Wer wenig besitzt, hat in der Regel nicht viel. Manchmal allerdings ist weniger mehr. Am wenigsten hat, wer mit wenig unzufrieden ist. Denn für wenig kann man hin und wieder viel bekommen – nur nicht für zu wenig.
Spätestens seit 2004 wissen wir, was eine Armutskonferenz ist. Damals hatten sich in Shanghai mehr als 1000 Menschen versammelt, um über das Thema „Armut“ und wie sie zu bekämpfen sei, zu sprechen. Eingeladen zu der Konferenz hatte die Weltbank unter ihrem damaligen Präsidenten James Wolfensohn. Bei der Veranstaltung zeigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer besorgt über die große Armut in diesen und jenen Ländern. Das Interesse der reichen Länder für die Armen habe einen Tiefpunkt erreicht, stellte Wolfensohn damals fest. Nun, was hat Armut mit „wenig“ zu tun?
Zu wenig von allem
Mehr als man denkt. Denn wer arm ist, hat wenig oder sogar zu wenig. Während in manchen reichen Ländern der Wohlstand und alles, was dazu gehört, inzwischen ungleich verteilt ist, haben die Menschen in der sogenannten Dritten Welt von allem zu wenig und von vielem überhaupt nichts. Sie haben zum Beispiel zu wenig Nahrungsmittel, zu wenig Wasser, zu wenig Medikamente.
In den reichen Ländern stehen manche dem gleichgültig gegenüber, andere haben Mitleid, manche haben auch einfach nur Angst – Angst vor diesem Rest der Welt, in dem Armut und Elend herrschen. Besonders zur Weihnachtszeit steigt jedoch das Interesse, den armen Menschen da draußen ernsthaft zu helfen. Wenigstens spenden und ein wenig Mitleid. Wir alle kennen die Aufrufe: Nur wenige Euro genügen, um einem Kind eine Mahlzeit am Tag zu ermöglichen.
Was ist wenig?
„Wenig“: Was ist das für ein Wort? Ein Zahlwort, genauer gesagt ein unbestimmtes Zahladjektiv. Und wie ein Adjektiv kann es auch gesteigert werden: wenig, weniger, am wenigsten. Im Allgemeinen wird „wenig“ auch klein geschrieben, selbst wenn es formal wie ein Nomen gebraucht wird. Diktiert also jemand in die Feder: „Das ist das wenigste, was ich für dich tun kann“, liegt man richtig, wenn man die Kleinschreibung wählt.
Erstaunt ist, wer im etymologischen Wörterbuch nachschaut, um zu erfahren, woher das Wort stammt. Es leitet sich vom mittelhochdeutschen wēnec ab – was soviel bedeutete wie „beweinenswert“, „elend“, „erbärmlich“. Somit besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Wort und dem Zustand, den es beschreibt.
Weniger ist mehr
Wer wenig besitzt, hat in der Regel nicht viel. Das klare Gegenteil von „wenig“ ist also „viel“. So ist es zum Beispiel schon ein Unterschied, ob jemand wenige Worte über etwas oder eine andere Person verliert, oder viele Worte. Manch einer oder manch einem reichen zwei Sätze, während andere einen ganzen Roman erzählen und eine wortreiche Erklärung abgeben.
Diese Spezies dürfte die Redewendung etwas weniger wäre mehr gewesen nicht kennen, ein Spruch der auf den deutschen Germanisten und Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben zurückgehen soll. Die Qualität von etwas hängt nämlich nicht von der Quantität ab. Oft reden auch die am meisten, die am wenigsten zu sagen haben!
Wenige Sprüche
Nun, mit dem wenigen, was wir bisher zu „wenig“ gesagt haben, wollen wir uns nicht ganz zufrieden geben, obwohl wir eingestehen müssen, dass es nur relativ wenig zu unserem Stichwort zu erzählen gibt. Es ist eigentlich zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel – will heißen, es gibt nur ein bisschen, das so gerade ausreicht.
Mancher, der wenig hat, hält es mit dem Spruch: Froh zu sein, bedarf es wenig. Der eine oder andere Miesepeter, der neidisch ist auf diejenigen, die mehr haben, sollte sich das vielleicht zu Herzen nehmen. Denn manchmal ist es besser, wenig als gar nichts zu haben. Wer das vergisst, hat vielleicht gute Freunde, die dem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen. Denn wie heißt es in der Bibel: „Hast du viel, so gib reichlich; hast du wenig, so gib doch das wenige mit treuem Herzen.“ Auf wenig Gegenliebe dürfte das bei einem Raffzahn stoßen. Der hat vielleicht die Erfahrung gemacht, dass je weniger Geld, desto weniger Freunde man hat. Auf solche sogenannten Freunde oder deren Meinung sollte man sowieso wenig Wert legen!
Armut in den Köpfen
Das wenige zu „wenig“ haben wir mit wenigen Worten umrissen. Wenigstens hat meine Wenigkeit – eine scherzhafte Umschreibung für „ich“ – ein wenig zum wenigen beitragen können. Zu wenig ist es dann doch nicht geworden. Besser wenig, als gar nichts! Übrigens: Die Titelzeile des Artikels über die Armutskonferenz in einer überregionalen Münchener Tageszeitung lautete damals wie folgt: „Die Armut in den Köpfen“. Wir wissen ja jetzt, dass „arm“ auch „wenig besitzend“ heißen kann – und das auch in übertragener Bedeutung.
Fragen zum Text
Hat jemand nur noch ein Stück Brot, das sie/er teilen kann, kann sie/er sagen: …
1. „Das ist weniger zum Sterben als zu viel zum Leben.“
2. „Das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.“
3. „Das ist zum Leben zu viel und zum Sterben zu wenig.“
Wer etwas vorgeschlagen hat, das abgelehnt wurde, …
1. ist damit auf wenig Gegenliebe gestoßen.
2. hat dafür wenig Gegenliebe erfahren.
3. hat damit am wenigsten Gegenliebe hervorgerufen.
Der Spruch Es reden die am meisten, die am wenigsten zu sagen haben bedeutet, dass …
1. wortkarge Menschen bei bestimmten Themen sehr viel sagen.
2. Menschen, die nicht viel wissen, so tun, als ob sie viel wissen.
3. diejenigen, die etwas wissen, anderen davon wortreich erzählen.
Arbeitsauftrag
Setze in den folgenden Sätzen die richtigen Steigerungsformen von „wenig“ in der richtigen Form ein. Bilde anschließend ähnliche eigene Sätze.
1. Karl, Hans und Fritz sind sehr gute Freunde. Von den dreien hat Fritz ________ Geld.
2. Das Konzert der neuen Musikband war kein großer Erfolg, weil es stark regnete. Es waren nur ________ Besucher da, zu ________, um die Kosten zu decken.
3. Wer ________ Freunde hat, ist ________ arm dran als diejenigen, die viele Freunde haben und ________ von ihnen haben.
4. Meine Oma Hilde freut sich, wenn ich sie besuche. Sie erzählt bei diesen Besuchen sehr viel. Ich denke dann: ________ ist mehr.