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Wenn Fliegen zur Qual wird

Jan M. Schäfer31. Mai 2008

Menschen mit eingeschränkter Mobilität geraten in europäischen Verkehrsflugzeugen oft in Schwierigkeiten. Wer im Rollstuhl sitzt, kommt kaum auf die Toilette. Hier zeigen Fluggesellschaften vergleichsweise wenig Einsatz.

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Macquarrie sitzt im Rollstuhl und hält ein Schild in der Hand: Lufthansa ist nicht barrierefrei
Blogger Kay Macquarrie protestierte bei der Flugmesse ILA in BerlinBild: Jan M. Schäfer

"Es ist entwürdigend!" sagt Kay Macquarrie. "Ich trinke nichts mehr, wenn ich mit dem Flugzeug reise." Der Kieler Multimedia-Produzent und Blogger reist viel. Auf Langstrecken in ganz großen Flugzeugen sei es zum Teil besser. Aber innerhalb Europas komme es vor, dass man drei Stunden warten müsse. "Ich musste einmal einer Stewardess versprechen, dass ich nicht aufs Klo muss. Sonst hätten sie mich nicht mitgenommen", erzählt Macquarrie. Nur in größeren Flugzeugen gebe es einen Bordrollstuhl, und selbst da sei die Toilette zu klein. "Jede Gaststätte hat heute eine barrierefreie Toilette", sagt Macquarrie. "Aber nicht einmal eine große Fluggesellschaft wie die Lufthansa baut so etwas ein."

"Entwürdigender Umgang"

Piktogramme am Flughafen
Der Flughafen ist meist barrierefrei - im Flieger aber kann es für Rollstuhlfahrer schwierig werdenBild: picture-alliance/ dpa

Der Umgang mit behinderten Menschen im Flugverkehr sei oft entmündigend, sagt Sigrid Arnade vom Deutschen Behindertenrat. In Deutschland werde man immer wieder als lästiger Problemfall und wie ein Gepäckstück behandelt. "Die Sanitäter kommen und packen einen Rollstuhl, reden aber nicht mit dem, der darin sitzt", sagt Arnade. Das Personal sei einfach nicht dafür geschult. In den USA und in Kanada laufe das ganz anders. Da werde mit behinderten Menschen auf Augenhöhe gesprochen. Auch die Ausstattung mit Zeichen und Signalen für Seh- und Hörbehinderte reichten nicht aus. Das größte Problem sieht Arnade aber in der Unzugänglichkeit der Toiletten. Sie fordert, dass Fluggesellschaften zur Barrierefreiheit verpflichtet werden.

"Es liegt daran, was eine Fluggesellschaft will"

"Man kann jedes Verkehrsflugzeug barrierefrei umbauen", sagt Norbert Thomas von der Firma Dasell, die Flugzeuge von Airbus und Boeing mit sanitären Anlagen ausstattet. "Das ist wie mit einem Wohnmobil. Da kann ich auch eine neue Innenausstattung einbauen". Es liege ganz daran, was eine Fluggesellschaft wolle. Natürlich seien bei deren Wünschen vor allbrandtem Betriebskosten und Gewicht eines Flugzeugs entscheidend.

Die US-amerikanische Delta Airlines hat die Barrierefreiheit zum Unternehmensziel erklärt. Damit unterscheidet sie sich von europäischen Fluggesellschaften. "Wir arbeiten daran, dass mittel- oder langfristig alle Flugzeuge behindertengerecht sein werden", sagt Delta Air Lines Verkaufsleiter Thomas Brandt. Wie lange das dauern wird, kann er jedoch nicht sagen. Die Umstellung müsse mit dem Flugzeugdesign gehen. "In den neuen großen Flugzeugen Airbus A380 und Boeing 787 haben wir behindertengerechte Toiletten", sagt Brandt. Aber das Grunddesign der meisten anderen Modelle sei oft schon Jahrzehnte alt. Da sei ein Umbau schwierig.

"Kleine Gruppe mit speziellen Bedürfnissen"

Ein Flugzeuig des Typs A320 im Flug, von oben
Auch auf Anfrage kein Bordrollstuhl vorhanden - Kurzstrecken-Flugzeuge wie der A320 sind nicht barrierefreiBild: dpa

Bei der Lufthansa wird nicht behauptet, dass technische Gründe ein barrierefreies Flugzeug unmöglich machen. Sprecher Jan Bärwalde wirbt aber für Verständnis. Die Lufthansa sei wesentlich besser auf Menschen mit Behinderungen eingestellt als die meisten ihrer Konkurrenten. Vor allem die Begleitung zum Flugzeug sei außergewöhnlich gut organisiert.

Dennoch sieht es die Lufthansa nicht als Unternehmensziel an, ihre Flugzeuge barrierefrei zu gestalten. Die Bordrollstühle gehörten zum Service-Konzept der Langstrecke, sagt Bärwalde. Und Verkehrsflugzeuge mit größeren und barrierefreien Toiletten auszustatten, hält er für nicht verhältnismäßig: "Es geht hier im Prinzip um eine kleine Gruppe mit sehr speziellen Bedürfnissen", sagt Bärwalde. Man müsse schließlich darauf achten, wirtschaftlich zu operieren.

"Die denken, das rechnet sich nicht"

Die Bundesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Karin Evers-Meyer, ist sich sicher, dass auch ein ökonomisches Potenzial darin liege, barrierefreie Flüge anzubieten. "Zehn Prozent der Bevölkerung sind behindert. Sie sind nicht arm, sie würden gerne öfter in Urlaub fahren", sagt sie. Doch die Interessenvertreter hätten sich dieser Problematik bislang verweigert. "Die denken, das rechnet sich nicht", sagt Evers-Meyer.

Eine rechtliche Verpflichtung für die Fluggesellschaften wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Die Verordnung der Europäischen Union über die Rechte von Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität von 2006 verpflichtet die Fluggesellschaften nicht zu barrierefreien Flugzeugen.

Überzeugungsarbeit gefordert

"Wir setzen auf Zielvereinbarungen zwischen Behindertenverbänden, Flughäfen und Fluggesellschaften. Ich habe die Hoffnung, dass es keine zehn Jahre mehr dauert, bis die Probleme gelöst sind", sagt die Bundesbeauftragte Evers-Meyer. Sie hat im Rahmen der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin eine Fachkonferenz mit dem Titel "Barrierefreier Luftverkehr – Chancen und Nutzen" organisiert. Mit viel Überzeugungsarbeit ihres Büros konnte sie auch einige Vertreter von Fluggesellschaften für die Teilnahme gewinnen.

"Schön, dass diese Diskussion jetzt langsam in Gang kommt", sagt Blogger Kay Macquarrie. Er glaube aber nicht, dass sich in absehbarer Zeit etwas ändern werde: "Ich möchte jetzt reisen und fliegen können und Zugang zu einer Toilette haben. Nicht erst in ferner Zukunft."