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VW-Skandal ist noch größer

Gero Rueter22. September 2015

Umweltverbände und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) warnen schon seit Jahren vor Betrug bei Abgaswerten, Spritverbrauch und CO2. VCD-Sprechder Gerd Lottsiepen bemängelt die Kluft zwischen Test und Realität.

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Deutsche Umwelthilfe protestiert vor der IAA gegen Luftverschmutzung (Foto: Maximilian Geiß/DUH)
Umweltschützer protestieren in Frankfurt vor der Internationalen Automobilausstellung gegen dreckige Diesel-PKWBild: Maximilian Geiß / DUH

Deutsche Welle: Herr Lottsiepen, wie funktionieren Manipulationen beim Abgastest?

Gerd Lottsiepen: Da erkennt eine Software im Zusammenspiel mit einem kleinen Computer, dass das Fahrzeug nicht normal läuft, sondern im Test ist. Es wird erkannt, dass die Vorderräder sich drehen, aber das Auto sich nicht bewegt. Über GPS ist das leicht festzustellen. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, mit der Software das Testverfahren als solches zu erkennen.

Da wurde eine spezielle Software zur Erkennung des Testverfahrens entwickelt?

Das ist eine Entwicklung, die sich hier in den vergangenen Jahren vollzogen hat. Wir haben das alle längst vermutet, nur bis jetzt fehlte der eindeutige Beweis. Den brachten jetzt die US-Behörden.

Das Fahrzeug erkennt also den Testmodus, und dann läuft alles im grünen Bereich. Die Emissionen von Schadstoffen und CO2 liegen dann unter dem Grenzwert und der Spritverbrauch ist niedrig. Aber diese Werte passen nicht zu den Werten im Realverkehr.

Sie sagen, dass der aufgedeckte Skandal nur die Spitze des Eisberges sei. Warum?

Wir gehen ganz klar davon aus, dass auch andere Hersteller diese technischen Möglichkeiten haben und diese seit einigen Jahren ausnutzen. Auffällig ist auch der Spritverbrauch, der von den Herstellern angegeben wird. Die Differenz zwischen dem Wert auf dem Papier und der Realität auf der Straße wird immer größer. Das ist ein Indiz dafür, dass verschiedene Methoden zum Mogeln beim Test genutzt werden.

Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) (Foto: picture alliance/dpa)
Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD)Bild: picture-alliance/dpa

Haben Sie Beweise? Was berichten die Ingenieure?

In offiziellen Runden wird die Erkennung vom Testzyklus abgestritten, in den USA und Europa ist das illegal. Aber in Europa gibt es leider nicht diese Strafen wie in den USA. Wenn die Ingenieure allerdings off-the-record reden, dann kommt oft so ein Spruch: "Na ja, die anderen machen es doch auch, dann müssen wir es doch auch tun." Es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Software zur Erkennung des Testzyklus genutzt wird.

Was fehlt Ihnen für den sicheren Beleg?

Für den Beweis muss man nachtesten. Wir haben zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe ein paar Tests machen lassen, das ist aber sehr teuer. Und für den sicheren Beleg braucht man größere Messreihen. In den USA hat man das jetzt gemacht und aus der Vermutung wurde der Beweis. Zudem hat VW zugegeben, dass sie im Test gepfuscht haben, um andere Emissionen vorzuspiegeln.

Dieselfilter schaffen im Realverkehr die Emissionsminderung anscheinend nicht. Ist dies gefährlich?

Es geht dabei um Stickoxide. Das ist ein starkes Atemgift, reizt die Atemwege, führt auch zu allergischen Reaktionen und greift den Organismus an. In den vergangenen Jahren stellten Behörden in Deutschland fest, dass die Luftqualität in den Städten zwar besser wurde, aber nicht in dem Maße, wie es eigentlich durch die neue Fahrzeugtechnik hätte sein müssen.

Luftqualität bleibt Problem

Was bedeutet das für die Städte in Europa?

