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Film

Im Kino: "Sound of Heimat"

Philipp Jedicke10. Oktober 2012

Der Neuseeländer Hayden Chisholm tourte durch Deutschland. Das Ergebnis: der Film "Sound of Heimat". Ein Gespräch mit ihm und Regisseur Arne Birkenstock.

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Der Neuseeländer Hayden Chisholm, Protagonist von "Sound of Heimat", inmitten bayerischer Trachtenträger
Hayden Chisholm (Mitte) beim Erforschen der deutschen MusikkulturBild: realfiction

DW: Herr Birkenstock, Hayden Chisholm entdeckt in Ihrem Film unverfälschte Volksmusik und fragt sich, warum die Deutschen damit ein Problem haben. Was die meisten Deutschen unter Volksmusik verstehen, ist doch eigentlich Schlager, oder nicht?

Arne Birkenstock: Genau. Fernsehsendungen wie Musikantenstadl und Co. stehen für volkstümlichen Schlager, auch TV-Karnevalssitzungen, Ballermann-8-Partys und so was. Das ist keine Volksmusik. Volksmusik ist regional verwurzelte Musik, die sich von überall her Anregungen holt. Zur traditionellen alpenländischen Volksmusik gehören Tänze wie die Polka und der Rheinländer. Junge bayerische Blasensembles holen ihre Einflüsse vom Balkan, das Kölner Liedgut bedient sich weltweit. Volksmusik ist also nicht statisch, sie entwickelt sich permanent weiter.

Hayden Chisholm: Im Film geht es um genau diese Art von Verschmelzung, um echte Weltmusik. Deshalb spiele ich in einer Szene das Volkslied "Morgen muss ich fort von hier" auf dem Dudelsack.

Der Neuseeländer Hayden Chisholm, Protagonist von "Sound of Heimat", mit Saxophon in einem bayerischen Kuhstall
Hayden Chisholm beim Erforschen der deutschen MusikkulturBild: realfiction

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Film aus der Sicht eines Ausländers zu erzählen?

Arne Birkenstock: Die Idee zum Film hatten wir schon 2005, aber den entscheidenden Impuls für seine Machart gab uns der Dokumentarfilm "Full Metal Village" von Cho Sung-Hyung. Er handelt vordergründig von einem Heavy-Metal-Festival, ist aber im Grunde ein humorvoll und liebevoll erzählter Heimatfilm über ein holsteinisches Dorf und irgendwie auch über Deutschland. Die Regisseurin lebt zwar hierzulande, hat als Koreanerin aber einen ganz anderen Blick darauf. Da wussten mein Co-Autor Jan Tengeler und ich: Wir brauchen einen ausländischen Forschungsreisenden. Hayden war geradezu disponiert dafür, er war ja schon immer auf der Suche nach ursprünglicher Musik. Er ist neugierig, lässt sich auf alles ein und hat nicht die Schranken im Kopf, die wir als Deutsche gegenüber unserer eigenen Volksmusik haben.

Nicht jedes Land hat so viele Probleme mit seiner traditionellen Musik.

Arne Birkenstock: Dieses Hadern mit sich ist schon etwas typisch Deutsches. Es gibt nicht viele Länder, die sich so gnadenlos mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Als ich auf der Hochzeit eines englischen Freundes von dem Filmprojekt erzählte, sagten dessen Landsleute zu mir: "Jetzt hört doch endlich mal auf mit eurem Zweiten Weltkrieg, der ist schon lange vorbei. Singt doch einfach, ihr Idioten!"

Trailer zum Film "Sound of Heimat"

Hayden Chisholm: Deutsche schauen oft nach innen, auf die Seele. Sie analysieren gerne, wollen wissen, warum dieses oder jenes passiert ist. In vielen anderen Ländern setzt man sich kaum mit der Vergangenheit auseinander, das finde ich problematisch. Viele der romantischen Texte in der deutschen Volksmusik gehen sehr tief, das ist eine der schönsten Eigenschaften dieser Lieder.

Hatten Sie vor dem Dreh denn schon eine Ahnung von der Problematik?

Hayden Chisholm: Ich hatte zwar an der Kölner Musikhochschule studiert, dabei aber kaum etwas über Volksmusik gelernt, aus der ja viele klassische Komponisten geschöpft haben. Erst, als ich später im europäischen Ausland unterwegs war, stellte ich mir die Frage, was eigentlich in Deutschland los ist und warum die Leute Probleme mit ihren Volksliedern haben.

Gab es Berührungsängste zwischen dem Filmteam und den Volksmusikern?

Arne Birkenstock: Ganz und gar nicht. Das liegt aber daran, dass wir alle drei Musiker sind. Und Köln, wo auch Hayden verwurzelt ist, hat als deutsche Großstadt ja auch einen Sonderstatus, weil es hier einen Liederkanon gibt, der schichten-, alters- und bildungsübergreifend bekannt ist und nicht nur an Karneval gesungen wird. 

Hayden Chisholm: In dem Film singen und spielen alle unbefangen und frei auf. Hier in Köln und bei vielen der Musiker aus dem Film hat das Singen traditioneller Lieder ja geradezu heilende Kräfte. Die Menschen brauchen das, gerade in schwierigen Zeiten. Ich denke, man geht heute viel freier mit der deutschen Sprache um als vielleicht noch in den siebziger und achtziger Jahren.

Trotzdem kommt der Begriff "Volksmusik" im Filmtitel gar nicht vor.

Der Regisseur des Dokumentarfilms "Sound of Heimat", Arne Birkenstock, im Portrait
Regisseur Arne BirkenstockBild: 3Rosen

Arne Birkenstock: Das ist richtig. Wir haben den Film "Sound of Heimat" genannt, weil allein schon der Begriff Volksmusik in Deutschland negativ besetzt ist. Es gibt hierzulande so viele, die mit Leib und Seele traditionelle Musik machen, ohne dass sie in irgendeiner Weise volkstümelnd daherkommen. Aber der Begriff ist nach wie vor belastet, was mit dem Nationalsozialismus zu tun hat und in jüngerer Zeit eben auch mit miesen TV-Shows wie dem Musikantenstadl.

Wie reagiert das Publikum auf den Film?

Arne Birkenstock: In den meisten Kinos singen die Leute mit, und es gibt oft Schlussapplaus. Wir bekommen begeisterte Reaktionen von wildfremden Menschen. Ich glaube, es ist nicht nur ein schöner Film geworden, sondern er drückt auch eine Sehnsucht aus, die viele Menschen in sich haben und die ihnen gar nicht bewusst war. Wenn es funktioniert, dass die Leute im Kino weinen, lachen und singen - mehr kann man sich als Regisseur nicht wünschen.

"Sound of Heimat" von Arne Birkenstock und Jan Tengeler ist seit dem 27.09. im Kino zu sehen.