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Vom eigenen Versagen ablenken

Ute Schaeffer27. September 2002

Die russische Führung macht Georgien für die Gefechte mit tschetschenischen Rebellen mitverantwortlich. Moskau benutzt Tiflis als Sündenbock, meint Ute Schaeffer in ihrem Kommentar.

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Aus Georgien in die südrussische Teilrepublik Inguschetien eingedrungene tschetschenische Rebellen haben sich am Donnerstag (26.9.) mit russischen Truppen das größte offene Gefecht seit zwei Jahren geliefert. Moskau wirft Georgien vor, die Rebellen ins benachbarte Russland abzudrängen, anstatt sie auf seinem Territorium effektiv zu bekämpfen. Präsident Putin baut mit Georgien ein neues Feindbild auf, das von dem - militärisch unlösbaren - Tschetschenien-Problem ablenken soll.

Der Krieg ist noch lange nicht zu Ende. Die Gefechte russischer Truppen mit tschetschenischen Rebellen in der südrussischen Teilrepublik Inguschetien zeigen, dass der Brandherd Tschetschenien noch lange nicht gelöscht ist.

Auch die russische Führung scheint daran nicht zu glauben, denn in der vergangenen Woche verkündete der russische Innenminister Boris Gryslow, dass sein Ministerium sechs weitere Sondereinsatzeinheiten mit insgesamt 3.700 Mann zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus gebildet habe. Zwei von ihnen werden in Tschetschenien stationiert.

Die Konfliktregion im Kaukasus gehört zu den geschlossenen Informationsräumen, die von russischem Militär und Sicherheitskräften sorgfältig abgeschirmt werden. Unabhängige Informationen gibt es nicht. Doch die Meldungen von russischer Seite sind alarmierend genug: Dem Gefecht vom Donnerstag (26.9.) fielen nach offiziellen russischen Quellen mehr als 70 Rebellen und bis zu zwölf russischen Soldaten zum Opfer.

Schnell stand für die russische Führung fest, dass die tschetschenischen Kämpfer aus Georgien gekommen seien. Tatsache ist, dass das georgische Pankisi-Tal tatsächlich Rückzugsgebiet für tschetschenische Rebellen und ausländische Söldner ist, die auf Seiten der tschetschenischen Rebellen kämpfen. Deshalb hatte der russische Präsident dem souveränen Nachbarstaat mehrfach mit Militärangriffen gedroht, war aber von den europäischen Staaten und den USA zurückgepfiffen worden.

Georgien führe den Kampf gegen die Terroristen im Pankisi-Tal nicht entschlossen genug, heißt es aus Moskau. Anstatt die Terroristen auszuschalten, würde es sie über die Grenze auf russisches Territorium treiben. Mehr noch: in Russland wurden in den vergangenen Tagen gezielt Gerüchte gestreut, dass Tiflis die Rebellen nach Russland ausfliege.

Offensichtlich muss Georgien als Sündenbock herhalten. Denn das erneute Aufflammen der Kämpfe muss der russischen Bevölkerung erklärt werden. Es ist leicht, die neuerlichen Gefechte mit dem halbherzigen Vorgehen der georgischen Sicherheitskräfte gegen die tschetschenischen Rebellen zu erklären - wie es die russische Führung versucht - und damit vom eigenen Versagen abzulenken.

Denn in Wirklichkeit ist Tschetschenien noch immer eine offene Kriegswunde - gleich was die offiziellen Quellen sagen. Die russischen 'Komitees der Soldatenmütter' sprechen von über 10.000 Gefallenen und 20.000-25.000 Verwundeten in den vergangenen drei Jahren, nach Einschätzung der Internationalen Helsinki-Föderation werden jeden Monat fünfzig bis achtzig Männer von russischen Soldaten ermordet.

Die neuen Kämpfe sind Beleg dafür, dass der Krieg in Tschetschenien mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen ist. Die russische Führung sieht das anders. Der Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges markierte den Beginn von Putin Präsidentschaft. Einen Misserfolg im Kampf gegen die tschetschenischen Rebellen könnte der starke Mann im Kreml nur schwer erklären. Deshalb nutzt Moskau den Sündenbock Georgien und bastelt an einem neuen Feindbild.