In der EU gibt es Grenzwerte für den Schadstoffausstoß von Neufahrzeugen. Damit sollte die Luft eigentlich sauberer werden. Wir dachten, dass jetzt mit der neuen Norm für Dieselfahrzeuge das Problem der Stickoxide so langsam zu den Akten gelegt werden könnte. Aber jetzt kommen seit einiger Zeit die Meldungen, und nicht erst seit dem vergangenen Wochenende, dass viel mehr Stickoxide im Realverkehr ausgestoßen werden, als es die Vorgabe erlaubt.

Für viele Städte ist dies ein großes Problem. Die vorgeschriebene Luftqualität kann nicht eingehalten werden. Und es wird jetzt immer deutlicher, woran das liegt. Die Autohersteller werden wahrscheinlich nicht erst seit einigen Wochen und Monaten in den USA betrügen, sondern es ist davon auszugehen, dass sie es auch in Europa tun. Und deshalb ist der Skandal um VW nur die Spitze des Eisbergs.

Informationen beim Autohändler zu CO2-Emissionen und Kraftstoffverbrauch (Foto: DW/Rueter)
Herstellerangaben haben wenig mit der Praxis zu tun - die Werte liegen laut Studien um etwa 40 Prozent höherBild: DW/G. Rueter

Autos wurden manipuliert und Menschen erkranken. Ist das Körperverletzung mit Vorsatz?

Das könnte man so sehen.

In den USA wird jetzt ermittelt - eventuell in Zukunft auch in Europa?

Ich hoffe sehr, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Allerdings bin ich skeptisch. Wir haben in Deutschland eine sehr enge Verbindung zwischen der Automobilindustrie und der Politik.

Wird es denn Konsequenzen aus dem Skandal geben?

Ich denke, dass die Politik jetzt aufwacht. Es gibt in der EU jetzt Verhandlungen für neue Testverfahren und ich erwarte, dass die Schlupflöcher geschlossen werden und ein Verstoß strafrechtliche Konsequenzen hat. Die Menschen haben ein Recht auf saubere Luft. Wir fordern, dass die Politik wirklich etwas tut und ihre Nähe zur Autoindustrie an diesem Punkt aufgibt. Die USA haben es uns vorgemacht.

Staatliche Kontrollen unerlässlich

Glauben Sie, dass eines Tages die Angaben der Hersteller zu Sprit, CO2 und Schadstoffausstoß mit der Realität übereinstimmen?

Ja. Die Angaben der Hersteller müssen ehrlich sein, es muss kontrolliert und das Mogeln unterbunden werden. Heute gibt es in Europa so gut wie keine Nachmessung von staatlichen Institutionen. Wir brauchen aber Kontrollen. Das dient der Gesundheit und dem Portemonnaie der Bürger.

Eventuell wurden auch in der EU PKW mit falschen Angaben verkauft. Sollten diese zurückgerufen werden?

Das ist alles sehr schwierig. Bei der Stickoxidreduzierung gibt es unterschiedliche Techniken. Die SCR-Technik (Selective Catalytic Reduction, Reduktion von Stickoxiden, Anm.d.Red.) ist eigentlich eine saubere Technik, die funktioniert, wenn die Software des Autos diese Technik nicht ausschaltet und auch den erforderlichen Zusatzstoff einspritzt. Möglicherweise reicht es, eine andere Software einzusetzen. Die Kosten dafür muss dann die Autoindustrie zahlen.

Hat der VW-Skandal auch einen positiven Effekt?

Ich sehe das als Chance, dass die Politik die Autoindustrie stärker kontrolliert. Für die Autoindustrie ist die eigene Glaubwürdigkeit auch ein wichtiges Werbe- und Verkaufsinstrument. Und das sollten auch die Manager begreifen und entsprechend handeln.

Gerd Lottsiepen ist Sprecher des Verkehrsclubs Deutschlands (VCD). Der VCD setzt sich für eine sozial- und umweltfreundliche Mobilität ein.

Das Interview führte Gero Rueter.