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Warum Deutsch keine Weltsprache wurde

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Er sollte einmal ein erfolgreicher Unternehmer werden. Deshalb schickte der Vater ihn auf eine deutschsprachige Schule in Istanbul. Doch der Plan ging nicht auf, erzählt der griechische Schriftsteller Petros Markaris.

Streiten über Deutsch: Markaris Illu 1

Wie kam ich zur deutschen Sprache? Griechische Jungen und Mädchen in Istanbul besuchten Ende der Vierzigerjahre nach der griechischen Grundschule normalerweise das griechische Gymnasium. Die bevorzugte Fremdsprache der Minderheiten und des türkischen Bildungsbürgertums war damals wiederum Französisch. Das merkte man schon an der Zahl der Fremdschulen: In Istanbul gab es sechs französischsprachige Gymnasien, zwei englischsprachige und nur ein deutschsprachiges Gymnasium – das österreichische St. Georgs-Kolleg. Als ich im zweiten oder dritten Gymnasialjahr war, wurde auch die Deutsche Schule Istanbul wieder eröffnet.

Ich besuchte also eine deutschsprachige Schule und wählte damit einen Sonderweg: ein griechischer Junge, der weder in eine griechische noch in eine französische Schule ging! Dabei hatte die deutsche Sprache in unserer Familie keine Tradition. Meine Eltern sprachen Französisch, mein Großvater Englisch. Die anderen Mitglieder der Familie nur Griechisch und Türkisch, also keine Fremdsprachen. Folglich hatte ich keine Vorliebe für die deutsche Sprache, als ich ins St. Georgs-Kolleg kam. Ich bin väterlicherseits Armenier und mütterlicherseits Grieche. Es gab in der ganzen Schule keinen einzigen Armenier und nur noch einen griechischen Jungen. Und mich, den Halbgriechen. Die Kinder jüdischer Familien setzten ihr Studium fast ausnahmslos in einer französischen Schule fort.

Ich ging ins St. Georgs-Kolleg, um den Traum meines Vaters zu erfüllen. So fing meine langjährige und fast alltägliche Beziehung zur deutschen Sprache an. Mein Vater war Kaufmann, er hatte eine kleine Importfirma, und ich war, als einziger Sohn der Familie, dazu ausersehen, sein kleines Unternehmen zu übernehmen. Damals folgte der älteste Sohn einer Minderheiten-Familie fast immer den Spuren seines Vaters. Er übernahm sein Unternehmen, seine Arztpraxis oder seine Anwaltskanzlei. Die jüngeren Söhne hatten bei der Auswahl ihrer Berufe mehr Freiheiten.

Sprachliche Zurückhaltung nach dem Krieg

Streiten über Deutsch: Markaris Illu 2

Die Wahl des Deutschen als Fremdsprache wirkte befremdlich auf unsere nähere Verwandtschaft. "Warum soll der Junge nicht im 'Zografion', dem griechischen Gymnasium, weitermachen?", fragten sie sich. "Und wenn er unbedingt in einer fremden Schule studieren muss, warum dann nicht in einer französischen?" Was sie nicht wussten: Es war das deutsche Wirtschaftswunder, das mich ins St. Georgs-Kolleg geschickt hatte. Mein Vater war fest davon überzeugt, dass die deutsche Sprache sich als internationale Unternehmersprache der Zukunft durchsetzen würde. Daher sein Entschluss, mich in ein deutschsprachiges Gymnasium zu schicken.

Er hat sich in beiden Fällen völlig geirrt. Ich übernahm nicht seine Firma, und Deutsch wurde auch nicht die internationale Unternehmersprache. Wenn ich aber heute auf diese Zeit zurückblicke, so scheint es mir, dass die Idee meines Vaters doch nicht so abwegig war. Die deutsche Sprache hatte damals gute Aussichten, sich international als Unternehmersprache zu bewähren. Der wirtschaftliche Durchbruch, der damals der Bundesrepublik gelungen war, war die treibende Kraft auch für das übrige westliche Europa. Nicht nur mein Vater bewunderte Westdeutschland. Ganz Europa schaute erstaunt zu, wie sich die Bundesrepublik als Exportnation Europas etablierte. Trotzdem wurde die deutsche Sprache nicht zur Weltsprache, ja nicht einmal zur internationalen Unternehmersprache. Meines Erachtens gibt es dafür mehrere Gründe.

Zum einen hielten sich die Deutschen bewusst zurück. Sie waren stolz auf ihren Aufschwung, wollten aber mit ihrer Sprache, die während des Zweiten Weltkriegs weltweit verabscheut wurde, nicht erneut die Welt provozieren. Der zweite Grund waren die Amerikaner. Niemals in ihrer Geschichte waren die USA so beliebt wie am Ende des Kriegs. Ihre große finanzielle Unterstützungsoffensive in Europa hatte eine Welle der Bewunderung und der Dankbarkeit ausgelöst, zumal die Westeuropäer erlebten, wie schlecht die Sowjetunion mit den europäischen Nachbarländern im Osten umging.

Erwünschte Dominanz des Amerikanischen

Streiten über Deutsch: Markaris Illu 3

Diese Dankbarkeit war in Westdeutschland besonders stark ausgeprägt. Die Deutschen waren eine geteilte Nation; die DDR war für die Bundesrepublik ein Monster und eine alltägliche Gefahr zugleich. West-Berlin lag mitten in der DDR. Die Amerikaner waren also für die Westdeutschen nicht nur ihre Gönner, sondern auch ihre Schutzengel. Sie wollten ihre Dominanz nicht infrage stellen. Im Gegenteil: Sie akzeptierten sie mit Wohlwollen. Das betraf nicht nur die Politik, sondern auch die Sprache.

Das Amerikanische (und nicht das Englische!) dominierte – nicht nur, weil die USA eine Weltmacht und Beschützer des Westens waren, sondern auch (und vor allem), weil sie sich nach dem Krieg so beliebt machten, dass jeder gerne ihre Sprache sprach.
Die Frage, ob die Deutschen aus ihrer Sprache eine führende Weltsprache hätten machen können, bedarf also keiner weiteren Antwort: Sie wollten es einfach nicht.

NICHT LÖSCHEN!! Weißzeile für Projekt Sprache von Welt? Streiten über Deutsch
Petros Markaris (Foto: dpa)

Petros Markaris kam 1937 als Sohn eines armenischen Vaters und einer griechischen Mutter in Istanbul zur Welt. Internationale Erfolge feierte der Schriftsteller unter anderem mit seinen Kriminalromanen, in denen der schrullige Kommissar Kostas Charitos ermittelt. Petros Markaris lebt und arbeitet in Athen.

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