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Glaube

Wann reißt der Himmel auf?

14. Mai 2021

Auch im „Aufbruchsmonat“ Mai erscheint die Welt durch den „Dauer- Lockdown“ immer noch wie verriegelt. Wann reißt der Himmel wieder auf? Ein Blick auf den Feiertag Christi Himmelfahrt kann hier Perspektiven aufzeigen.

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BdT Pastellfarben am Morgen
Bild: picture-alliance/dpa/T. Warnack

Der Mai ist der Monat der Feiertage, der Ausflüge in die Natur, der Vorfreude auf den heranrückenden Sommer. Dieses „Mai-Gefühl“ ist wohl auch in diesem Jahr bei vielen lebendig und zugleich erleben wir in der Realität einen ziemlichen Kontrast dazu. Statt Verreisen, netten Abenden mit Freunden im Biergarten oder auch großen kirchlichen Gottesdiensten zu den Feiertagen erscheint die Welt durch den fast flächendeckenden „Dauer-Lockdown“ immer noch wie verriegelt und zugesperrt. Was bleibt, ist die Sehnsucht und die Frage: Wann verziehen sich diese dunklen Wolken, wann reißt der Himmel wieder auf? Diese Sehnsucht hat vor einigen Jahren die Band „Silbermond“ in einem anderen Kontext sehr stark im Song „Himmel auf“ ausgedrückt: „Ist nicht irgendwo da draußen ́n bisschen Glück für mich? Irgendwo ein Tunnelende, das Licht verspricht? Er will so viel, doch eigentlich nicht. Nur ein kleines bisschen Glück. Wann reißt der Himmel auf? Auch für mich, auch für mich.“ „Wann reißt der Himmel auf?“ Das ist im Grunde auch die Frage, die hinter dem Feiertag Christi Himmelfahrt steht, den Christen letzten Donnerstag gefeiert haben. Wann reißt der Himmel über dem Lebensschicksal Jesu auf, über den immer noch verängstigten Jüngerinnen und Jüngern, auch über uns Christen heute?

An Christi Himmelfahrt geht es um die Verbindungslinien zwischen Himmel und Erde, um offene Horizonte und Berührungspunkte. Es geht letztlich um die Durchlässigkeit der beiden Sphären Himmel und Erde – eine Kernbotschaft der christlichen Religion. Das Fest Christi Himmelfahrt kann uns daran erinnern, dass es mehr Brücken zwischen Himmel und Erde gibt, als wir oft wahrnehmen. Auch schon vor Corona haben sich viele in einer streng getakteten und sorgfältig durchgestylten Lebenswelt wie gefangen gefühlt; wie in einer abgeschotteten Blase. Der Glaube kann diese Sicht wohltuend aufbrechen und weiten. Aus der Perspektive des christlichen Glaubens ist die Erde von der Gegenwart Gottes, der Präsenz des Himmels, durchdrungen. Rituale, gemeinsame Feiern, aber auch stille Momente im persönlichen Gebet können uns daran erinnern: Unser Leben ist getragen von guten Mächten, Gott umarmt uns mit seiner Gegenwart. In Bild- und Erzählform hat der Evangelist Lukas in seiner Himmelfahrts-Episode (Lk 24, 46-53) diesen Grundgedanken wunderbar festgehalten: im Bild des segnenden Jesus. Jesus erhebt die Hände, segnet seine Gefährten, und indem er sie segnet, verlässt er sie – emporgehoben in den Himmel. Anders gesagt: Für Lukas sind Himmelfahrt und Segensgeste eins. Im Segnen geht er – und bleibt zugleich da. Denn der Segen verbindet den Segnenden und die Gesegneten auf engst mögliche Weise, geradezu unzerreißbar. So wie Eltern ihren Kindern oder Partner einander ein Kreuz auf die Stirn zeichnen, wenn einer weggeht und damit zum Ausdruck bringen: „Du bist Gott anvertraut. Er behütet dich und wir werden uns wiedersehen.“ Im Segen Jesu ist alles zusammengefasst, was er gesagt, gebracht, gewollt hat. Sein Vermächtnis ist der Segen und damit die Verbindung zum Himmel. Und dieses Vermächtnis sollen seine Gefährten weitergeben. Wenn Jesus für sie Segen war, dann kann das Zeugnis von diesen in nichts anderem bestehen als darin, dass sie selber für andere zum Segen werden.

Segen sein und Segen wirken, macht darum das Wesen der Kirche aus, im Großen wie im Kleinen. Niemand kann und darf daher von diesem Segen ausgeschlossen werden. Und da wir als Getaufte nicht einfach in der Kirche sind, sondern selber Kirche sind, ist ebendies auch der Lebensauftrag jeder Christin und jedes Christen seit der Himmelfahrt: Dass wir einander ein Segen sind. So wie in Jesus ein Stück Himmel auf Erden war und mit ihm ein Stück Erde in den Himmel gegangen ist, so kann auch durch die Christen ein Stück Himmel gegenwärtig werden und kann durch sie ein Stück Erde zum Himmel kommen. „Jeder gute Mensch ist ein Himmel Gottes." (J. Tauler) So werden die Grenzen zwischen Himmel und Erde fließend, und der Himmel reißt auch in scheinbar dunklen Zeiten immer wieder auf.

Nils Petrat, Dr. theol., ist katholischer Studierendenseelsorger in Paderborn. Außerdem wirkt er als Dompastor am Hohen Dom zu Paderborn.