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PolitikEuropa

Westbalkan: EU-Erweiterung vor neuen Herausforderungen

Rosalia Romaniec
6. März 2024

Die EU-Erweiterung auf dem Westbalkan sei eine geopolitische Notwendigkeit, sagte Bundesaußenministerin Baerbock auf einer Reise durch die Region. Doch die Annäherung stockt und die Lage könnte noch schwieriger werden.

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Der Außenminister von Bosnien-Herzegowina, Elmedin Konakovic, führt seine deutsche Amtskollegin durch Sarajevo
Der Außenminister von Bosnien-Herzegowina, Elmedin Konakovic, führt seine deutsche Amtskollegin durch SarajevoBild: Samir Huseinovic/DW

Rund zwanzig Jahre warten manche Länder im Westbalkan schon auf eine Annäherung an die EU - doch der Weg ist steinig. Nötige Reformen wurden vielfach nicht umgesetzt, zudem fehlte es in Europa lange am politischen Willen und einer klaren Strategie für den Westbalkan. 

Doch ausgerechnet jetzt, wo Europa mit zwei Kriegen zu tun hat - dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und dem Konflikt im Nahen Osten - wird klar, dass ein instabiler Westbalkan zum zusätzlichen Sicherheitsrisiko werden könnte. "Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine macht die EU-Erweiterung zu einer geopolitischen Notwendigkeit", sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Montag in Montenegro - dem ersten Ziel ihrer zweitätigen Westbalkan-Reise.

Baerbock mit Vertretern Montenegros an einem Konferenztisch
Baerbock mit Vertretern MontenegrosBild: Thomas Koehler/AA/picture alliance

Montenegro drückt aufs Tempo

Der Zeitpunkt der Reise ist kein Zufall: Mitte März wird der nächste Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission veröffentlicht und kurz darauf soll es beim EU-Gipfel um weitere Schritte gehen. Das NATO-Mitgliedsland Montenegro ist von den sechs EU-Anwärtern des Westbalkans am weitesten fortgeschritten.

Montenegro startete eine Justizreform und eine jahrelang unbesetzte Oberstaatsanwaltsstelle wurde auf Druck aus Brüssel nun endlich besetzt. Doch bis zum Erfüllen aller Kriterien ist es noch ein langer Weg. Dennoch prescht die proeuropäische Regierung Montenegros mit einem ambitionierten Plan vor: "28 by 28" steht für die nationale Initiative, deren Ziel ist, schon im Jahr 2028 als 28. Mitgliedsland der EU beizutreten.

Ab 2028 in der EU? 

Baerbock wollte sich zu dem konkreten Datum nicht positionieren. Man wolle den Weg in die EU gemeinsam gehen "und zwar schnell". Aber die Erweiterung sei "kein Selbstzweck, sondern sie dient der Stärkung unseres gemeinsamen Europas", dämpfte sie die Erwartungen. Von 33 eröffneten Kapiteln hat Montenegro bisher nur drei geschlossen. Trotzdem wertet der montenegrinische Außenminister Filip Ivanovic dies in der Öffentlichkeit als ein positives Signal. Sein Land wolle an dem Datum 2028 festhalten: "Es ist möglich und realistisch", versichert er.

Baerbock mit Montenegros Ministerpräsident Milojko Spajic
Baerbock mit Montenegros Ministerpräsident Milojko Spajic Bild: Thomas Koehler/AA/picture alliance

In Montenegro ist die Zustimmung zum EU-Beitritt besonders hoch: fast 80 Prozent der Bevölkerung steht einer EU-Mitgliedschaft positiv gegenüber. Zum Vergleich: In Serbien ist es nur jeder dritte Bürger. Die jetzige Führung des Landes will die Zustimmung für die Reformen nutzen.

