Wenn Politiker ihr eigenes Fernsehen machen
22. Oktober 2019Politiker interviewen Politiker, als wären sie Journalisten - vor wenigen Jahren noch undenkbar. Doch kürzlich passierte genau das. In einem Video auf YouTube saßen in einem stimmungsvoll ausgeleuchteten Raum zwei Politprominente: Rechts die Kanzlerin Angela Merkel persönlich, links der Fraktionsvorsitzende ihrer Partei im Bundestag, Ralf Brinkhaus. "Schön, dass wir hier das Interview führen können", sagte er und fragte sie nach Erinnerungen an den Herbst 1989.
Wer Ralf Brinkhaus nicht kennt - und das dürften viele sein - könnte zunächst annehmen, links sitze ein Journalist und müsste sich wundern, dass er die "liebe Angela" sogar duzt. Auf den ersten Blick gibt es keinen Hinweis, dass es sich um einen Parteikollegen handelt. Erst in der klein gedruckten Beschreibung liest man, dass der Unionsfraktionschef das "Interview" führt.
Missverständnisse einkalkuliert
Die Macher setzten bewusst auf das Verwechslungsrisiko mit Formaten des professionellen Journalismus, meint Frank Überall, Chef des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV). So wolle man sich authentischer geben. Dass Parteien oder Behörden ihre eigenen journalistischen Inhalte produzieren, wird jetzt auch in Deutschland zum Trend, so Überall. "Warum kritischen Journalisten ein Interview geben, wenn man es doch selbst machen kann?".
Die Presse gilt als "vierte Gewalt". Ihre Aufgabe ist die Kontrolle der drei anderen Staatsgewalten - Verwaltung, Parlament und Gerichte - und all derjenigen, die ihre eigenen politischen Interessen verfolgen, wie Parteien.
"Herr über die eigenen Bilder"
Als im Frühjahr die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, oft AKK genannt, den "Verein der Auslandspresse" in die Parteizentrale eingeladen hatte, stufte ihre Pressestelle die Begegnung überraschend als "Hintergrundgespräch" ein - in der Fachsprache heißt es dann: "unter 3". Damit dürfen keine Zitate aus dem Gespräch verwendet werden. Die Öffentlichkeit sollte so möglichst wenig mitbekommen. Pressefotografen waren ausdrücklich nicht erwünscht. Die Auslandspresse hielt sich an die Vertraulichkeits-Regel. Doch die Partei tat es nicht. Gleich nach der Begegnung wurden mehrere Fotos von dem Treffen getwittert - alle vom hauseigenen Fotograf. "AKK im Gespräch mit 100 ausländischen Journalisten in der CDU-Zentrale", stand in dem Tweet.
Was steckt hinter diesem Verhalten? Dazu ein weiteres Beispiel. Bei einem Fachgespräch zu Migrationsfragen wurden Journalisten mit dem Hinweis nicht hinein gelassen, es gebe doch einen Livestream, also eine Direktübertragung. Doch AKK ließ danach einen anderen Grund erkennen. Die CDU sei "Herr über die eigenen Bilder" gewesen und habe "Nachrichten selbst produziert". In diese Richtung werde es "weitergehen", das sei "moderne politische Kommunikation".
Parteien kopieren Medien
Beide Ereignisse passen ins Bild - Experten nennen dies "Message Control". Um die Kontrolle über Inhalte zu bekommen, werden so genannte "Newsrooms", also eigene Nachrichtenabteilungen in Pressestellen aufgebaut. Ein Vorreiter war die populistische AfD. Gleich mit Einzug in den Bundestag im Herbst 2017 begann die AfD, eine große Medienabteilung mitsamt "Newsroom" aufzubauen. Die Partei wollte damit die klassischen Journalisten umgehen, weil sie sich von diesen falsch dargestellt sah. "Das Alternativmedium sind wir selbst!", sagte Mario Hau, Leiter der Social-Media-Abteilung, im Gespräch mit der DW.
Die Populisten rüsten digital auf. Wenn ihre Bundestagsabgeordneten etwas posten, gebe es Tausende von Profilen, die das in die Breite tragen, sagt der Politik- und Digitalexperte Martin Fuchs. Kreisverbände, Delegierte, Fans - alle sollen mitmachen. Das setzt auch Mainstream-Parteien unter Druck.
Die SPD hat einen Newsroom eingerichtet, von der FDP wird es berichtet. Auch in der CDU-Parteizentrale in Berlin sollen nicht nur sprichwörtlich Wände eingerissen werden. Facebook, TV, Instagram, Twitter - ein Dutzend Mitarbeiter sollen bald zentral von einem "Newsroom" aus erzählen, was die Partei vorhat und steuern, mit welchem Medium sich wer am besten erreichen lässt. Bei der CDU sollen die Geschäftsstellen überall im Land bald weniger Verwaltungsaufgaben erledigen und sich mehr in sozialen Medien engagieren.
Parteien erreichen so ein Publikum, das keine Zeitung liest und kein TV schaut. Das sind potentielle Wähler, die früher nur über teure Wahlplakate erreichbar waren. Jetzt bekommen sie politische Botschaften im Netz direkt auf den Bildschirm geliefert.
"Keine News, sondern Etikettenschwindel"
Was im ersten Moment nach einer Anpassung ans digitale Zeitalter aussieht, ist nicht ohne Risiko. Der Begriff "Newsroom" sei ein "Euphemismus, ein Etikettenschwindel", kritisiert Frank Überall vom Deutschen Journalisten Verband (DJV). Denn "News" würden mit Nachrichten gleichgesetzt. "Aber eine Partei kann keine journalistische Nachricht machen." Es fehle der Anspruch, ausgewogen und nicht nur interessengeleitet zu berichten. Kritisches Nachfragen, das Kerngeschäft von Journalisten, entfalle. Was die Parteien machten, sei Public Relations, also PR-Arbeit.
Rechtlich ist dem schwer etwas entgegen zu setzen - Parteien genießen in Deutschland große Freiheiten. Für die Arbeit von Parlamentsfraktionen gibt es jedoch eine Grenze: Sie dürfen ihr Geld nur für Dinge ausgeben, die ihre parlamentarische Arbeit, nicht aber die der Partei an sich betreffen. Nicht immer ist das allerdings scharf voneinander zu trennen.
Der DJV versucht schon länger, eine öffentliche Debatte darüber anzustoßen. Wenn Parteien oder auch Behörden auf Dauer den Anschein erweckten, sie könnten selbst journalistische Produkte erstellen, müsse das diskutiert werden. Direkte juristische Mittel hat die größte Journalistenorganisation nicht. Für eine Gesetzesverschärfung brauche es mehr öffentlichen Druck, sagt der DJV-Chef Überall. Dass der Trend zum "Newsroom" nicht nur ein Problem für Journalisten ist, sollte aber allen bewusst werden. Schließlich könne dies "kontraproduktiv für die Demokratie" werden.