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"Volkspartei war gestern"

22. August 2011

Das goldene Zeitalter der Mitgliederpartei sei vorbei, meint der Parteienforscher Oskar Niedermayer. An Ideen, wie CDU, SPD und Co. den Mitgliederschwund dennoch aufhalten können, fehlt es nicht.

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Ein SPD-Parteibuch (Foto: dpa)
Immer weniger Menschen in Deutschland haben ein Parteibuch.Bild: picture-alliance/dpa

Auch im Jahr 2010 haben die im Bundestag vertretenen Parteien - mit Ausnahme der Grünen - wieder Mitglieder verloren. Eine aktuelle Erhebung der Freien Universität Berlin bescheinigt dabei der Linkspartei mit 5,6 Prozent den stärksten Rückgang, dicht gefolgt von der FDP, die fünf Prozent weniger Mitglieder hat als noch im Vorjahr. Auch die beiden Volksparteien CDU und SPD verbuchen 3,3 beziehungsweise zwei Prozent weniger Parteigänger. Einzig die Grünen freuen sich über Mitgliederzuwachs um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Parteiarbeit für Jüngere nicht attraktiv

Dass immer weniger Menschen in Deutschland Mitglied einer Partei sind, sei vor allem dem Phänomen geschuldet, dass ältere Parteimitglieder auf natürlichem Wege ausscheiden und zu wenig junge Menschen ihre Plätze einnehmen, meint Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin.

Prof. Dr. Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin (Foto: O. Niedermayer)
Prof. Dr. Oskar Niedermayer, Freie Universität BerlinBild: Oskar Niedermayer

Der Politologe hat für das Wegbleiben der Jugend eine Erklärung: "Was es gibt, ist eine zunehmende Organisationsabstinenz. Vor allem bei den Jüngeren."

Außerdem sei das Engagement in einer Partei anstrengend. Man müsse viel Zeit und Mühe in die Parteiarbeit stecken, ehe man mitentscheiden kann. Und das widerspreche der Art und Weise, wie sich junge Leute heute beteiligen wollen, sagt Niedermayer. "Das soll Spass machen, kurzfristig und projektbezogen sein. Man will etwas davon haben, und sehen, dass am Ende auch etwas konkretes steht." Alles Dinge, die bei Parteien nicht gewährleistet seien.

Dass junge Leute gerade in der Kommunalpolitik fehlen, weiß die 31 Jahre alte SPD-Stadträtin Miriam Schmidt aus Bonn zu berichten. Bei manchen politischen Terminen ist sie nicht nur die einzige Frau, sondern auch die einzige Person unter 45 Jahren. Verschreckt werden die Jungen ihrer Ansicht nach durch Versammlungsriten, die mit dem Spruch "Das haben wir schon immer so gemacht" durch die eingesessenen Parteimitglieder verteidigt werden. Daher fordert Schmidt: "Man muss einfach offener sein für neue, junge Ideen". Zum Beispiel müsse man davon weg, immer nur den klassischen Infostand vor Supermärkten von 10 bis 12 Uhr als beliebtes Wahlkampfmittel einzusetzen.

Schmidt erinnert sich kopfschüttelnd an eine Wahlkampfidee, die ältere, männliche SPD-Genossen vorgeschlagen hatten: ein Infostand vor einem Kindergarten. "Ich fand die Vorstellung von älteren Herren in Schimanski-Outfit, die vor einem Kindergarten Süßigkeiten verteilen, nicht sonderlich prickelnd."

"Den Mut haben, jungen Menschen zu vertrauen"

Für Nico Pestel, Vorsitzender der CDU-Jugendorganisation Junge Union im Bezirk Mittelrhein, ist es wichtig, junge Menschen langfristig an seine Partei zu binden, was nicht immer funktioniere. "Da muss sich auch die CDU für junge Menschen öffnen und sie für Mandate in Parlamenten gewinnen. Da muss man den Mut haben, den jungen Menschen auch zu vertrauen."

Die Bonner Stadträtin Miriam Schmidt während einer Bürgersprechstunde (Foto: M. Schmidt)
Miriam Schmidt, Stadträtin in Bonn: "In der Kommunalpolitik fehlen junge Leute."Bild: Miriam Schmidt

Um wieder attraktiv für die Jugend zu werden, müssen die Parteien sich verändern, meint Niedermayer. Sie müssen sich der Gesellschaft gegenüber öffnen und Beteiligungsmöglichkeiten von Nicht-Parteimitgliedern zulassen. "Aber das ist nicht so einfach, weil Entscheidungsmöglichkeiten für Nicht-Mitglieder bedeutet eben, dass die Rolle der Mitglieder entwertet wird."

Daher ist Niedermayer der Ansicht, dass Entscheidungen über Sachthemen und Personalien Exklusivrechte der Mitglieder bleiben sollten. "Aber man kann sich durchaus andere Formen vorstellen, wie Leute mitarbeiten können, ohne formal Parteimitglied zu sein." so der Parteienforscher.

Neben der Stärkung von Partizipationsmöglichkeiten für Mitglieder schlägt er den deutschen Parteien auch vor, die Mitgliedsbeiträge auszusetzen. Denn ein Parteibuch zu haben sei auch eine Frage des Geldes: "Man gibt denen unentgeltlich Arbeitszeit und bezahlt auch noch dafür, dass man in eine Partei Zeit und Mühe investiert."

"Goldene Zeiten" der Parteien scheinen beendet

Trotz der Vielzahl an Reformmöglichkeiten beurteilt Niedermayer die Zukunft der deutschen Parteien eher skeptisch: "Das goldene Zeitalter der Mitgliederpartei wird wohl vorbei sein." Und auch die Kommunalpolitikerin Miriam Schmidt ist überzeugt: "Volkspartei war gestern."

Aber aussterben werden CDU oder SPD wohl dennoch nicht: "Die kleinen Parteien zeigen ja, dass man durchaus auch Mitglieder wieder gewinnen kann." sagt Niedermayer. "Und durch die ganzen Organisationsmaßnahmen, die CDU und SPD gerade durchführen, hoffe ich, dass sie in Zukunft ihre Mitgliederzahlen wenigstens stabilisieren können."

So plant die SPD, sich durch eine Parteireform im Dezember 2011 für Sympathisanten ohne Parteibuch zu öffnen. Nicht-Mitglieder sollen so die Möglichkeit bekommen, in Vorwahlen über Kandidaten für politische Ämter abzustimmen. Außerdem sollen Mitglieder mehr als bisher die Inhalte der SPD-Politik mitbestimmen können.

Und die CDU setzt nach eigenen Angaben seit längerem darauf, junge Menschen durch soziale Netzwerke zu gewinnen und Nicht-Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, in sogenannten Freiwilligenteams der Jungen Union in Wahlkämpfen mitzuhelfen.

Autorin: Anna Appelrath
Redaktion: Hartmut Lüning/fab