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Gesellschaft

Schulstart ohne Deutschkenntnisse

Kate Brady mb
18. August 2019

Sollen Kinder, die kaum Deutsch sprechen, eingeschult werden? Darüber wurde in Deutschland heiß debattiert. DW-Reporterin Kate Brady hat eine Grundschule besucht, an der für viele Kinder Deutsch nicht Muttersprache ist.

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Deutschland junge Flüchtlinge - Integration
Bild: picture-alliance/ZB/P. Pleul

Es ist die erste Schulwoche für die Klasse 1A an der Christian-Morgenstern-Grundschule in Berlin-Spandau. Eine bunte Girlande hängt an der Decke des Klassenraums: "Alles Gute zum Schulanfang!" Darunter sitzen 20 Erstklässler. Einige von ihnen hören der Lehrerin mit großen Augen zu, andere scheinen die brandneuen Federmäppchen auf ihrem Pult spannender zu finden. Vor jedem Kind steht ein Schild, darauf stehen Namen wie Mehmet, Shakira, Ameena und Roy. Klassische "deutsche" Namen wie Paul, Florian und Anna findet man hier kaum.

Die Schule selbst ist benannt nach dem deutschen Dichter und Übersetzer Christian Morgenstern. Hier werden insgesamt 570 Kinder im Alter von sechs bis zwölf unterrichtet, von der ersten bis zur sechsten Klasse. Die Schüler haben die Staatsbürgerschaft von insgesamt 42 unterschiedlichen Ländern, darunter sind die Türkei, Bulgarien, Syrien, Griechenland und Nigeria.

Unter den Erstklässlern sind 80 Prozent Kinder von Migranten und Geflüchteten. Viele von ihnen können kaum Deutsch.

Forderung: Schüler müssen besser Deutsch sprechen

Sollten Kinder, die keine oder kaum Deutschkenntnisse haben, überhaupt eingeschult werden? Über diese Frage wurde in Deutschland in den letzten Wochen, pünktlich zum Schulanfang, viel diskutiert.

Angestoßen hatte die Debatte Carsten Linnemann. Der CDU-Politiker hatte in einem Interview mit der Rheinischen Post gesagt: "Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen." Er plädierte dafür, Kinder, die nicht ausreichend Deutsch sprechen, mit zusätzlichen Sprachkursen vorzubereiten.

BdT Einschulungsfeier in Rostock
Mit Überraschungen gefüllte Schultüten sollen Kindern die Einschulung zu einem unvergesslichen Erlebnis machenBild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Für seine Aussagen erntete Linnemann viel Kritik - auch aus den eigenen Reihen. Meinungsumfragen jedoch zeigen, dass viele Deutsche die Dinge ähnlich sehen wie der CDU-Bundestags-Fraktionsvize. Bei einer Umfrage unter gut 2000 Bürgern stimmten 50,2 Prozent der Aussage zu. Kinder sollten erst Deutsch lernen, bevor sie eingeschult werden. 32,1 Prozent widersprachen dem. Unter Unionsanhängern war die Zustimmung für Linnemanns Statement deutlich höher: 60,1 Prozent. Am höchsten war die Zustimmung unter Anhängern der AfD: 85,9 Prozent.

Pädagogen zeigten sich gespalten zu den Äußerungen von Carsten Linnemann. Einige sprachen sich für strengere Regelungen und Sprachtests vor der Einschulung aus. Andere äußerten sich entschieden gegen solche Maßnahmen - sie sehen eine schnelle Integration der Kindern als den besten Weg für sie, die Sprache zu lernen.

Keine pauschalen Lösungen

Die Rektorin der Christian-Morgenstern-Schule in Berlin-Spandau spricht sich dafür aus, dass Kinder sprachlich besser für ihren Schulstart vorbereitet werden. Pauschale Maßnahmen für Migrantenkinder lehnt sie ab.

"Man kann nicht pauschal damit umgehen. Wie in jeder Schule ist die Entwicklung jedes Kindes unterschiedlich. Viele Kinder kennen nur ihre Muttersprache", sagt die Schulleiterin. Andere Kinder, so Karina Jehniche, seien in einer deutschsprachigen Kindertagesstätte (Kita) oder in einem Kindergarten gewesen.