Bosnien an einer Weggabelung

Auch die Regierung von Bosnien und Herzegowina, wo Baerbock direkt am zweiten Tag ihrer Reise ankam, versicherte, sich für die nötigen EU-Reformen einzusetzen. Nach einem Gesetz zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung soll das Land demnächst ein weiteres Gesetz zum Umgang mit Interessenkonflikten verabschieden und eine Justizreform beginnen.

Die deutsche Außenministerin sieht Bosnien und Herzegowina auf dem Weg in die EU derzeit "an einer entscheidenden Weggabelung“. "Es gibt immer wieder Momente in der Geschichte, wo man den Moment einfangen und die Chance nutzen muss", mahnte Baerbock in Sarajevo bei der Pressekonferenz mit ihrem bosnischen Kollegen Elmedin Konakovic.

Doch politische Entscheidungsprozesse sind in Bosnien und Herzegowina sehr schwierig. Wegen der ethnischen Dreiteilung des Landes erfordern große Reformen eines besonders mühsamen Einigungsprozesses. "Hier kann jeder Politiker Entscheidungsprozesse blockieren", erklärte  der Außenminister von Bosnien und Herzegowina, Elmedin Konakovic, die Lage. "Wir wollen unseren Bürgern die Chance für einen EU-Beitritt nicht verbauen“, so der Außenminister. 

Russischer Einfluss destabilisiert

Das Land ist seit Dezember 2022 EU-Beitrittskandidat. Seine Führung kämpft derzeit nicht nur für die Reformbereitschaft aller Landesteile, sondern auch gegen zunehmende Destabilisierungsversuche aus Moskau. In Bosnien und Herzegowina haben sie ein Gesicht: Milorad Dodik. Der nationalistische Präsident der Republika Srpska (RS) strebt die Abspaltung des ethnisch serbischen Teils vom Rest des Landes an. Ähnlich wie der serbische Präsident Vucic pflegt auch er engen Kontakt zum Kreml und hat erst kürzlich zwei Herrscher des Ostens besucht: Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin.

Nach außen versucht die Führung von Bosnien und Herzegowina die problematische Rolle des Separatisten Dodik herunterzuspielen. Die Menschen im Land hätten sich an ihn gewöhnt, sagte Konakovic. Doch Baerbock warnt bei dem gemeinsamen Treffen vor "Spaltungsphantasien" und wirbt für die Einheit des Landes auf seinem Weg in die EU. "Wir wollen, dass Bosnien und Herzegowina als ganzes Land in die Europäische Union geht", sagte sie in Sarajevo.

Westbalkan geopolitisch wichtiger denn je

Jenseits der innenpolitischen Probleme und des wachsenden politischen Einflusses von Russland, löst auch die derzeitige geopolitische Lage Sorgen auf dem Westbalkan aus. Manche fürchten, dass nach den Europawahlen mehr Erweiterungsskeptiker im Europaparlament sitzen und Donald Trump die US-Wahlen gewinnt. Das würde Europas Aufmerksamkeit für den Westbalkan wieder schmälern - so die Sorge.

Deutsche Außenpolitiker sehen das nicht so kommen. Der Oppositionspolitiker Jürgen Hardt von der CDU, der Baerbock auf der Reise begleitete, sieht angesichts solcher Szenarien die geopolitische Bedeutung des Westbalkan für Europa eher wachsen. "Die ist derzeit so groß wie noch nie", sagte er der DW. Man dürfte dann die Region noch vielmehr nicht der russischen Einflusszone überlassen.

"Gerade vor dem Hintergrund, dass der Westbalkan so nah an uns liegt, muss unser Ziel jetzt sein, dass Europa und der Westen dort die erste Geige spielen", sagte auch der Sondergesandter der Bundesregierung für die Länder des westlichen Balkans, Manuel Sarrazin, der ebenfalls Baerbock auf der Reise begleitete. Eine so nahe, instabile Region könne sonst zu einer großen Schwachstelle für Europa werden.

Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec Leiterin Current Politics / Hauptstadtstudio News and Current Affairs@RosaliaRomaniec