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Bei null Punkten raus

Christoph Ricking30. Mai 2012

Das größte chinesische Mikroblog-Portal Sina Weibo verschärft die Zensur. Jede regierungskritische Äußerung kann als Regelverstoß gewertet werden und zum Rauswurf aus dem sozialen Netzwerk führen.

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Logo des chinesischen Internet-Kurznachrichtendienstes Weibo der Firma Sina
China Internet Kurznachrichtendienst Weibo Internetseite mit LogoBild: Reuters

Zensurbehörden und Internetnutzer in China liefern sich seit Jahren ein Katz- und Mausspiel. Die Behörden ergreifen scharfe Maßnahmen zur Kontrolle des Netzes. Findige User wiederum umgehen die Zensur auf kreative Weise. Die Betreiber von Social-Media-Seiten sind dabei verpflichtet, die Behörden bei der Zensur zu unterstützen: Sie filtern kritische Inhalte automatisch heraus.

Zum ersten Mal veröffentlicht Chinas größter Mikroblog-Betreiber Sina Weibo nun schwarz auf weiß, welche Inhalte zensiert werden. Unerwünscht ist unter anderem das Verbreiten von Informationen, die die "Einheit, Souveränität oder territoriale Integrität Chinas verletzen". Blogs dürfen keine "Gerüchte" und Inhalte verbreiten, die "die soziale Ordnung erschüttern und die gesellschaftliche Stabilität zerstören". Auch Postings, die zu Protesten aufrufen, die "ethnische Einheit des Landes bedrohen" oder "abergläubische Lehren verbreiten", sind verboten. Welche Information nun Gerücht ist oder zum Beispiel die Einheit des Landes gefährdet, bleibt Auslegungssache.

Die Webeite des chinesischen Internetunternehmen Sina, Bildschirm abfotografiert.
Chinas größtes Mikroblog-Portal verschärft mit neuen Regeln die Zensur.Bild: DW

Im Klartext heißt das: Jede gegen die Regierung gerichtete Äußerung kann als Regelverstoß gewertet werden.

Zensur 24 Stunden am Tag

Der chinesische Journalist und Blogger Michael Anti sieht in den neuesten Nutzungsregeln in erster Linie ein Signal des Unternehmens Sina Weibo an die Behörden. "Im Grunde genommen sind diese Regeln etwas, womit das Unternehmen Sina Weibo den Behörden zeigen will, dass es seinen Job bei der Zensur gut macht. Aber das ist kein wirklich großer Schritt, denn die Zensur bei Sina Weibo ist sowieso schon sehr stark."

Journalist und Blogger Michael Anti.
Blogger Michael Anti sieht in den neuen Nutzungsregeln von Sina Weibo ein Signal an die Zensurbehörden.Bild: DW

Sina Weibo zensiert nach einem ausgeklügelten System. Nach eigenen Angaben filtern eigens dafür eingesetzte Mitarbeiter und technische Systeme 24 Stunden am Tag die Informationen im sozialen Netzwerk. Sina teilt die Nutzer intern in Kategorien ein, wie "normaler Nutzer" oder "gefährlicher Nutzer".

Das ist den Zensurbehörden allerdings nicht genug. Im Dezember vergangenen Jahres forderte die chinesische Regierung Sina Weibo auf, eine Klarnamenpflicht einzuführen. Bis März sollte das geschehen. Im April teilte das Unternehmen jedoch seinen Aktionären mit, dass dieses Vorhaben gescheitert sei: "Obwohl wir dazu verpflichtet sind, haben wir es nicht geschafft, die Identität all unserer Nutzer, die auf Weibo posten, zu verifizieren. Diese Nichteinhaltung könnte zu einer strengen Strafe durch die chinesische Regierung führen." Offenbar hatten zu viele Nutzer den Aufruf Sinas, sich mit Klarnamen zu registrieren, ignoriert. Der chinesische Blogger Isaac Mao vermutet, dass die neuen Nutzungsbestimmungen eine Reaktion auf die gescheiterte Klarnamenregelung ist. "Es ist sehr schwierig, Millionen User zu zensieren. Man sieht ja, dass die Klarnamenregelung schon gescheitert ist. Nun überdenken sie ihre Strategie. Sie wollen, dass sich die Community selbst zensiert."

Neues Punktesystem

Um das zu erreichen, führt Sina nun ein Punktesystem ein. Jeder der rund 300 Millionen registrierten Nutzer bekommt ab sofort ein Konto mit 80 Punkten. Wer sich nicht an die Regeln hält, dem werden Punkte abgezogen. Sind nur noch 60 Punkte auf dem Konto, gibt es die erste Verwarnung. Wenn das Punktekonto schließlich leer ist, löscht Sina das jeweilige Benutzerkonto. Offenbar ist es aber auch möglich, Punkte zurückzugewinnen. Wer zwei Monate nicht negativ aufgefallen ist, erhält wieder die vollen 80 Punkte.

Blogger Isaac Mao, hier auf der re:publica in Berlin.
Chinas "Netizens" finden einen Weg, die Zensur zu umgehen, meint Blogger Isaac Mao.Bild: DW

Im chinesischen Internet halten sich Reaktionen auf die neuen Nutzungsbedingungen von Sina Weibo in Grenzen. "Jedes mal, wenn solche neuen Regelungen veröffentlicht werden, interessiert das die Leute nicht besonders", sagt Isacc Mao. "Sie lachen darüber. Das ist die Einstellung, die die Web-User inzwischen gegenüber politischen Dingen haben.“

Statt zu protestieren, finden Nutzer kreative Möglichkeiten, die Zensur zu umgehen. Da wird aus dem 4. Juni, dem Tag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens, zum Beispiel der 35. Mai – ein Begriff, den Filtersysteme nicht automatisch erkennen. Und wer offen diskutieren will, findet Wege, die große chinesische Firewall zu umgehen, um beispielsweise Twitter oder Facebook zu nutzen. Das Katz- und Mausspiel geht weiter.