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Wahlen im Schatten der Gewalt

20. August 2009

Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen findet in Afghanistan die zweite Präsidentenwahl seit dem Sturz der radikal-islamischen Taliban im Jahr 2001 statt. Die Taliban versuchen mit allen Mitteln die Wahl zu sabotieren.

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Wahlliste mit prüfenden Händen darauf (Foto: ap)
Auf den Wahllisten stehen nicht nur die Präsidentschaftskandidaten - auch die Provinzräte werden neu bestimmtBild: AP

Rund 17 Millionen Afghanen sind am Donnerstag (20.08.2009) zur Wahl ihres Präsidenten aufgerufen. Um das höchste politische Amt in dem Land kandidieren 36 Bewerber. Favorit ist Amtsinhaber Hamid Karsai. Er wird aber möglicherweise nicht die absolute Mehrheit erringen können. In diesem Fall müsste er am 1. Oktober in einer Stichwahl voraussichtlich gegen seinen schärfsten Rivalen, den früheren Außenminister Abdullah Abdullah, antreten.

Auch die Provinzräte werden neu bestimmt. Dabei geht es um 420 Mandate in den 34 Provinzen des Landes. Darum bewerben sich 3197 Kandidaten, darunter 328 Frauen. Die rund 6800 Wahllokale öffneten um sieben Uhr (4.30 Uhr MESZ) und schließen um 16 Uhr (13.30 MESZ). Mit vorläufigen Ergebnissen der Abstimmung wurde für Samstag gerechnet.

Gefahren für die Wähler

US-Soldaten mit Gewehren laufen über sandige Straße (Foto: ap)
100.000 ausländische Soldaten sind im bitterarmen Afghanistan stationiertBild: AP

Die Wahl wird von zunehmender Gewalt im ganzen Land und Drohungen der Taliban überschattet. In den Tagen vor der Wahl war die Zahl der Anschläge massiv gestiegen - von durchschnittlich 32 auf 48 pro Tag, wie ein Sprecher der Nato-Schutztruppe sagte. Ziel der Taliban ist es, Angst und Schrecken zu verbreiten und die Bevölkerung so von einer Teilnahme an der Wahl abzuhalten. Um einen weitgehend störungsfreien Verlauf der Abstimmung zu sichern, sind mehr als 300.000 Sicherheitskräfte im Einsatz, darunter etwa 100.000 ausländische Soldaten. Die Regierung wandte sich wegen der prekären Sicherheitslage mit einem höchst umstrittenen Appell an die Medien: Zwischen sechs Uhr und 17 Uhr solle am Wahltag möglichst nicht über Gewalttaten berichtet werden.

Während des Wahlverlaufs kam es dann aber zu zahlreichen Zwischenfällen. Sogar in der Hauptstadt Kabul, wo das größte Aufgebot an Sicherheitskräften die Wahl absichern soll, gab es Anschläge. Bei einer Schießerei an einer Polizeistation im Osten des Stadtgebiets wurden zwei Aufständische von Sicherheitskräften erschossen. Außerdem explodierten vier Sprengsätze in der Nähe von Wahllokalen. Dabei wurden mehrere Menschen verletzt und zeitweise musste die Stimmabgabe deswegen unterbrochen werden. Auch in Kandahar, der größten Stadt im Süden des Landes, gab es zwei Tote nach einer Explosion. Am nordafghanischen Bundeswehr-Standort Kundus traf eine Rakete ein Wahllokal. Nach Angaben des dortigen Provinz-Gouverneurs schlug eine zweite Rakete hinter einer Schule ein, die ebenfalls als Wahllokal genutzt wird. Verletzt worden sei aber niemand, hieß es. Ein Reporter der Nachrichtenagentur dpa berichtete allerdings, er habe ein verletztes Kind gesehen.

Deutsche Soldaten schreiten nur im Notfall ein

Wenn alles gutgeht, werden die deutschen Truppen bei der Wahl nicht weiter in Erscheinung treten. "Wir stehen in der dritten Reihe", beschreibt es ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam. Die Soldaten würden den Tag in ihren Feldlagern oder zumindest ganz in der Nähe verbringen, sagte er im Gespräch mit Reuters. Dicht am Geschehen werde dagegen die afghanische Polizei sein, dahinter komme die afghanische Armee. Keinesfalls sollen deutsche Soldaten an den rund 2000 Wahllokalen im Norden auftauchen. Die fremden Soldaten wollen keinen falschen Eindruck erwecken und bei den Einheimischen den Verdacht einer Wahlmanipulation gar nicht erst aufkommen lassen.

