Mahnung des heutigen Tages, das ist die Mahnung einer Gedenkveranstaltung, die niemand unberührt lassen konnte, das ist die Mahnung der schweigenden Deutschen: Wir alle kämpfen wider die Gleichgültigkeit.

Autor: Alexander Kudascheff
Redaktion: Marcel Fürstenau