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Was wird mir noch leidtun?

31. Oktober 2013

Eine der wesentlichsten Entdeckungen der Reformation war die bedingungslose Gnade, die Gott den Menschen schenkt. Markus Witzemann beschreibt für die evangelische Kirche, wie die Gnade hilft, im Leben und im Sterben.

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Luthers Thesenanschlag / Gem.v.Pauwels Luther, Martin Reformator. 1483-1546. - 'Martin Luthers Thesenanschlag'. - (Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg am 31. Oktober 1517). Gemaelde, 1872, von Ferdinand Pauwels (1830-1904). Oel auf Leinwand, 85 x 72 cm. Eisenach, Wartburg. E: Luther and Theses / Gem.v.Pauwels Luther, Martin Church reformer 1483-1546. - 'Martin Luther's 95 Theses'. - (Luther nails the 95 Theses to the door of Wittenberg Cathedral 31 Oct. 1517). Painting, 1872, by Ferdinand Pauwels (1830-1904). Oil on canvas, 85 x 72cm. Eisenach, Wartburg. F: Affichage des theses / Peinture, 1872, P Luther, Martin , reformateur religieux allemand , 1483-1546. - 'Affichage des 95 theses de LutherMartin'. - (Wittenberg, 31 octobre 1517). Peinture, 1872, de Ferdinand Pauwels ( 1830-1904). Huile sur toile, H. 0,85 , L. 0,72. Eisenach, Chateau de la Wartburg.
Luthers Thesenanschlag. Gemälde von Ferdinand Pauwels (1872)Bild: picture-alliance/akg-images

Was werden wir bereuen am Ende?

Wäre es nicht praktisch, in die Zukunft blicken zu können? Zu wissen, welche Entscheidungen mir später einmal leidtun werden? Dann könnte ich rechtzeitig gegensteuern und mein Leben ändern. Vielleicht. Aber wer weiß so etwas schon?

Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuenist der Titel eines internationalen Bestsellers. Die Autorin Bronnie Ware beschreibt darin, wie sie acht Jahre lang Menschen beim Sterben begleitete. Ihr fällt auf, dass viele der Menschen zum Ende ihres Lebens hin ähnliche Dinge bedauern. Und sie leitet daraus 5 Bereiche ab, die offenbar für uns Lebende sehr wichtig sind, auch wenn sie bei den meisten zu kurz kommen.

Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt mein eigenes Leben zu leben.

Denn ich habe immer nur danach gefragt, was die anderen von mir denken und erwarten.

Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.

Denn ich wollte immer etwas leisten und nahm mir zu wenig Zeit für meine Familie.

Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt meine Gefühle auszudrücken.

Denn ich wollte immer höflich sein und Streit vermeiden.

Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden aufrecht erhalten.

Denn mein Alltag war so voll mit wichtigen Aufgaben, dass viele Beziehungen einfach auf der Strecke blieben.

Ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, glücklicher zu sein.

Denn ich hatte immer das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Zum großen Glück fehlte mir das entscheidende Bisschen Erfolg, Ansehen, Wohlstand, Erkenntnis ...

Brionne Ware hat Erfolg mit ihren Beobachtungen: Aus einem Blogeintrag wurde aufgrund der ungeheuren Nachfrage ein Buch, das in viele Sprachen übersetzt wurde. Nicht alle halten dieses Buch für gelungen. Aber seine Grundfrage nach den Einsichten des Alters fasziniert die Menschen.

Es geht um unerfüllte Wünsche, eine kritische Rückschau auf die eigene Biografie, die Frage nach den wesentlichen Dingen unseres Lebens. Es geht um Menschen, die ihr Leben lang gnadenlos mit sich selbst gewesen sind. Schließlich erkennen sie, wie sie so unnötig ein ärmeres Leben geführt haben.

Jeder Mensch ist wertvoll

Die Angst davor, den Ansprüchen nicht zu genügen, kann lähmen und hält mich davon ab, ein glückliches Leben zu führen. Das erkannte auch Martin Luther. Und er entdeckte eine Eigenschaft Gottes neu, die das Leben nicht nur für ihn wieder möglich machte: Gnade.

Gott ist gnädig, das bedeutete für Martin Luther, dass er nicht erst vor einem Gesetzeskatalog oder den Anforderungen der Kirche bestehen musste. Denn Gott liebt von sich aus und vorbehaltlos jedes einzelne Leben. Daran ändert kein Mensch etwas.

Das bedeutet zunächst auch Kontrollverlust. Ich kann meinen Status vor Gott nicht verbessern. Ich habe es nicht in der Hand, meinem Leben einen Sinn oder Wert von mir aus zu geben. Das muss ich aber eben auch nicht. Denn dieser Wert ist mir bereits zugesprochen. Meine Würde hängt nicht von meinen Leistungen und auch nicht von der Toleranz unserer Gesellschaft ab. Meine Würde ist unverfügbar und das macht mich frei.

Ich muss nicht darauf warten, dass mein Leben perfekt ist

So kann ich den Mut haben, mein eigenes Leben zu leben. Es ist nicht entscheidend, ob ich anderen gefalle oder nicht.

Ich muss nicht so viel arbeiten. Durch diese Arbeit erreiche ich nicht das wesentliche.

Ich kann den Mut haben, meine Gefühle auszudrücken. Gott und die Menschen verdienen eine ehrliche, unverstellte Antwort.

Ich kann den Wert von Beziehungen und Freundschaft besser einschätzen. Die vielen Dinge, die ich nun mal tun und erledigen und abarbeiten muss … muss ich eigentlich nicht tun.

Ich kann mir erlauben glücklicher zu sein. Ich werde nicht damit warten, bis mein Leben irgendwann einmal perfekt ist. Das würde mir noch leidtun.

Zum Autor: Markus Witzemann (Jahrgang 1977) arbeitet als Journalist in Berlin. Als waschechter Berliner ist er seiner Heimatstadt bis auf eine kurze Zeit in Westerstede im Ammerland immer treu geblieben, während seines Amerikanistikstudiums, wie auch verschiedenen Praktika. Er ist verheiratet mit Pastorin Nicole Witzemann. Gemeinsam sind sie Mitglied einer Baptistengemeinde in Berlin-Schöneberg.

Titel: Markus Witzemann, Berlin Schlagworte: Witzemann, Reformationstag Wer hat das Bild gemacht?: Rundfunkarbeit im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) für den Medienbeauftragten des Rates der EKD Bildrechte: Christian Engels, Evangelische Rundfunkarbeit
Markus WitzemannBild: Christian Engels Evangelische Rundfunkarbeit