Die Bundeswehr würde erst ins Spiel kommen, falls die Taliban ihre Drohung wahr machen und mit Gewalt gegen die Abstimmung vorgehen sollten. Im Fall von Anschlägen stehen die deutschen Soldaten bereit, den Afghanen mit Transport, medizinischer Versorgung und notfalls auch militärischer Unterstützung unter die Arme zu greifen. Die Bundeswehr ist mit rund 4200 Soldaten am Hindukusch im Einsatz. Etwa 3900 von ihnen sind in den Feldlagern in Masar-i-Scharif, Kundus und Feisabad sowie am usbekischen Versorgungsstützpunkt Termes stationiert, weitere 350 tun in der Hauptstadt Kabul Dienst.

Karsais Karriere

Karsai auf Wahlplakaten (Foto: AP)
Karsai machte kräftig Wahlkampf, um seine Chancen zu erhöhenBild: AP

Sollte Karsai die Wahl erneut gewinnen, wäre es seine letzte Amtszeit als Präsident, da die Verfassung eine weitere Kandidatur verbietet. Der 51-Jährige regiert das Land seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001. Damals wurde Karsai von der internationalen Gemeinschaft auf der Petersberg-Konferenz bei Bonn zum vorläufigen Regierungschef gekürt. Im Juni 2002 bestätigte eine große Versammlung von Stammesältesten, die sogenannte Loja Dschirga, Karsai als Übergangspräsident. Die erste landesweite Wahl 2004 gewann der Paschtune mit gut 55 Prozent bereits im ersten Wahlgang.

Karsai kommt aus derselben Volksgruppe wie die frühere afghanische Königsfamilie. 1983 machte er in Indien einen Universitätsabschluss in Politikwissenschaften und schloss sich dann einer kleinen pro-monarchistischen Gruppe der anti-sowjetischen Mudschahedin in Pakistan an. Nach dem Ende der Moskau-gestützten Regierung 1992 wurde er Vize-Außenminister Afghanistans. Nachdem Karsai zunächst die Taliban unterstützt hatte, engagierte er sich später in Pakistan für den Sturz der Islamisten. Ende 2001 kehrte er nach Afghanistan zurück.

Vom Minister zum Kontrahenten

Abdullah Abdullah (M.) umringt von seinen Anhängern (Foto: ap)
Abdullah Abdullah (M.) umringt von seinen AnhängernBild: AP

Karsais schärfster Kontrahent Abduallah Abdullah war Außenminister in Karsais Kabinett, bis ihn der Präsident 2006 überraschend entließ. Der ehemalige Augenarzt schloss sich 1986 dem Widerstand gegen die Sowjets an und spielte eine zentrale Rolle auch bei der Unterstützung der US-Truppen zum Sturz der Taliban. Abdullah gilt als wichtiger Führer der nordafghanischen Gruppe der Tadschiken, ist aber teilweise selbst paschtunischer Herkunft. Der 48-Jährige setzt sich dafür ein, die Regierung um einen Premierminister zu ergänzen sowie Gouverneure und Bürgermeister wählen zu lassen. In seinem Wahlkampf versprach er einen Wandel und lehnt sich damit an das Motto von US-Präsident Barack Obama an.

Obama könnte laut einer neuen Umfrage bald die Unterstützung für seinen Afghanistan-Einsatz verlieren. 51 Prozent der Teilnehmer der am Mittwoch veröffentlichten Umfrage sagten, der Kampf der US-Armee am Hindukusch lohne sich nicht. Nur 47 Prozent der Befragten befürworteten die Mission. Im Juli hatte sich noch eine knappe Mehrheit für den Einsatz ausgesprochen. Nur 27 Prozent der Befragten unterstützten eine weitere Aufstockung der US-Truppen, 45 Prozent würden die Zahl der Soldaten lieber verringern. Die Afghanistan-Politik von Präsident Barack Obama hießen immerhin 60 Prozent für gut.

Armes Land, korruptes Land

Seit dem Sturz der Taliban sind Milliarden Hilfsgelder nach Afghanistan geflossen. Afghanistan ist jedoch immer noch eines der ärmsten und gefährlichsten Länder der Welt. Auf einer Fläche, die knapp doppelt so groß ist wie Deutschland, leben rund 33 Millionen Menschen. Die Mehrzahl der Bevölkerung sind sunnitische Muslime, etwa ein Fünftel sind Schiiten. Dem Entwicklungsindex (HDI) der Vereinten Nationen zufolge war Afghanistan 2007 das fünftärmste Land der Welt. Im gleichen Index für 2008 wird Afghanistan wegen fehlender Daten nicht mehr aufgeführt. Mehr als 50 Prozent der Afghanen leben unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosenquote liegt Schätzungen zufolge bei 40 Prozent. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt laut Weltbank bei 43 Jahren. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International steht Afghanistan auf dem 176. Rang. Noch schlechter ist die Lage nur in Haiti, im Irak, in Birma und Somalia. (mas/det/ap/dpa/rtr)