Wenn ein Unternehmen sich selbst gehört
26. Juli 2021Wolfgang Bender (Artikelbild) hat wenig Zeit und große Pläne. Der junge Winzer will sein von der Pandemie geschundenes Familienunternehmen vor der Pleite retten und nebenbei den Kapitalismus besser machen. Etwa zwei Drittel der Einnahmen seien seinem Unternehmen Weingut WoW weggebrochen, erzählt der 32-Jährige der DW.
Wäre er ein konventioneller Unternehmer, würde er in dieser Situation sein Einzelunternehmen in eine GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) überführen. Das hätte jedoch auch bedeutet, dass fremde Kapitalgeber über die Zukunft des Unternehmens mitbestimmen dürften. "Ich hatte damit total Bauchschmerzen", sagt der Winzer, der das Unternehmen in vierter Generation führt: "Ein landwirtschaftlicher Betrieb darf kein Spekulationsobjekt sein."
Eigentum verpflichtet, Besitz belastet
Deshalb will Bender seinen Familienbetrieb in eine Genossenschaft mit gebundenem Vermögen umstrukturieren. Dafür enteignet Wolfgang Bender sich jetzt sozusagen selbst: Seinen Besitz überträgt er der neu gegründeten Genossenschaft. Als treuhänderischer Eigentümer des Betriebes trägt er die unternehmerische Verantwortung, hat jedoch kein Anrecht, selbst am Gewinn teilzuhaben. Dieser wird in das Unternehmen re-investiert oder gemeinnützig gespendet.
Bender kann das Unternehmen somit auch nicht mehr weitervererben, der nächste treuhänderische Eigentümer wird von den Mitarbeitenden gewählt. "Mir gefällt die Idee, dass die Mitarbeiter mich einstimmig abwählen können, wenn ich nicht mehr die richtige Führungskraft für diesen Betrieb bin," sagt Bender. Immer wieder geschehe es in Familienunternehmen, dass die alte Generation nicht loslassen könne, was sich negativ auf den Betrieb auswirken könne.
Unternehmensstiftungen: ein altbewährtes Modell
Streng genommen ist die Idee nicht neu. Große Unternehmen wie Bosch oder Zeiss greifen auf Stiftungsmodelle zurück, um den Zweck der Firma nachhaltig zu sichern und die Gewinne ans Unternehmen zu binden - im Fall von Zeiss seit 130 Jahren.
"Aber für kleine Betriebe oder Startups ist die Überführung in eine Stiftung keine Option, da sie viel zu kompliziert und aufwändig ist. Bei vielen Startups wird zum Teil über mehrere Jahre zunächst in der Verlustzone gearbeitet. Da ist schlichtweg kein Geld zur Finanzierung eines Stiftungszwecks übrig", sagt Till Wagner. Als Geschäftsführer und Vorstand der Stiftung Verantwortungseigentum setzt er sich deswegen für die Einführung einer neuen Rechtsform ein: die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen, kurz GmbH-gbV.
Der Vorschlag sieht vor, das Kapital in den Unternehmen dauerhaft und über Generationen hinweg mittels eines sogenannten Asset-Locks zu binden. Weil mit dem Unternehmen dann nicht mehr das große Geld zu holen sei, würden nur am Profit orientierte Investoren das Interesse verlieren. Zum Zuge kämen dann Menschen, die sich mit dem Werten des Unternehmens identifizieren - so zumindest die Theorie.
Im Sommer 2020 legte die Stiftung dem Bundesjustizministerium einen von Rechtsexperten erarbeiteten Entwurf als Ergänzung zum sogenannten GmbH-Gesetz vor.
Auf der politischen Agenda
Mittlerweile ist die Debatte auch in der Politik angekommen. So diskutierten Anfang Mai unter anderem Finanzminister Olaf Scholz (SPD), CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Die Grünen) auf einer Veranstaltung der Stiftung Verantwortungseigentum über das Thema. FDP und CDU zeigten sich zurückhaltend, SPD und Grüne befürworteten die Idee. Die Frage um die Unternehmensnachfolge und den Generationenwechsel ist in Deutschland besonders relevant: Über 80 Prozent der Unternehmen sind eigentümergeführte Familienunternehmen, viele haben Schwierigkeiten eine passende Nachfolge zu finden.
Es mehren sich jedoch auch die kritischen Stimmen. Eine davon ist Birgit Weitemeyer, Professorin für Steuerrecht an der Bucerius Law School in Hamburg. Sie findet die Ziele des Verantwortungseigentums "durchaus sinnvoll", sagt Weitemeyer der DW, sieht jedoch auch die Gefahr der "Steuerung der toten Hand", wenn jetzige Generationen irreversible Entscheidungen über Kapital und Eigentum treffen würden. "Seit der Aufklärung wird diese Willensperpetuierung kritisch gesehen", so Weitemeyer. Deswegen sei dies auch aus gutem Grund nur durch die Überführung in eine Stiftung möglich, die rechtlich stark eingeschränkt und durch die Stiftungsaufsicht kontrolliert wird.
Außerdem befürchtet Weitemeyer, Unternehmen könnten durch die neue Rechtsform steuerliche Vorteile erlangen, etwa weil keine Erbschaftssteuer mehr anfalle.
Einschränkung oder Erweiterung der Privatautonomie?
Die Stiftung Verantwortungseigentum hat die Kritik ernst genommen und den Gesetzesentwurf Anfang 2021 überarbeitet. Nun soll ein externes Gremium die in Verantwortungseigentum geführten Unternehmen überwachen. Dadurch entstünde zwar ein Mehraufwand, dieser sei aber lange nicht so hoch wie in einer Genossenschaft oder in einem Stiftungsmodell, sagt Till Wagner.
Er sieht in der neuen Rechtsform keinen Eingriff in die Privatautonomie: "Die neue Rechtsform würde ja nur etwas erleichtern, was es seit Jahrzehnten in Form von Stiftungskonstruktionen schon gibt," so Wagner "niemand wird gezwungen in diese Rechtsform einzutreten, niemand wird gezwungen Nachfolger zu werden und das Unternehmen kann jederzeit von den Gesellschaftern verkauft, die Gesellschaft aufgelöst werden." Anders als beim Verkauf einer konventionellen GmbH, müssten die Erlöse in diesem Fall weiterhin unternehmerisch investiert oder gemeinnützig gespendet werden und könnten nicht zum privaten Konsum an Privatpersonen ausgeschüttet werden.
Derzeit wird der Gesetzesentwurf vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) geprüft. Bis ein Ergebnis vorliegt, wird es wohl noch dauern. Laut der Sprecherin des Ministeriums, bedürften die Auswirkungen "einer genauen Analyse" und könnten "nicht ohne eine breit angelegte Diskussion umgesetzt werden."
Für Wolfgang Bender ist das zu spät. Seine Genossenschaft ist mitten im Gründungsprozess. Wenn sich genügend Mitglieder finden, wird er schon bald Geschäftsführer eines sich selbst gehörenden Unternehmens sein oder eben, wie er sagt: "Eine Utopie vorleben."