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NS-Erinnerungsort "Hotel Silber" eröffnet

Katharina Abel
4. Dezember 2018

Der Name täuscht: Das Stuttgarter "Hotel Silber" war zur NS-Zeit eine Zentrale der Geheimen Staatspolizei. Jetzt wird hier das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte aufgearbeitet - dank einer Bürgerinitiative.

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Eine Frau betrachtet Dokumente im NS-Gedenkort "Hotel Silber"
Bild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Wie groß muss seine Verzweiflung gewesen sein? Als 12-Jähriger schrieb Heinz Hummler im August 1944 ein Gnadengesuch an die Geheime Staatspolizei (Gestapo) der Nationalsozialisten. Er wollte seinen zum Tode verurteilten Vater retten: "Sollte uns das Schwere treffen, weiß ich nicht, wie es meine Geschwister und meine Mutter tragen können. Darum bitte ich von ganzem Herzen noch einmal um mildernde Umstände meines Vaters." Sein Bitten wurde nicht erhört, der Vater Anton kurz darauf im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Ein halbes Jahr lang hatte Anton Hummler zuvor als Mitglied einer kommunistisch gesinnten Widerstandsgruppe in Stuttgart in Haft gesessen, die Anklage lautete "Vorbereitung zum Hochverrat". Die Verhöre und Misshandlungen fanden in der Stuttgarter Zentrale der Gestapo statt: im ehemaligen "Hotel Silber".

Dauerausstellung an historischem Ort

Dort ist das erschütternde Dokument seines Sohnes jetzt zu besichtigen - als Teil der Dauerausstellung des neuen NS-Gedenkortes, die an diesem historischen Ort eingerichtet und am Montag eröffnet wurde. Auf 300 Quadratmetern erinnern rund 200 Reproduktionen an die mörderische Arbeit der Gestapo, die hier von 1928 bis 1945 die Verfolgung politischer Gegner und diskriminierter Minderheiten, die Unterdrückung von Zwangsarbeitern und die Deportation von Juden organisierte. Auch Kurt Schumacher, Mitglied der damals verbotenen SPD und nach dem Krieg ihr Vorsitzender, wurde hier zeitweise festgehalten.

Porträt des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher
Auch der spätere SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher wurde im "Hotel Silber" festgehaltenBild: picture-alliance/dpa

Aufarbeitung der Täter-Geschichten

Dabei geht es den Verantwortlichen vor allem um die Auseinandersetzung mit den Tätern: "Das war die Herausforderung", erklärt Kurator Friedemann Rincke im DW-Gespräch: "Die Täter wollen ihre Geschichte naturgemäß nicht gerne preisgeben, doch ich denke, die Aufarbeitung ist uns gut gelungen." Bemerkenswert findet er die Bereitschaft der Täter-Nachkommen, Fotos und Dokumente zur Verfügung zu stellen: "Für sie war die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht immer leicht, deshalb freut mich das besonders."

Bei der Pressekonferenz anlässlich der Eröffnung sagte Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne): "Das Hotel Silber ist ein zentraler Ort, von dem aus Naziterror ausgeübt worden ist." Zudem unterstrich er den Wert der Geschichtsaufarbeitung aus heutiger Sicht: "Die Erinnerung kann verhindern, dass Verbrechen sich wiederholen."

Täter und Verfolgte nach 1945 wieder unter einem Dach

Das Haus dokumentiert die gesamte Geschichte des Hauses ab 1874: von seiner Nutzung als Gasthof, als schickes Hotel, dann Sitz der Postverwaltung und schließlich als Polizeipräsidium, bevor es 1936 zur "Staatspolizeileitstelle Stuttgart" der Gestapo wird. Und es erinnert auch daran, dass das Ende des Dritten Reichs nicht auch automatisch das Ende der Polizei in diesen Mauern bedeutete. Noch bis 1984 blieb das im Stuttgarter Volksmund weiterhin "Hotel Silber" genannte Gebäude Sitz verschiedener Polizeidienststellen. Etliche der Beamten kannten das Gebäude noch gut: Sie hatten bereits in der NS-Zeit dort gearbeitet - als Gestapo-Leute.

Auch die Arbeit der Beamten weist eine unangenehme Kontinuität auf: So seien vor, während und nach der Nazizeit Homosexuelle wie auch Sinti und Roma von der Polizei verfolgt worden, erklärte Paula Lutum-Lenger, die Direktorin des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, bei der Eröffnungspressekonferenz. Doch auch ehemalige Verfolgte - 17 dokumentiert das "Hotel Silber" - arbeiteten nach 1945 für das Stuttgarter Polizeipräsidium.

Das "Hotel Silber" in Stuttgart von außen
Erinnert an das EL-DE-Haus in Köln: Das "Hotel Silber" in StuttgartBild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Erfolg einer Bürgerinitiative

Dass es diesen neuen alten Erinnerungsort überhaupt gibt, ist einer Stuttgarter Bürgerinitiative zu verdanken: Eigentlich sollte das alte Gebäude vor rund zehn Jahren abgerissen und durch ein Einkaufszentrum ersetzt werden. Dagegen wehrten sich die Bürger - mit Erfolg. Und nicht nur das: In Deutschland wohl einmalig, setzten sie auch durch, an der Planung des Gedenkorts durch das Haus der Geschichte Baden-Württemberg mitwirken zu dürfen. "Wir haben diese Zusammenarbeit alle üben müssen", sagt Kurator Friedemann Rincke im DW-Gespräch. "Dass es dabei auch öfters Spannungen gab, ist klar. Aber ich streite mich auch mit Kollegen im Haus über inhaltliche Fragen. Und es hat sich letztlich gelohnt." Oberbürgermeister Kuhn sagte, er sei extrem froh, dass dieses Haus nach einem "nicht reibungsfreien, aber letztlich erfolgreichen Prozess" die Stadt nun bereichere. 

Einen informativen ersten Eindruck können sich Interessierte auf der Website des Museums verschaffen: Dort ist das "Hotel Silber" als "virtueller Geschichtsort" besuchbar. Von Etage zu Etage, unterteilt in Epochen, lernt man das Haus, seine Nutzung und viele seiner "Gäste" kennen. Knapp 4,5 Millionen Euro hat das Land Baden-Württemberg in den Umbau des Gebäudes investiert, die Kosten für die Ausstellung und die laufenden Kosten der Einrichtung teilen sich Stuttgart und das Land.