Aber nicht alle Kinder können eine Kita besuchen. In vielen Städten gibt es derzeit nicht genug Plätze. So können sich die Grundschulen nicht darauf verlassen, dass die Kinder dort Deutsch gelernt haben.

Karina Jehniche - Schulleiterin an der Christian-Morgenstern-Schule in Berlin
"Was wir hier bauen ist ein offenes und tolerantes Umfeld", sagt Schulleiterin Karina JehnicheBild: DW/K. Brady

In jeder der ersten Klassen an der Christian-Morgenstern-Grundschule werden etwa 20 Schüler von zwei Lehrern und einem Assistenten betreut. Einige der Pädagogen sprechen Polnisch, Arabisch oder Türkisch; manche haben selbst erlebt, wie es ist, wenn in der Schule Deutsch gesprochen wird, aber nicht zuhause.

Die Kinder sollen an der Schule nur Deutsch sprechen – nicht nur im Unterricht, sondern auch in den Pausen. Schüler, denen das noch schwer fällt, sollen zusätzlichen Sprachunterricht bekommen - es ist allerdings oft schwer, dafür Zeit zu finden. "Je mehr wir auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingehen können, desto besser", sagt Rektorin Jehniche.

"Wenn du willst, kann ich dir helfen"

Im Klassenraum der 1a wird sofort klar: Hier läuft vieles langsamer als in anderen ersten Klassen. Bei einer einfachen Kennenlernübung merkt man schnell, dass manche Kinder zusätzlichen Deutschunterricht brauchen.

Einige der Erstklässler haben deutliche Schwierigkeiten, Wörter richtig auszusprechen. Das Lehrpersonal wiederholt vieles und gestikuliert, um diesen Kindern das Spiel verständlich zu machen. Die anderen Schüler warten geduldig; einige derjenigen, die besser Deutsch sprechen, versuchen denjenigen, die kein oder kaum Deutsch sprechen, das Spiel zu erklären. "Wenn du willst, kann ich dir helfen," bietet ein zierliches Mädchen ihrer Klassenkameradin an, die frustriert in ihrem Stuhl zusammensinkt. Ein Junge lächelt stolz, als er es schafft, einen Reim auf Deutsch aufzusagen. Kurz vorher noch war er panisch und den Tränen nah.

Symbolbild Einschulung
Für Erstklässler, die kaum Deutsch können, sind einfache Kennenlernspiele oft eine große Herausforderung Bild: picture alliance/dpa/P. Steffen

Nicht nur manche Erstklässler haben in den ersten Schulwochen nach den Sommerferien Probleme dabei, Deutsch zu sprechen und zu verstehen. Manche älteren Kinder haben die ganzen Sommerferien kaum Deutsch gesprochen – und das kann viele sprachliche Fortschritte zunichte machen.

Die Sprache Deutsch macht Probleme

Die Lehrer der Christian-Morgenstern-Schule müssen sich nicht nur auf Schüler mit unterschiedlichen Deutsch-Kenntnissen einstellen; für sie ist es oft auch schwer, mit Eltern zu kommunizieren. Die Schule veranstaltet deshalb, erzählt Jehniche, spezielle Elternabende, bei denen die Eltern ihre Erwartungen an die Schule zum Ausdruck bringen können - aber die Lehrer auch den Eltern vermitteln können, was die Schule von den Familien erwartet. Eltern, die noch kein oder kaum Deutsch sprechen, regen die Lehrer an, einen Sprachkurs zu machen.

"Wir bemerken ganz oft zum Beispiel, dass die syrischen Kinder die Sprache schneller lernen. Man merkt oft, dass ihre Eltern auch einen Deutschsprachkurs machen," so die Rektorin. 

Deutschland ist - nach den USA - eines der beliebtesten Länder der Welt für Einwanderer.

"Diese Leute gehen nicht auf einmal weg. Wie wir weiter damit umgehen, ist eine Frage der Einstellung", sagt Schulleiterin Jehniche. "Die Situation sollte nicht negativ betrachtet werden, sondern als große Chance. Was wir hier bauen, ist ein offenes und tolerantes Umfeld."