Vor-Geher
Das Gehen bewegt uns. Immer und überall geht irgendwas oder irgendwer hin und her, auf und ab, vor und zurück. Dem sollte man mal nachgehen. Präfixe gehen dem Verb „gehen“ allerdings voran.
Die Uhr – ein fleißiger Wanderer? Eine Uhr kann vorgehen, sie kann auch nachgehen. In beiden Fällen geht sie falsch. Doch auch wenn sie richtig geht, geht sie nirgendwohin.
Aus- und eingehen
„Nicht nur meine Mutter, sondern auch der Ofen war ausgegangen.“ So dichtete Heinz Erhardt Heinz Erhardt ein deutscher Dichter, Schauspieler, Kabarettist (gestorben: 1979) , der große Wortverdreher. In der Tat: Allein „ausgehen“ hat zwei Bedeutungen. Mindestens. Davon können wir – was? genau! – ausgehen! Wie sollen wir mit den verschiedenen Bedeutungen des Verbs „gehen“ umgehen? Sollen wir sie auslassen, also umgehen? Nein: wir befassen uns mit ihnen, sofort, also umgehend.
Wenn die Rede ist von einem, dem das Herz übergeht jemandem geht das Herz über redensartlich für: jemand ist sehr glücklich über etwas , dann liegt es nahe, dass man zum Thema „Liebe“ übergeht. Die Liebe – laut Sprichwort – geht sie durch den Magen, aber nicht durchgängig jedem: es kann sogar sein, dass einem der Appetit vergeht vor lauter Liebe.
Appetitliches und Unappetitliches
Schöner, als wenn der Appetit einem beim Essen vergeht, womöglich verbunden mit Schmerzen, die einem durch und durch gehen. Intensiv, aber unschön. Das gilt auch für die Einsicht: wir alle müssen mal sterben, eingehen, na ja, besser: vergehen. Bloß grammatisch erlaubt ist die reflexive Form: „sich vergehen“.
Denn die Schuld dessen, der sich an jemandem vergeht sich an jemandem vergehen eine Person (meist sexuell) missbrauchen , vergeht nicht. Was in den Köpfen von Menschen vorgeht, die Verbrechen begehen, können nur wenige verstehen. Noch weniger verstehen, warum manche Verbrecher auf freiem Fuß bleiben. Denn das hieße, dass ihre Rechnung aufgegangen die Rechnung geht auf umgangssprachlich für: ein Plan gelingt; etwas glückt wäre.
Auf geht’s
Im Großen und Ganzen ist eine Rechnung, die aufgeht, nichts Schlimmes. Solange alles mit rechten Dingen zugeht mit rechten Dingen zugehen umgangssprachlich für: ordentlich, korrekt ablaufen , darf man – der Schüler, der Lehrer – sich darüber freuen: „Die Rechnung ist aufgegangen!“ Auch schön: „Der Mond ist aufgegangen“ oder „Der Reißverschluss ist aufgegangen.“ Na gut: beim Anblick des Letzteren wird wohl nicht jedem das Herz aufgehen, und Kommentare witzeln: „Offen gestanden gefällt mir Ihre Hose nicht.“ Haha.
Ein solches Spiel mit Doppelbedeutungen kann einem ganz schön auf die Nerven gehen, auf den Keks, den Zeiger – auf alles, was die Umgangssprache so hergibt. Normalerweise sollte so ein Reißverschluss wieder zugehen. Als ob im Leben irgendetwas normal zuginge!
Schönes begehen
Wer gerne etwas begehen möchte, der muss nicht – wie weiter vorne gesagt – ein Verbrechen begehen. Dazu muss er nicht mal die bildliche Bedeutung des Wortes „begehen“ verlassen. Obwohl es zweifelsohne schöne Wege zum Begehen gibt. Oder Plätze. Schöne Plätze wie den Fußballplatz. Der Schiedsrichter muss diesen vor dem Spiel begehen, um zu prüfen, ob er, der Platz, bespielbar ist.
Man kann – jetzt wieder bildlich gesprochen – auch Geburtstage begehen, Geburtstage, die uns alle angehen, zum Beispiel den Geburtstag des Reißverschluss-Erfinders. Ein solches Fest würde ich mir ungern entgehen lassen. Da würde der Herr freilich einigen Fragen nicht entgehen können. Ich würde ihn nicht scharf angehen jemanden scharf an|gehen umgangssprachlich für: jemanden stark kritisieren; jemanden attackieren , nein, nein, aber ich würde gern erfahren, warum so ein verflixter verflixt unangenehm; schwierig; problematisch Reißverschluss von alleine aufgeht, aber nie von alleine zu, und ob das mit rechten Dingen zugehen könne. Und ob ihm, dem Erfinder, das eigentlich genauso ergehe.
Was geht ab?
Viele Chancen entgehen einem. Klar, oft muss man auch mal von seinem ursprünglichen Plan abgehen, abweichen. Das weiß, wer von der Schule ohne Reißverschluss, pardon: ohne Schulabschluss abgeht. Ein gutes Zeugnis ist etwas, was einem später im Leben einmal „abgehen“, das heißt fehlen wird.
„Du gehst mir ab“ meint selten die nüchterne Betrachtung eines Gegenstandes, der, einst an die Wand geheftet oder geklebt, soeben seinen Halt verliert. „Du gehst mir ab“ ist vielmehr das Eingeständnis, dass man einen Menschen sehr vermisst. Auch wenn das Wort „abgehen“ nicht sehr schön und gepflegt ist. In diesem Zusammenhang klingt es nicht weniger traurig und eindringlich als die Aussage: „Ich vermisse dich.“ Zumal der Andere, das „Du“ im Geh-Satz ja in den Vordergrund gestellt wird. Diese Formulierung ist komplett misslungen, jedenfalls ist sie keine, die einem wie ein hauchzartes Schokoladenblättchen auf der Zunge zergeht.
Am Ende geht noch was …
Auch diese „Sprachbar“ entgeht nicht dem Gang der Dinge, der ist: dass alles seinem Ende entgegen geht. Tja, aber man könnte ja wiedergeboren werden! Na dann, auf (ein nicht zu baldiges) Wiedergehen!
Vor-Geher
Heinz Erhardt — ein deutscher Dichter, Schauspieler, Kabarettist (gestorben: 1979)
jemandem geht das Herz über — redensartlich für: jemand ist sehr glücklich über etwas
sich an jemandem vergehen — eine Person (meist sexuell) missbrauchen
die Rechnung geht auf — umgangssprachlich für: ein Plan gelingt; etwas glückt
mit rechten Dingen zugehen — umgangssprachlich für: ordentlich, korrekt ablaufen
jemanden scharf an|gehen — umgangssprachlich für: jemanden stark kritisieren; jemanden attackieren
verflixt — unangenehm; schwierig; problematisch