Virtuelle Waschmaschinen
5. November 2008Ich schwebe über den blitzsauberen Boden der Küche. Rechts fährt automatisch der Wasserhahn aus dem Spülbecken. Ich gleite weiter an den braun lackierten Schränken vorbei auf den in die Wand eingelassenen Herd zu. Plötzlich wird er zur Mikrowelle. Dann verschwindet auch noch die Schranktür und ich kann in die dahinterliegende Spülmaschine sehen. Ich beobachte, wie das Wasser durch das Stahlgehäuse sprudelt. Alles sieht täuschend echt aus. Doch anfassen kann ich in der perfekten Miele-Küche nichts. Sie ist eine virtuelle Simulation.
"Nach sechs Wochen ist ein Modell fertig, dann guckt man’s sich fünf Minuten an, zweifelt und baut dann wieder sechs Wochen um", erzählt Andreas Enslin, Chefdesigner beim Haushaltsgerätehersteller Miele.
Mit CAVE geschehen viele Arbeitsabläufe gleichzeitig und können interaktiv verändert werden. CAVE steht für Computer Aided Virtual Environment.
Farbwechsel auf Knopfdruck
Die Anlage besteht aus einem abgedunkelten Raum mit einer etwa 15 Quadratmeter großen Wand aus schwarzem Glas. Acht Kino-Projektoren werfen zum Beispiel das Bild eines Staubsaugers auf die Wand. Jede Bewegung des Benutzers wird von Kameras registriert. Computer werten die Daten aus und passen die Perspektive ständig an. Eine Spezialbrille sorgt für den dreidimensionalen, scheinbar realistischen Eindruck. Sie versieht das Bild mit Spiegelungen und Schatten auf der Oberfläche des Staubsaugers.
In der Produktentwicklung werden diese Simulationen viel Zeit und Material sparen, sagt Enslin, zum Beispiel bei der Auswahl der Farbe für einen Staubsauger. "Sie können im Prozess des Anschauens sofort entscheiden, ob das eine Farbe ist, die dem Produkt steht. Und müssen nicht Varianten machen, lackieren, warten."
Früher dauerte dieser Prozess drei bis vier Wochen. Durch die Simulation benötigt man für die Entscheidung nur noch etwa eine Stunde. Außerdem konnten viele Dinge erst nacheinander bearbeitet werden. Jetzt können Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen gemeinsam in der Simulation ein Produkt ansehen und dabei neue Perspektiven entdecken. Zum Beispiel indem sie die äußere Hülle eines Produkts wegnehmen und direkt in das Innere hineinschauen. Komplexe Zusammenhänge und normalerweise verdeckte Abläufe können so sichtbar gemacht werden. Servicetechniker können zum Beispiel feststellen, ob sie bei Wartungen alle Schrauben problemlos erreichen. Es stellt sich nicht erst beim Bau eines Prototypen heraus, dass ein Teil nicht in das Gehäuse passt.
Auch die Benutzerfreundlichkeit kann mit CAVE getestet werden. Sind alle wichtigen Schalter einfach zu finden? Ist die Displayanzeige verständlich? "Der Fortschritt der virtuellen Welten liegt darin, Entwicklern, Designern und Marketingleuten etwas an die Hand zu geben, um die Konsequenz ihrer Entscheidung früher zu sehen und besser zusammenzuarbeiten", sagt Enslin.
Kopfarbeit "Made in Germany"
1,6 Millionen Euro hat die Anlage gekostet. Enslin schätzt, dass sie sich in zwei bis drei Jahren rentieren wird. Für Miele ist es wichtig, die Kosten für die Entwicklung zu senken, um weiterhin im Hochlohnland Deutschland produzieren zu können. Die Preise von Miele-Geräten liegen deutlich über denen anderer Hersteller. Durch CAVE werden die Produkte nicht günstiger, sagt Enslin. Doch die Qualität, die der Kunde für sein Geld erhält, wird verbessert. Kopfarbeit "Made in Germany" hat ihren Preis.
"Aus Deutschland kommen nun mal Innovationen, mit denen andere Länder nicht mithalten können", so der Chefdesigner
Grenzenlos virtuell
Miele steht mit CAVE am Anfang der virtuellen Simulationen. Die Objekte auch fühlbar zu machen, ist der nächste große Schritt, den Enslin machen will. Forscher haben bereits Fußbodenelemente entwickelt, die sich so bewegen, dass der Benutzer auf ihnen laufen kann, sich in Wirklichkeit aber nicht von der Stelle bewegt. Es kann also nicht mehr allzu lange dauern, bis man in CAVE die hoch polierte Edelstahloberfläche des Einbauherds auch fühlen kann.